Konzertkritik | Depeche Mode - Für dich soll’s schwarze Rosen regnen
Weitermachen - trotz des Todes von Depeche Mode-Gründungsmitglied Andrew Fletcher vor zwei Jahren. Am Dienstag haben die britischen Synthie-Pop-Legenden in Berlin gespielt, voller Melancholie, Düsternis und Lebensfreude. Von Jakob Bauer
Eine wogende Welle aus Klang wälzt sich von der dunklen Bühne in den vollen Zuschauerraum der Berliner Mercedes-Benz Arena. Bedrohlich, düster, im kalten, blauen Licht betreten Depeche Mode die Bühne.
Obwohl: Frontmann und Lead-Sänger Dave Gahan sprintet eher auf die Bühne. Er läuft nach vorne, geht tief nach unten in die Knie, hält die Position, wie bei einer Fitness-Übung. Dann blickt er aufgeputscht und fordernd in die Menge. Zwei Dinge kann man da herauslesen: Erstens: Ich hab’s mit 61 immer noch drauf. Und zweitens: In der Melancholie, in der Düsternis, die die Heimat von Depeche Mode sind, liegt auch immer eine Lebensfreude.
Depeche Mode: Den Totenköpfen zum Trotz
Oder: Die wiedergewonnene Lebensfreude. Memento Mori, sei dir deiner Sterblichkeit bewusst, so heißt das aktuelle Album. Veröffentlicht hat die Band es nach dem überraschenden Tod von Gründungsmitglied Andrew Fletcher vor zwei Jahren, nachdem die Band mehrmals fast zerbrochen ist, nachdem Dave Gahan mehrmals fast am Drogenmissbrauch verstorben war.
Aber nichts davon ist heute auf der Bühne zu spüren, wenn natürlich auch in der Musik und in den Texten zu hören. Depeche Mode schaffen es den ganzen Abend, einen Spagat hinzulegen: Da sind auf der einen Seite die düsteren Lichtstimmungen, der düstere Style, kühle Synthies, Totenköpfe auf der Leinwand. Trotzdem ist alles warm, alles freundschaftlich, Publikum und Band genießen gemeinschaftlich, denn: der nächste hymnische Refrain ist ja nur ein abstraktes elektronisches Sample entfernt.
Die Pirouetten-drehende Ball-Königin aus den 20ern, oder: Der sterbende Schwan
Da hilft vor allem, dass die Musik von Depeche Mode auf Platte seit jeher tatsächlich ein bisschen unnahbar, new-wave-gothic-mäßig-kühl daher kommt. Aber live ist da deutlich mehr Wumms dahinter.
Die Beats kommen alle vom Live-Schlagzeuger und nicht aus der Maschine, die Keyboards setzen ihre feinen, eingängigen kleinen Melodielinien und Dave Gahan singt als wäre er halb so alt. Der Typ ist phänomenal. Mit seiner ausdrucksstarken Gestik und Mimik, den dunkel-geschminkten Augen und den nach hinten gegelten, grauen Haaren wirkt er mal wie ein Pantomime-Künstler aus den 20ern, dann dreht er Pirouetten wie eine Ball-Königin, mal ist er britische Eleganz, mal sterbender Schwan. Gahan fühlt jeden Moment seiner Musik er beherrscht sie förmlich mit seinem mächtigen Bariton.
Ganz anders ist da Martin Gore. Als der Haupt-Songwriter und Keyboarder, der meistens nur zweite Stimme singt, für zwei Songs die Bühne ganz für sich hat, da ist das ganz anders. Gore umschmeichelt, er ehrt die Töne, ist ein vorsichtiger, zerbrechlicher, aber ebenso fantastischer Sänger wie Gahan.
Gore und Gahan: Man tätschelt wieder
"Die wunderschöne, engelsgleiche Stimme", so nennt es Kollege Gahan einmal. Es ist nicht die einzige wertschätzende Geste zwischen den beiden. Das ist besonders schön zu sehen, weil die Band mehrmals fast an kreativen Differenzen zerbrochen ist und der verstorbene Andrew Fletcher als eine Art Mediator galt.
Aber Gahan tätschelt Gore einmal fast liebevoll den Rücken, bei den Zugaben umarmen sich die beiden nach einem Song und wenn sie beim allerletzten Lied des Abends, dem legendären "Personal Jesus, immer wieder gemeinsam die bekannte Hook wiederholen – 'Reach Out, Touch Faith' – fehlt eigentlich nur noch, dass es schwarze Rosen auf das beseelte Publikum und Depeche Mode herabregnet.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.02.2024, 6:13 Uhr