Food-Influencer:innen in Berlin - Das Auge isst hip
"So creamy", "Must try!" - immer mehr Menschen orientieren sich bei der Restaurant-Suche in Berlin an Gastro-Empfehlungen auf Instagram und Tiktok. Doch wie ehrlich sind die Tipps von Food-Influencer:innen? Von Helena Daehler und Max Ulrich
- Mit Food-Postings auf Instagram und Tiktok wird Geld verdient.
- Influencer lotsen ihre Follower zu bestimmten Restaurants.
- Wer Posts als Werbung absetzt, muss das kenntlich machen - doch das tut nicht jeder.
"Die Schlange kommt hier jeden Abend! Da können sie sicher sein." Die Verkäuferin vor einem kleinen Getränkemarkt auf der Schönhauser Allee wirkt ratlos. Auf der anderen Straßenseite ist ein chinesisches Nudelrestaurant, eigentlich nichts Besonderes in Berlin. Doch seit ein paar Monaten stehen die Menschen vor dem Wen Cheng ab 17 Uhr Schlange. So auch an diesem kalten, dunklen Mittwochabend. Auf die Frage, warum sie in der Kälte auf einen freien Platz im Wen Cheng warten, antworten viele, Instagram, Tiktok und Influencer hätten sie auf den Laden aufmerksam gemacht.
Drei Stunden Arbeit für 15 Sekunden Essensbilder
Einige Hundert Meter weiter filmen Olya und Daniel ihre Tacos in der Markthalle Pfefferberg. Sie sind Food-Influencer:innen. Ihrem Kanal "gastroberlin" [instagram.com] folgen auf Instagram und Tiktok 150.000 Menschen. Die Hype-Nudeln von Wen Cheng haben sie natürlich auch schon längst probiert - und fotografiert. Heute sind die mexikanischen Tacos dran.
Olya und Daniel sind beide Anfang 20. Auf ihrem Social-Media-Account kann man in kurzen Videos sehen, wie die beiden in Sushi-Läden gehen, vor koreanischen Imbiss-Ständen vegane Hotdogs bestellen oder sich bei einem Brunch-Buffet mit Champagner zuprosten.
"Das nimmt schon richtig viel Zeit in Anspruch. Wenn das Video 15 bis 20 Sekunden lang ist, sind das schon zwei bis drei Stunden Bearbeitungszeit. Ohne dass man die Anreise mitzählt, die Recherche vorab, die Kommunikation mit den Partnern. Dann werden es vier, fünf Stunden. Eine Vollzeitarbeit! Aber es macht Spaß und wir machen es aus Leidenschaft", sagen sie. Hauptberuflich sind sie bei zwei großen Internet-Unternehmen beschäftigt. Doch auch mit ihren Food-Posts verdienen sie Geld.
"Wir zahlen in den Restaurants meistens selber. Aber manchmal werden wir auch eingeladen oder empfehlen einen Liefer-Service. Dafür bekommen wir dann Geld, aber kennzeichnen das auch im Post", erklärt Olya.
Schlechte Kritik gibt es bei Food-Influencer:innen nicht
Die Berichte von Olya und Daniel sind fast immer positiv: "so creamy!", "my favorite chocolate fondue", "must try", "the most special italian trattoria in berlin", schwärmen sie auf "gastroberlin". Olya sagt: "Wir wollen Menschen wirklich die besten und coolsten Erlebnisse zeigen, und viele folgen uns auch deswegen. Wir posten die Sachen, wie wir sie auch unseren Freunden empfehlen würden. Viele wollen coole positive Sachen sehen und nicht so Food-Criticism."
Kritisch wird es in ihren Posts selten. "Wenn es uns mal nicht schmeckt, dann posten wir es auch nicht." Das ist auch bei anderen Food-Influencer:innen so. Restaurants werden abgefeiert. Nicht bewertet.
"Für X Euro mache ich euch einen Post"
Michael Heiden, den Besitzer der Markthalle am Pfefferberg mit den mexikanischen Tacos, freut das, wie er sagt: "Es gibt Influencer, die haben über 100.000 und mehr Follower. Die fangen an, über einen zu schreiben. Nach ein, zwei Wochen ziehen dann die kleineren Kanäle hinterher mit ihren 10.000 bis 15.000 Followern. Und nachdem die gepostet haben, kommt dann die dritte Welle mit den Hobby-Influencern."
Heiden bezahlt die Influencer:innen nicht, wie er sagt. Das sei ihm wichtig zu betonen. Angebote bekomme er aber genug. "Die schreiben mir dann ‘Hey, ich bin grad in Berlin und für X Euro komme ich vorbei und esse was und mach einen Story-Post und einen Feed-Post!’ Das lehnen wir halt immer ab."
Eine App bring Influencer:innen und Restaurants zusammen
Mario Geiß bietet genau das an. Er ist Gründer des Unternehmens Alphin und hilft Gastro-Betrieben dabei, die Social-Media-Präsenz aufzubauen und an Bekanntheit zu gewinnen. Influencer spielen dabei natürlich auch eine Rolle. Er bringt beide Seiten über eine App zusammen.
Die Influencer:innen sehen in der App eine Karte mit Restaurants und was sie dort für Rabatte bekommen, wenn sie ihr Essen posten. Mario Geiss erklärt es an einem Beispiel: "Dann kannst Du hier auf die Details gehen und siehst dann auch, welche Gegenleistung erwartet wird. Der Feed-Post ist dann nochmal spezifiziert, also mit welchen Verlinkungen und Hashtags die idealerweise gesetzt werden, damit das lokale Unternehmen auch wieder gefunden wird und letztendlich von der Reichweite des Influencers profitieren kann."
Geiß nennt das die "Demokratisierung des Influencer-Markts". Er garantiert den Unternehmen ausschließlich positive Empfehlungen in den sozialen Medien. Allein für Berlin hat Alphin 8.000 Influencer registriert und verifiziert. Doppelt so viele stehen auf einer Warteliste, wie Geiß sagt.
Bezahlte Posts sind oft schlecht zu erkennen.
Alphin weist alle ihre Influencer:innen darauf hin, dass sie die Posts als Werbung markieren müssen, erzählt sie. Überprüft wird das von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Die Regeln sind eindeutig: Wer für Posts Geld erhält oder eingeladen wird, muss das klar deklarieren. Das passiert aber nicht immer, sagt Pauline Bischoff von der MABB.
"Wir wissen, dass es bei der Werbungskennzeichnung manchmal so gemacht wird, dass man sie schlecht lesen kann. Stichwort: weiße Schrift auf weißem Grund. Wir beschäftigen uns nicht nur mit Fällen, in denen Werbung gar nicht gekennzeichnet ist, sondern wo sie auch einfach unzureichend gekennzeichnet ist", sagt Bischoff weiter.
Pro Jahr prüft die MABB nach eigenen Angaben eine Fallzahl im niedrigen dreistelligen Bereich. Bei mehreren Tausend Influencer:innen sind das eher Stichproben. Die möglichen Sanktionen reichen von Bußgeldern bis zur Sperrung des Accounts. Food-Influencer:innen in Berlin wurden bisher aber noch nicht sanktioniert.
Gute Influencer:innen wichtiger als gute Köch:innen?
Der Vizepräsident des Berliner Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Philip Ibrahim, sieht keine Nachteile beim Influencer-Marketing, wie er sagt. "Es gibt gar nichts Negatives an solchen Hypes. Zum einen gibt es dadurch die Möglichkeit für alle zu schauen, was es Neues gibt in der Stadt und wo man hingehen möchte", so Ibrahim. "Und die Hoteliers und Gastronomen müssen dann ja auch selbst dafür sorgen, dass es den Leuten gefällt und sie wiederkommen."
Sollte man in Zukunft also eher in Content investieren statt in gutes Kochen? Nein, sagt Ibrahim. "Wir brauchen Köche, gute Köche und junge Köche. Nur dann können wir den Geschmack auch weitertragen. Aber es sollte auch Leute geben, die das Ganze gut ins Bild packen können. Und dafür gibt es Experten."
Einen großen Nachteil hat das Ganze für diese Expert:innen: Gute Bilder sind wichtiger als der Genuss. Auch die Tacos von Olya und Daniel sind kalt, als sie endlich das Handy aus der Hand legen und reinbeißen. "Das ist leider oft so: Die meisten Sachen sind kalt, wenn wir sie essen."
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.12.2022, 19:30 Uhr