Sexistische Übergriffe - "Das Rollenbild vieler Fußball-Fangruppen bietet einen Schutzraum für Täter"

So 24.11.24 | 08:04 Uhr | Von Jonas Bürgener
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Ein Polizist beobachtet anreisende Fans von Hertha BSC zum Olympiastadion. Quelle: imago images/Matthias Koch
Bild: imago images/Matthias Koch

Die Sängerin Mine wird in einem Zug von Hertha-Fans sexuell belästigt und beleidigt. Allein die Reaktionen zeigen, wie groß das Problem rund um deutsche Fußball-Stadien ist. Aufarbeitung und Prävention sind möglich, brauchen aber alle Parteien. Von Jonas Bürgener

"Du dreckige Hure", "du Fotze", "sie gehört uns". Dazu mehrfaches Begrapschen und Belästigungen. Die dramatischen Erlebnisse, die die Sängerin Mine während einer Zugfahrt in Richtung Berlin mit einer Gruppe Hertha-Fans nach deren Spiel in Darmstadt auf Instagram schilderte, fanden bundesweite Aufmerksamkeit. In den Kommentarspalten und auf Social Media gab es viel Zuspruch und Unterstützung für die Musikerin.

Schnell wurde jedoch auch deutlich: Mines Erlebnisse sind beileibe kein Einzelfall. Viele weibliche Fußball-Fans in den sozialen Medien berichteten von ähnlichen Vorkommnissen in, rund um oder bei der Anfahrt zu Stadien. Auch die Journalistin Mia Guethe vom Fußball-Magazin 11Freunde beschrieb den alltäglichen und oft unangenehmen Stadionbesuch aus Frauensicht zuletzt eindrücklich [11Freunde.de, Bezahlinhalt].

Experten sind ebenfalls wenig überrascht über die Schilderungen Mines. Sie sehen ein gesellschaftliches Problem, das im Fußball oft stark zum Vorschein kommt. Bei der Aufarbeitung und Prävention kommt es auf verschiedene Aspekte an.

Hohe Zahl an Dunkelziffern

Die Ethnologin Almut Sülzle von der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene soziale Arbeit (KofaS) forscht seit vielen Jahren zu Diskriminierung und Antidiskriminierung mit Schwerpunkt auf Sexismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit.

"Das hat mich nicht gewundert", sagt Sülzle angesprochen auf den Vorfall vom 9. November. Sie habe schon öfters von ähnlichen Situationen gehört und gelesen. "Nur schaffen die es nicht so oft in die Medien. Zum Teil, weil Betroffene keine Lust auf einen großen Medienrummel haben", sagt sie weiter. Damit dürfte Sülzle recht haben. Hätte Mine den Fall nicht ausführlich auf ihrem followerstarken Instagram-Kanal geschildert, wäre er wohl eine weitere Dunkelziffer geworden.

Rückwärtsgewandtes Männerbild im Fußball

Nun ist Sexismus in Deutschland und weltweit mit Sicherheit kein reines Problem des Fußballs. Das zeigen allein die jährlichen Zahlen sexueller Übergriffe auf Volksfesten wie dem Oktoberfest oder die aktuelle Debatte um die (fehlende) Sicherheit für Frauen in den Zügen der BVG.

Dennoch sieht Sülzle den Fußball stark betroffen. Der Grund: Nicht wenige Männer, also die potenziellen Täter, hätten im Fußballkontext ein eher rückwärtsgewandtes Rollenverständnis. Ein Spieltag würde - ähnlich wie der Besuch des Oktoberfests oder des Karnevals - als Flucht aus dem Alltag gesehen werden, in dem andere Regeln gelten - in manchen Fällen auch im Umgang mit Frauen. "Dieses Rollenbild, das in vielen Fangruppen und Kurven zelebriert wird, bietet einen Schutzraum für Täter", sagt Sülzle. "Es ist sicherlich nicht die Mehrheit der Fans, die so drauf ist, sondern eine kleine Gruppe. Die Frage ist immer: Wie viel Spielraum bekommt diese Minderheit?" Sülzles Beobachtung sei, dass es sich um wiederkehrende Täter handelt, die sich immer wieder sicher genug fühlen, um übergriffig zu werden. Auch einer der mutmaßlichen Täter von Anfang November aus der Fangruppe von Hertha BSC war der Polizei bereits bekannt.

Wie groß das Sexismus-Problem rund um deutsche Stadien - in diesem Fall in Nordrhein-Westfalen - ist, zeigen Zahlen der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW (MeDiF). Berichte von Sexismus (150 Meldungen) rangierten hier im Jahr 2022 auf dem unrühmlichen ersten Platz, noch vor rassistischen (140) und queerfeindlichen Vorfällen (128). Die Dunkelziffer dürfte in allen Bereichen hoch sein.

Prävention ist möglich

Eine Verbesserung kann es laut Sülzle nur dann geben, wenn sich das Klima rund um ein Fußballspiel verbessert und sich Fans selbst zu einem besseren Umgang verpflichten. Wichtige Erkenntnisse der Anti-Diskriminierungs- und Gewaltforschung seien außerdem, dass jede Gegenrede und jedes Eingreifen bei Übergriffen die Situation positiv verändert und die Betroffenen unterstützt, anstatt sie alleine zu lassen.

Lobend erwähnt Sülzle die sogenannten Awareness Teams, die mittlerweile viele Fußballvereine wie auch Hertha BSC im Stadion eingeführt haben, und die als Ansprechpersonen dienen. Derartige Teams wünscht sich die Ethnologin auch auf den Anreisewegen, beispielsweise in Zusammenarbeit zwischen den Vereinen, der Bahn und den Fanprojekten. So könnten sichere und geschulte Ansprechpartner zur Verfügung gestellt und gleichzeitig der Spielraum für potenzielle Täter eingeschränkt werden.

Auffällig in den Berichten der Awareness-Teams aus den Stadien ist nach Sülzles Angaben, dass sie nicht nur in den Fankurven aktiv sind, sondern oft auch in die VIP-Logen gerufen werden, weil zum Beispiel Mitarbeiterinnen belästigt werden. Es wird erneut deutlich: Das Problem ist nicht nur der männliche Fußball-Anhänger in der Kurve und in Fanzügen, sondern der Mann im Allgemeinen.

Kommunikation aller Parteien wichtig

Hier gehe es ebenfalls darum für ein sicheres Klima zu sorgen - auch durch Kommunikation. Die Stellungnahme von Hertha BSC nach den jüngsten Vorkommnissen nennt Sülzle dabei als positives Beispiel. Der Verein hatte den Vorfall schnell verurteilt, die generelle Problematik eingeräumt und eine rasche Aufarbeitung mit allen Parteien angekündigt. Hertha teilte gegenüber rbb|24 mit, erste Gespräche seien für diese Woche geplant gewesen. Details und Inhalte nannte der Klub zunächst nicht, man wolle das Thema erst mit allen Beteiligten besprechen.

Das erste Statement der Deutschen Bahn sei hingegen viel zu allgemein gehalten worden, so Sülzle. Außerdem habe man das Problem fehlender Konzepte gegen sexistische und rassistische Übergriffe in der Bahn (egal ob von Fans oder anderen Fahrgästen ausgehend) nicht adressiert. Vielmehr sei auf einen jährlichen materiellen Schaden für die Bahn durch Fußball-Fans verwiesen worden, der mit der konkreten Tat gar nichts zutun hatte.

Auf erneute Nachfrage von rbb|24 teilte ein Bahnsprecher in dieser Woche mit, der Vorfall vom 9. November habe das Unternehmen sehr betroffen gemacht und werde nicht toleriert. Man habe Kontakt mit Mine aufgenommen und sei dem Vorfall intern nachgegangen. Zu Detailfragen von rbb|24 und Ergebnissen der Untersuchungen wollte sich das Unternehmen jedoch nicht äußern.

Entwicklung durchaus erkennbar

Almut Sülzle sieht bei aller Kritik und bei allem Verbesserungspotenzial im Übrigen dennoch eine positive Entwicklung in den letzten Jahren. Neben vielen Initiativen gegen Schwulen- und Queerfeindlichkeit habe sich im letzten Jahrzehnt auch bei der Arbeit gegen Sexismus im Fußball einiges getan. "Ein ganz großer Schritt war die Gründung des Netzwerk gegen Sexismus im Fußball", sagt Sülzle.

In dem Zusammenschluss arbeiten Fanvertreterinnen sowie Mitarbeiterinnen aus den Fanprojekten und von Profi-Klubs gemeinsam an Lösung für eine Verbesserung des Problems. "Die haben einen Leitfaden geschrieben, in dem es darum geht, was Vereine und Fanszenen gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt tun können." Ein Schwerpunkt des Papiers sind die bereits erwähnten Awareness-Konzepte, die heute in mehr als der Hälfte der deutschen Erst- und Zweitliga-Stadien angewendet werden.

"Viele Vereine haben sich das erste Mal überhaupt mit Sexismus auseinandergesetzt, sodass sich da wirklich etwas tut", sagt Sülzle. Dass das bitter nötig ist, zeigen zum Beispiel die Erlebnisse der Sängerin Mine.

Beitrag von Jonas Bürgener

15 Kommentare

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  1. 15.

    Das Problem dabei ist, dass erziehen nur bedingt gelingt. Wir "normaldenkenden Fans" alleine schaffen das nicht. Die Mehrheit der toxischen Männer hält ihr Verhalten für normal und uns für Weicheier. Deshalb habe ich geschrieben, dass Sexismus ein strukturelles gesellschaftliches Problem ist, das ganze Gesellschaft fordert. Erst wenn der letzte Politiker und der letzte Vereinspräsident Sexismus geächtet haben, kehrt Normalität ein.
    Mir ist klar, dass ihnen das jetzt nicht weiter hilft, angstfrei Zug zu fahren und es steht mir auch nicht zu, ihnen diesbezüglich einen Rat zu geben. Ich kann immer nur versuchen, dass ich in meinem Umfeld das mir Mögliche tue, damit sich Fußballfans zivilisiert verhalten.
    In den 70er/80er Jahren waren Frauen im Stadion eine Minderheit, heute sind es um die 30 Prozent, es wa für sie zum Teil ein steiniger Weg, akzeptiert zu werden. Der Fortschritt ist mitunter leider eine Schnecke. Inzwischen gibt es in der aktiven Fanszene viele engagierte Frauen.

  2. 14.

    Das Verhalten mancher(enthemmter)Fußballfans stellt nicht einzig ein Problem für Frauen dar. Auch ich, als nicht gerade kleiner und schmaler Mann vermeide wenn möglich die Zugnutzung, wenn sich auf der Strecke ein aktueller Spielort, gerade ab 2. Liga abwärts, befindet. @ Günter und @ Beispringen ist hilfreich - Ihre Erfahrungen und Vorschläge in allen Ehren gehalten - ein solches Vorgehen kann auch mal richtig ins Auge gehen. Selbst erlebt, da hilft dann auch keine Wortgewandtheit oder „nicht in die Augen schauen“.
    Mitfahrendes Sicherheitspersonal? Dann jedoch in angemessener Zahl, nicht nur um die Türen zu bewachen und bitte keine Sprüche wie „Die steigen doch eh in vier Stationen aus.“.
    Ein Verbot von Fankleidung im Zug ist totaler Blödsinn. Durch das Ablegen dieser, wird das Verhalten keinesfalls mit abgelegt. Übrigens, bitte niemals alle in einen Topf werfen und somit verallgemeinern.

  3. 13.

    Wenn mehrere Personen sich zusammenschließen um eine Überzahl zu schaffen, kann leichter Hilfe so geleistet werden, dass Betroffene weggeführt werden können..
    1. Betroffene mit Namen ansprechen....(der muss nicht stimmen)
    2. „Täter:innen“ nicht in die Augen schauen und provozieren
    3. Abstand groß genug halten
    Schnelles richtiges Handeln verblüfft!

  4. 12.

    Die Alternative ist, dass sich Frauen wegen ein paar toxischer Männer nicht mehr in Züge setzen können.
    Normaldenkende Fans müssen nur ihre toxischen Kameraden erziehen, dann kann man solche Regeln doch auch wieder aufheben

  5. 11.

    Weil sich toxische Männer nicht benehmen können, darf niemand mehr in "Fankleidung" zum Stadion fahren? Das kann nicht ihr Ernst sein!
    Ein kleines Erlebnis: Ich bin Fan des FC Barcelona und war im Frühjahr 2022 mit Freund*innen beim CL-Halbfinale der Frauen in Wolfsburg - selbstverständlich in Fankleidung. Mit uns auf derr Heimfahrt (der Zug kam aus Köln) waren auch recht vielen Hertha-Fans, viele nur an den Schals erkennbar, einige alkoholisiert, die meisten konnten sich benehmen. Ein paar Wenige aber nicht und denen reichte die Tatsache, dass wir bei einem Frauenspiel waren, um sexistische Sprüche zu kloppen. Aber nicht lange! Unsere Freundinnen sind selbstbewusste und couragierte Frauen und haben den Hertha-Jungs eine Lektion in weiblicher Schlagfertigkeit erteilt
    Erst wenn es solche Vorfälle nicht mehr gibt, ist das Problem Sexismus gelöst. Und weil es ein strukturelles gesellschaftliches Problem ist, bedarf es der Mithilfe Aller, um es zu lösen.

  6. 10.

    Das macht das dann wieder zu einem Problem der Frau - am Besten zu Hause bleiben? Gegenvorschlag: die Bahn checkt Spielpläne und lässt Sicherheitspersonal mitfahren. Und verbietet den Zutritt in Fankleidung. Bambule macht viel weniger Spaß in Zivil und die Ultras können ja Busse chartern

  7. 9.

    Genau das ist das Problem, das dieser Satz beschreibt! Sexisten sind immer nur die Anderen...

  8. 8.

    Es bleibt momentan einzig der Blick auf die Spielpläne, um zu Stoßzeiten womöglich ohne „enthemmter Fans“ mit dem Zug unterwegs zu sein. Spielorte mit dem eigenen Reiseverlauf abzugleichen und bei Bedarf alternative Routen zu finden.








  9. 7.

    Solche Urteile hier:

    »Das Problem ist nicht nur der männliche Fußball-Anhänger in der Kurve und in Fanzügen, sondern der Mann im Allgemeinen.«

    ...sind garantiert nicht hilfreich!

    Im Grunde steckt auch in dieser wenig geistreichen Behauptung jede Menge Sexismus.

  10. 6.

    Wenn mehrere Personen sich zusammenschließen um eine Überzahl zu schaffen, kann leichter Hilfe so geleistet werden, dass Betroffene weggeführt werden können..
    1. Betroffene mit Namen ansprechen....(der muss nicht stimmen)
    2. „Täter:innen“ nicht in die Augen schauen und provozieren
    3. Abstand groß genug halten
    Schnelles richtiges Handeln verblüfft!

  11. 5.

    Im Artikel wird beschrieben, dsass sich ein Teil der organisierten Fans dem Problem Sexismus im Fußball stellt; es gibt hierzu sogar einen Leitfaden.
    Zudem macht der Artikel darauf aufmerksam, dass Sexismus ein strukturelles gesellschaftliches Problem ist, wie dieses Zitat belegt: "Es wird erneut deutlich: Das Problem ist nicht nur der männliche Fußball-Anhänger in der Kurve und in Fanzügen, sondern der Mann im Allgemeinen."
    Wenn Sie im Zug belästigt werden und bekommen keine Hilfe, wird das Problem Sexismus überdeutlich!

  12. 4.

    So lange diese Täter nicht abschreckend verurteilt werden wird sich in der Zehne nichts ändern. Die DU DU Androhungen bringen doch nichts darüber lachen sich diese Chaoten doch nur kaputt.

  13. 3.

    Und was macht Frau nun sinnvoller Weise, wenn sie in einen Zug voller enthemmter Fans gerät? Mit einem 'die sind halt so, Kannste nix machen ' die Fahrt durchleiden kann ja nicht die Lösung sein. Mir fehlt hier die Opfersicht zwischen so viel Verständnis für Täter

  14. 2.

    3. Versuch: Ein "rückwärtsgewandtes Männerbild" kann man auch wählen. Oder eben nicht.

  15. 1.

    Ein objektiver Artikel!

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