Fragen und Antworten nach bundesweiter Razzia - So gefährlich sind "Reichsbürger" für die Demokratie

Sa 10.12.22 | 17:49 Uhr
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Symbolbild:Ein Reichsbürger zeigt seinen "Deutsches Reich-Reisepass".(Quelle:dpa/P.Seeger)
Audio: Antenne Brandenburg | 11.12.2022 | Andreas Poetzl | Bild: dpa/P.Seeger

Sogenannte "Reichsbürger" dominieren nach einer Razzia unter der Woche die Schlagzeilen. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff und inwiefern ist die Szene gefährlich für die Demokratie in Deutschland? Fragen und Antworten von Laura Kingston

Worin haben "Reichsbürger" ihren Ursprung?

1871. Das ist das Jahr, auf das sich sogenannte "Reichsbürger" beziehen - denn in diesem Jahr wurde das deutsche Kaiserreich begründet, das 1918 mit dem Ende des Ersten Weltkriegs endete.

Aber: Der Begriff stammt aus der jüngeren Vergangenheit. In den 1980er Jahre betrat Wolfgang Gerhard Günter Ebel laut der Antonio-Amadeu-Stiftung die Bildfläche der Reichsideologie. Er habe behauptet, von den Alliierten den Auftrag erhalten zu haben, die Führung des weiterhin existierenden "Deutschen Reiches" kommissarisch zu übernehmen. Bei dem Begriff der "Reichsbürger" handelt es sich um eine Eigenbezeichnung. Menschen, die den deutschen Staat in seiner jetzigen Form als nicht legitim ansehen, sich aber nicht auf ein bestimmtes Reich beziehen werden als "Souveränisten" oder "Selbstverwalter" bezeichnet.

Sind alle "Reichsbürger" rechtsextrem oder Neonazis?

Nach dem Rechtsextremismusbegriff der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin" (MBR) fallen alle Menschen in der "Reichsbürgerszene" unter den Oberbegriff "rechtsextrem". Darunter fallen laut Mathias Wörsching von der MBR auch "Neonazis". Und diese Milieus hätten wiederum Überschneidungen in bestimmten Teilen der Ideologie.

Der Verfassungsschutz hingegen geht bei etwa fünf Prozent der "Reichsbürgerszene", also rund 1.150 Menschen aus dem Milieu, von Rechtsextremisten aus.

Wer sind Reichsbürger?

Das eher vorangeschrittene Alter sei neben der Ideologie ein gemeinsames Merkmal der „Reichsbürger“ - sagt Mathias Wörsching, Politologe und Mitarbeiter der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin" (MBR): Offenbar ziehe die Szene keine jungen Menschen an. Ansonsten ließe sich das Milieu sehr schlecht über einen Kamm scheren: "Gerade die Razzien in den vergangenen Tagen haben gezeigt, dass das auch Menschen aus dem
Bürgertum sind, Unternehmer, Selbstständige, Staatsdiener.“ So seien eine Richterin und Offiziere dabei gewesen. Das Milieu umfasse entgegen einer verbreiteten Vorstellung nicht nur "gescheiterte Existenzen" oder Randgruppen. Dieses Phänomen könne die MBR "insgesamt für den Rechtsextremismus feststellen. Es hat in den letzten zehn bis 15 Jahren eine Verschiebung dahin gegeben, dass sich zunehmend auch Menschen aus
gehobenen bürgerlichen Milieus nach rechts radikalisieren", sagt Wörsching im Interview mit rbb|24.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zählt (Stand 2018) deutschlandweit ca. 18.000 Personen zum Milieu der "Reichsbürger" und "Souveränisten". Etwa 450 davon in Berlin. Im Jahr 2016 ging das BfV noch von deutschlandweit 10.000 Milieu-Anhängern aus.

Echte Gefahr oder "ein Haufen Spinner"?

Politikwissenschaftler und Soziologen bemängeln die Verharmlosung des "Reichsbürger"-Milieus. Nach Mathias Wörsching (MBR) werde das vor allem vom rechten politischen Spektrum wie der AfD unterstützt. "Die Verharmlosung finde ich erschütternd", sagt Wörsching im Interview mit rbb|24. "Ich frage mich, wann die Leute anfangen wollen, das ernst zu nehmen." Es werde übersehen, dass in der Szene auch Menschen seien, "die Zugänge zu wichtigen Institutionen und zu Waffen haben." Das sei brandgefährlich.

Was auch übersehen werde: Dass es in den vergangenen Jahren schon Angriffe aus der Szene gegeben habe. So zum Beispiel im Jahr 2016, als im bayerischen Georgensgmünd bei Nürnberg ein "Reichsbürger" einen SEK-Polizisten angeschossen und tödlich verletzt hatte.
Nach Wörsching würden auch Kommunalpolitiker zunehmend von Rechtsextremen bedroht. In seiner Beratungs- und Bildungsarbeit erzählten ihm auch Mitarbeitende der Berliner Verwaltung von negativen Erfahrungen mit "Reichsbürgern". Da sei ein hohes Aggressionspotenzial.
"Personen und Gruppen der Szene sind tickende Zeitbomben," sagt Wörsching - das mache sie für ihre Feindbilder – Juden, Migranten, Linke, demokratische Politiker und Journalisten - zur Gefahr.

Was haben Reichsbürger mit "Querdenkern" und "Corona-Gegnern" zu tun?

Die Proteste, die sich in den letzten Jahren gegen die Corona-Bestimmungen formiert haben, zogen Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus an. Die "Querdenker"-Bewegung habe, Mathias Wörsching zufolge, nie eine Abgrenzung zu "Reichsbürgern" oder anderen Rechtsextremen angestrebt. Damit seien diese von Anfang an "zu Demos und Kundgebungen eingeladen" worden, sagt der Politologe. Dementsprechend seien Menschen durch die Reichsbürger-Ideologie beeinflusst worden.

"Die Reichsbürger gaben eine Antwort auf die Frage: Wie kann es sein, dass eine Politik betrieben wird, die nach Auffassung der Querdenker von einem Großteil des Volkes abgelehnt wird? Wer ist der Schuldige, wer ist der Feind?", sagt Wörsching. Dementsprechend hätte das Milieu der Corona-Proteste teilweise Verschwörungserzählungen und Schlagwörter der "Reichsbürger" übernommen. "Da hat eine diffuse Proteststimmung mit Verschwörungsideologie zusammengefunden."

Was haben "Reichsbürger" mit der AfD zu tun?

Bei der Razzia am Mittwoch wurde auch die Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann festgenommen. Sie trat 2013 in die AfD ein und saß für die Partei von 2017 bis 2021 im Bundestag. Malsack-Winkemann gehört zum Rechtsaußenflügel der AfD. Auf dem Listenparteitag 2017 wiegelte sie nach rbb-Informationen mit einer radikalen Rede auf. Sie gilt als Anhängerin von Verschwörungsmythen.

Gleichzusetzen sind die AfD und das "Reichsbürger"-Milieu jedoch nicht.
Nach dem Politologen Mathias Wörsching wolle die AfD zumindest vorerst die "politische Macht innerhalb des politischen Systems" erobern. Es bestehe allerdings eine ideologische Nähe in puncto Rassismus und Nationalismus. Aber die Partei beschreite bislang noch den
"parlamentarischen Weg" und nicht den des Staatsstreichs.

Wie können Behörden gegen "Reichsbürger" vorgehen?

Besonders gefährlich sind Menschen aus dem "Reichsbürgermilieu", die im Staatsdienst stehen, also in der Justiz oder bei der Polizei arbeiten. Deshalb fordern Soziolog:innen und Politolog:innen, dass rechtsextreme Umtriebe in Behörden konsequenter verfolgt werden. Das sieht auch Mathias Wörsching von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin" (MBR) ähnlich: "Dass eine Richterin wie Malsack-Winkemann so lange im Amt war, obwohl ihre Gesinnung so lange bekannt war, ist ein fatales Zeichen." Es müsse schneller und härter reagiert werden, wenn Menschen aus dem Staatsdienst eine rechtsextreme Gesinnung an den Tag legten.

Sendung: rbb24 Radioeins, 09.12.2022, 13:20 Uhr

63 Kommentare

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  1. 63.

    Um mal bei diesem Niveau zu bleiben.
    Mit einer scharfen Schußwaffe und einem Geheimbündler fing schon ein Krieg an.

  2. 62.

    Richtig, aber es sind ja auch nicht die isolierten Leerdenker die gefährlich sind, sondern die tief in unserer Gesellschaft mit entsprechender Reputation verankerten und getarnten Drahtzieher, die die Dummheit und kruden Ansichten solcher Wirrköpfe für ihre eigenen Interessen gut zu nutzen wissen.

  3. 61.

    Richtig, aber es sind ja auch nicht die isolierten Schwachmaten die gefährlich sind, sondern die tief in unserer Gesellschaft mit entsprechender Reputation verankerten und getarnten Drahtzieher, die die Dummheit und kruden Ansichten solcher Wirrköpfe für ihre eigenen Interessen gut zu nutzen wissen.

  4. 60.

    Hier einmal einige Daten zu Putschen seit 1991
    Sowjetunion, August, 1991
    -8 Politbüro-Mitglieder festgesetzt
    -4000 Soldaten
    -350 Panzer
    -500 Transporter
    -beteilig der gesamte KGB-Apperat
    Türkei 2016
    -8000 Soldaten
    -35 Kampfflugzeuge
    -74 Panzer
    "Putschversuch" in der BRD 2022
    -1 Prinz
    -22 Rentner
    -1 scharfe Schusswaffe
    -mehrere tausend Euro
    -mehrere Dosenravioli
    -mehrere tausend Euro

  5. 59.

    Wenn es darum geht Rechtsextreme und deren Taten zu verharmlosen geht ist der oberste Sockenpuppenspieler nicht weit. :-D

    Fakt ist dass aktive und ehemalige KSK Elitesoldaten involviert sind, das können sie und ihre "Partei" nicht kleinreden.

  6. 58.

    Paul schreibt unter dem Namen schon seit Jahren, ohne einen anderen Namen zu benutzen. Aber vielleicht hilft Ihnen ein Besuch beim Arzt oder einer Ärztin weiter. Denn Sie sehen ja im Zusammenhang mit unterschiedlichen Namen wohl immer die gleiche Person?

  7. 57.

    Es gibt aber einen Unterschied zwischen Reichsbürgertum und Nationalsozialismus. Das scheint Ihnen nicht einmal geläufig zu sein. Nicht alle Rechtsextreme sind Nazis, genauso wenig wie alle Linksextremen Kommunisten sind.

  8. 56.

    Lassen Sie sich endlich mal was Neues einfallen. Ihre "verharmlosen" - Nummer zieht nicht, weil fern der Realität des Geschriebenen. Ihr Gepolter langweilt.

  9. 55.

    Keine Verdrehungen bitte. Es wurde "den Medien" angekündigt, nicht "in den Medien".

    https://www.tagesschau.de/inland/reichsbuerger-razzia-medien-101.html
    "Am Morgen der bundesweiten Razzia gegen Reichsbürger waren viele Medien bereits informiert und hatten ihre Berichte vorbereitet [...]"

    Ansonsten können Sie gern über FragDenStaat eine Anfrage an das Bundesinnenministerium stellen, wer wann wie vorher informiert wurde. Die Liste dürfte auch für die Allgemeinheit nteressant sein.

  10. 54.

    Bei aller Liebe, aber das Wort Rechtsstaat sollten gerade Sie nicht in den Mund nehmen, wenn Sie gleichzeitig Forderungen aufstellen, bei denen sich einem die Nackenhaare aufstellen müssen. Weggesperrt wird für seine Ansichten in einem Rechtsstaat gar niemand, auch keine Antidemokraten jeglicher Art. Denken darf jeder, was er will, sogar das Denken einstellen und daraus krude Theorien wie das Reichsbürgertum basteln. Ist alles legal. Bestraft werden ausschließlich strafbare Handlungen.

  11. 53.

    Leider wieder einmal ein politisch geprägtes Interview, welches mehr von politischer Voreingenommenheit geprägt ist, als von der Realität. Richtig ist, dass Reichsbürger nicht unterschätzt werden dürfen, dass eine Gefahr bezüglich Gewalttaten von ihnen ausgeht und diese Leute sich längst vom Staat abgewendet haben. Aber dass hier wieder alles in einen Topf geworfen wurde, was bestimmten politischen Kreisen nicht gefällt, ist unseriös und sachlich nicht haltbar und gleich gar nicht sind so ein paar Spinner und Durchgeknallte eine Gefahr für die demokratische Grundordnung und in der Lage, einen Putsch durchzusetzen. Wer sollte denen denn folgen. Es wäre erschreckend, wenn unsere Demokratie derart fragil wäre. Sicherlich ist es unstrittig, dass eine reale Gefahr für Einzelne bestand und das ist schlimm genug. Das Ganze aber zur Staatsgefahr aufzubauschen hat das Niveau einer Dramikkomödie und nicht von seriöser Berichterstattung.

  12. 52.

    Keine Ahnung was sie für Probleme haben, aber ich erinnere an den letzten geplanten Umsturz, wurde außer dem Luftgewehr noch was anderes gefunden?

  13. 51.

    Generalbundesanwalt Peter Frank, einst von Heiko Maas, SPD, für das Amt vorgeschlagen, erzählte dann, der Feind wollte eine „neue deutsche Armee“ aufbauen, ein Ansinnen, mit dem sich sogar gemäßigte, bürgerliche Kreise anfreunden könnten, seit Christine Lambrecht im Amt ist. Mit der Bewaffnung der Rebellen stand es übrigens ähnlich schlecht wie bei der Bundeswehr. Man fand eine anscheinend genehmigte scharfe Schusswaffe, Schreckschusswaffen, Prepper-Vorräte, aber wenigstens Tausende Euro Bargeld.

  14. 50.

    @Ansgar, wieder den Aufklärer mimen?
    Schon waren Presse, Funk und Fernsehen voll mit Berichten vom heldenhaften Einsatz der 3.000 Mann, die den Staat in letzter Sekunde vor dem Schlimmsten bewahrt hatten. Polizeiministerin Faeser durfte auf allen Kanälen des Staatsfunks wieder und wieder in den „Abgrund einer terroristischen Bedrohung“ blicken, außerdem waren den eifrigen Journos rechtzeitig alle verfügbaren Reizworte bereitgestellt worden: „Reichsbürger“, „AfD“, „Corona-Leugner“, „QAnon“, „Telegram-Kanäle“ und eine „russische Unterstützerin“ namens Vitalia B.Hannibal ante portas? Heinrich XIII. Prinz Reuß heißt der 71-jährige Mann, der statt mit Elefanten mit einer ehemaligen, auch nicht mehr ganz jungen Richterin aus Berlin, einem aktiven Bundeswehrsoldaten und einem suspendierten Polizisten aus der „Corona-Leugner“-Szene auf Berlin vorrückte, und „offenbar mit Waffen in den Reichstag eindringen“ wollte (Welt). Was für eine

  15. 49.

    "Frau Faeser sucht immer noch die Waffendepos , bis jetzt wurden aber nur Armbrust, Schreckschusspistolen und Maggidosen mit Bargeld gefunden. "

    Und die Anhänger und Sympathisanten dieser "Reichsbürger" suchen immer noch dümmere Ausreden um diese Truppe zu verharmlosen.

    Faeser braucht nicht zu suchen wenn zu dieser terroristischen Vereinigung aktive Polizisten und Elitesoldaten gehören. Da sind die Waffendepots bekannt.

    Und Big Max? Nicht sehr originell, Paul aka Günther aka Hans a Plast aka... und wie immer durch die immer gleichen Rechtschreibfehler enttarnt.

    "Waffendepos " Wie wäre es mal mit einem Deutschkurs an der VHS, anstatt hier mit unzähligen Sockenpuppen die Kommentarspalten mit rechter Propaganda zuzumüllen?

  16. 48.

    Ist das Aufmacher-Bild authentisch?
    Dieser Adler ist nämlich das Wappentier ("kleines Bundessiegel")der Republik, gestaltet 1921. Vielleicht wäre das doch eher nicht der richtige Bezug für Leute, die Demokratie und Rechtsstaat abschaffen wollen?
    (Ein Bild dieses "Reisepasses" habe ich auch schon auf tagesschau.de gesehen, aber das macht es ja noch nicht echter.)

  17. 47.

    Frau Faeser sucht immer noch die Waffendepos , bis jetzt wurden aber nur Armbrust, Schreckschusspistolen und Maggidosen mit Bargeld gefunden.

  18. 45.

    Falsch! Lesen Sie sich bitte die Kommentare durch. Hier wird schon oft von Verurteilung gesprochen und geschrieben. Und auf diesen Zustand habe ich hingewiesen, es gibt eine Staatsanwaltschaft und Gerichte, diese sind für die Ermittlungen/Verurteilungen zuständig. Und wo habe ich eine Täter/Opfer Umkehr betrieben? Auch habe ich nicht geschrieben, dass Extremisten demokratisch wären. Aber nochmaliges Lesen meines Kommentares kann sogar Ihnen weiterhelfen. Damit ist Ihr Versuch kläglich gescheitert.

  19. 44.

    Gut dass Frau Faeser jetzt endlich ein schärferes Waffengesetz fordert. Ich habe den Jägern und Schützen noch nie getraut!

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