Test zur Vier-Tage-Woche - "Für die Menschen hat sich deren Lebenszufriedenheit signifikant verbessert"
In vielen Ländern wird die Vier-Tage-Woche immer populärer; in Deutschland besteht noch Skepsis. Eine Studie zeigt nun: Arbeitnehmer fühlen sich deutlich besser. Carsten Meier, einer der Studienautoren aus Berlin, über Chancen für Arbeitnehmer und -geber.
- Sechs Monate lang testeten 45 Unternehmen in Deutschland die Vier-Tage-Woche mit verkürzter Arbeitszeit
- 90 Prozent der Mitarbeitenden gaben an, dass sich ihr Wohlbefinden verbessert hat. Auch Krankentage gingen leicht zurück. Stabil blieb hingegen die Produktivität mit Tendenz nach oben
- Die Einführung führte zu einer deutlichen Reduzierung sowohl der wöchentlichen Arbeitstage (-0,45 Tage) als auch der Arbeitsstunden (-3,95 Stunden). Zudem sanken die monatlichen Überstunden (-1,58 Stunden)
- Die große Mehrheit der Betriebe will mit der Vier-Tage-Woche weiterarbeiten
rbb: Herr Meier, was sagen die Beschäftigten, die die Vier-Tage-Woche sechs Monate lang ausprobiert haben? Sind sie zufrieden damit?
Carsten Meier: Ein großer, großer Teil ist zufrieden. Über 90 Prozent der Arbeitnehmenden sagen, sie würden gern weiter in der Vier-Tage-Woche arbeiten. Sie sagen aber auch, man müsste ihnen ungefähr 20 Prozent mehr Gehalt zahlen, um wieder in eine Fünf-Tage-Woche zu wechseln.
Für die Menschen hat sich deren Lebenszufriedenheit signifikant verbessert. Sie haben nicht so sehr ein besseres Bild von Arbeit, sondern ein besseres Bild von Arbeit und Leben zusammen. Sie haben vor allem Zeit für Familie, für Hobbys, was Teil des Alltags geworden ist. Das ist am Ende das, warum viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dem Kontext gesagt haben, so würden sie gerne weiter arbeiten und leben.
Die Arbeit muss ja gemacht werden. Organisieren sich die Leute in vier Tagen besser oder wie funktioniert das? Oder machen Sie heimlich am fünften Tag doch noch was fertig?
Das wäre so die typische These. In Wirklichkeit ist es so, dass sich die Überstunden signifikant reduziert haben. Wir müssen davon ausgehen, dass in weniger Zeit die gleichen Ergebnisse erzielt wurden - zumindest wenn man den Umsatz- und den Gewinndaten glaubt, die uns die Unternehmen berichtet haben. Das heißt, wir haben es schon mit einer Produktivitätssteigerung auf dem Papier zu tun.
Was die Führungskräfte und die Mitarbeitenden uns mitgeteilt haben, ist, dass sie sehr stark daran gearbeitet haben, wie können wir Prozesse verändern, wie können wir Dinge optimieren, wie können wir Dinge digitalisieren, wie können wir aber auch Zeiten im Alltag schaffen, wo wir bewusst nicht E-Mails schreiben, sondern wo wir uns fokussieren, unsere Aufgaben zu erledigen.
Das ist in diesem Kontext von Digitalisierung ein Thema, dass wir einfach sehr schnell sehr abgelenkt sind im Alltag. Dadurch können wie unsere Gedanken oder unsere Aufgaben nicht zu Ende bringen.
Darüber haben diese Unternehmen viel nachgedacht. Das ist auch das Wichtigste für mich, dass sie ihre Mitarbeitenden von Anfang an mit eingebunden und gefragt haben, wie würdet ihr den Alltag verändern, damit wir in weniger Zeit mehr schaffen. Diese Einbindung der Menschen macht am Ende einen großen Unterschied.
Zeigt die Studie, dass wir zu viel andere Dinge machen, die gar nichts mit der Arbeit zu tun haben?
Ja, Arbeit ist immer die Frage, wie man es definiert. Also zum Beispiel Meetings definieren wir ja auch als Arbeiten. Das ist ein ganz wichtiger Teil von Besprechungen oder E-Mails schreiben, Telefonate führen. Man könnte natürlich aber auch sagen, den wirklichen Mehrwert für Kunden beispielsweise liefere ich nicht in einem Meeting, sondern bestenfalls, wenn ich ein Produkt entwickle, das verschicke und so weiter.
Es müsste darüber nachgedacht werden, wie viel von diesen Austauschformaten braucht man? Wie kann ich die besser organisieren, um eben am Ende auch mehr zu erreichen? Das ist glaube ich eine wichtige Frage und die hat aber dann auch viel mit Führung, mit Kultur, mit Organisation zu tun. Deswegen geht es am Ende nicht nur um den freien Freitag beispielsweise, sondern eben um viel mehr, nämlich wie organisieren wir Arbeit zukünftig besser.
Während in Großbritannien fast alle Unternehmen die Vier-Tage-Woche beibehalten wollen, gibt es bei Ihren Testunternehmen trotz positiver Stimmung eine gewisse Zögerlichkeit. Woran liegt das?
73 Prozent der Unternehmen haben sich entschieden, weiterzumachen. Ich würde das erstmal als eine große positive Zustimmung wahrnehmen. Aus meiner Sicht ist der Grund, warum das keine 90 Prozent sind, wie zum Beispiel in England, dass wir hier in Deutschland sind und das einfach der typische Deutschlandfaktor ist. Wir sind eben nicht so enthusiastisch, einer neuen Idee immer direkt den vollen Glauben zu schenken. Ich denke, das ist auch gut.
Das heißt, wir haben Unternehmen dabei, die die Vier-Tage-Woche noch nicht umsetzen, sondern erstmal durch ihre Gremien gehen wollen, die weiter diskutieren und sich nochmal neu entscheiden, setzen sie das jetzt um oder nicht.
Wir haben Unternehmen dabei, die gesagt haben, für uns hat diese Vier-Tage-Woche gefühlt weniger Flexibilität. Es war herausfordernder, Sachen zu organisieren, insbesondere beim produzierenden Gewerbe, die sich deswegen für andere Formen entschieden haben, wie sie attraktiver werden können für Arbeitnehmende. Und das ist total richtig.
Am Ende geht es nicht darum, etwas zu finden, was für alle Branchen, für ganz Deutschland das Richtige ist, sondern eben Menschen oder Unternehmen zu helfen, sich auf den Weg zu machen, was passt eigentlich zu mir und was ist da die beste Lösung.
Kann man das so pauschal sagen, dass das produzierende Gewerbe tendenziell eher weniger geeignet ist? Geht es eher um Branchen, wie beispielsweise Dienstleistungs-, Servicebereiche und Unternehmensberatungen?
Das kann man nicht so sagen. Wir haben zwei eher größere Unternehmen gehabt, die diesen Prozess abgebrochen haben. Daraus würde ich zumindest implizieren können, dass größere Unternehmen möglicherweise bereits effizient und durchstrukturiert aufgestellt sind, dass es sehr viel schwieriger fällt, Produktivitätsgewinne mit weniger Zeit umzusetzen. Das wäre eine These, die man stellen könnte. Ob das im produzierenden Gewerbe schwieriger ist, können wir zumindest mit der Studie nicht belegen.
Wir sehen zum Beispiel aber auch, dass Handwerksbetriebe oder Kitas positive Effekte verzeichnen konnten.
Dieses Vorurteil passt nur für Menschen, die am Laptop arbeiten oder im Dienstleistungsgewerbe unterwegs sind. Da würde ich auf jeden Fall nicht mitgehen.
Ich denke, in Organisationen, wo Produktivitätsgewinne nicht mehr so leicht erreichbar sind, wird es definitiv schwieriger und braucht möglicherweise mehr Zeit und mehr Gehirnschmalz, um diese Ergebnisse zu erreichen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Carsten Meier führte Jan Pallokat für rbb24 Inforadio. Hier handelt es sich um eine gekürzte Fassung, das ganze Gespräch können Sie in dem eingebundenen Audio hören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.11.2024, 11:05 Uhr