Razzien auch in Berlin und Brandenburg - 25 Festnahmen in "Reichsbürger"-Szene - Gruppe soll Staatsumsturz geplant haben
Ein bundesweites Netzwerk soll einen Umsturz in Deutschland geplant haben. Am Mittwochmorgen rückten bundesweit Tausende Polizisten aus, auch in Berlin und Brandenburg. Es gab 25 Festnahmen – darunter auch eine Berliner Richterin.
- In ganz Deutschland gab es am Mittwochmorgen eine Razzia gegen eine bewaffnete Gruppe aus der Reichsbürger-Szene
- 25 Menschen wurden festgenommen - darunter eine Berliner Richterin
- Laut Bundesanwaltschaft sollen sie zu einer Gruppe gehören, die einen Staatsumsturz plante
- Zu der Gruppierung sollen sogenannte "Reichsbürger" und "Querdenker" gehören
Mit einem Großeinsatz ist die Polizei bundesweit gegen eine mutmaßlich terroristische Vereinigung aus dem Reichsbürger-Milieu vorgegangen. 25 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Gruppe wurden am Mittwochmorgen festgenommen - eine Person davon in Berlin.
Die Vereinigung hatte laut Bundesanwaltschaft das Ziel, "die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen".
Ein Teil der Verdächtigen soll geplant haben, gewaltsam in den Bundestag einzudringen. Das sagte Generalbundesanwalt Peter Franke am Mittwochnachmittag bei einer Pressekonferenz. Acht der festgenommenen Verdächtigen seien inzwischen in Untersuchungshaft.
Festgenommene Berliner Richterin wohl für Posten in "Schattenkabinett" vorgesehen
In Berlin wurde die Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann festgenommen. Nach ARD-Informationen soll die Gruppierung in Vorbereitung auf die geplante Machtübernahme eine Art "Schattenkabinett" gebildet haben. Für das Justizressort sei Malsack-Winkemann vorgesehen gewesen.
Es ist nicht das erste Mal, dass es Zweifel an der Verfassungstreue von Birgit Malsack-Winkemann gibt. Im Sommer hatte die Berliner Justizsenatorin vergeblich versucht, die Richterin wegen diskriminierender Äußerungen in den Ruhestand versetzen zu lassen. Malsack-Winkemann ist seit ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag im vergangenen Jahr wieder als Juristin in Berlin tätig.
Nach Angaben der Senatsinnenverwaltung war das die einzige Festnahme in der Hauptstadt. Es habe Durchsuchungen in der Wohnung und in einem Lagerraum der beschuldigten Richterin gegeben.
Die 58-Jährige wurde am Mittag per Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen, wo Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof ihren Sitz haben. Das teilte Staatssekretär Torsten Akmann mit.
Video auf Twitter: ARD-Kontraste bei Razzia vor Ort
Querdenker, Verschwörungsmythen und ein Prinz
Die mutmaßlich terroristische Vereinigung soll spätestens Ende November 2021 gegründet worden sein. Es seien Strukturen geplant und Ausrüstung beschafft worden. Es habe auch Schießtrainings gegeben.
Nach Recherchen des SWR und des ARD-Hauptstadtstudios [tagesschau.de] gehören auch gewaltbereite "Querdenker" zu den Mitgliedern. Laut Bundesanwaltschaft begründete sich die Gruppe auf Verschwörungsmythen.
Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines "tiefen Staats", regiert werde, hieß es in einer Mitteilung. Dahinter versteckt sich die Idee, im Hintergrund von politischen Entscheidungen zögen geheime Mächte die Fäden.
Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer "Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen". Die Gruppe soll laut Bundesanwaltschaft auch schon mit Vertretern Russlands Kontakt aufgenommen haben. Die russische Botschaft in Berlin wies aber jegliche Verbindungen zu solchen Gruppen in Deutschland zurück.
Mutmaßliche Mitglieder waren in Bundeswehr aktiv
Nach bisherigen Erkenntnissen sollte ein "militärischer Arm" der Gruppe den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen "beseitigen", wie die Bundesanwaltschaft mitteilte. Der Vereinigung sei bewusst gewesen, dass es dabei voraussichtlich auch zu Gewalt und Toten gekommen wäre. "Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten 'Systemwechsels auf allen Ebenen' zumindest billigend in Kauf."
Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet. Angehörige des "militärischen Arms" hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, "um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren", hieß es weiter.
Drei Soldaten unter Verdächtigen
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte, dass auch ein Mitglied des Kommandos Spezialkräfte (KSK) festgenommen wurde. Insgesamt seien drei Soldaten unter den Verdächtigen.
Ausgangspunkt für die Ermittlungen und die Razzia sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zur Gruppe "Vereinte Patrioten" sein. Diese wurden im April festgenommen und sollen geplant haben, dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.
Behörden: Etwa fünf Prozent der "Reichsbürger" sind rechtsextrem
"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Oft stehen sie im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu. Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1.150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene "Reichsbürger und Selbstverwalter" 1.011 extremistische Straftaten zu.
Innenministerin Faeser: "Abgrund einer terroristischen Bedrohung"
Bei der Razzia am Mittwoch wurden in ganz Deutschland mehr als 150 Objekte durchsucht. Rund 3.000 Beamte waren den Angaben zufolge in elf Bundesländern im Einsatz. Nach den Worten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lassen die Ermittlungen "in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem 'Reichsbürger'-Milieu blicken".
Durchsuchungen fanden laut Berliner Polizei in Wannsee und Mariendorf statt. Die Brandenburger Polizei teilte auf rbb-Nachfrage mit, dass Einsatzkräfte auch in Elbe-Elster und Potsdam-Mittelmark im Einsatz waren.
Auch Festnahmen in Österreich und Italien
Insgesamt wirft die Bundesanwaltschaft 52 Frauen und Männern vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben. Die Gruppenmitglieder verbindet demnach ihre tiefe Ablehnung der demokratischen Institutionen.
Von den insgesamt 25 Festgenommenen sollen 22 Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon gelten als Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Eine mutmaßliche Unterstützerin hat die russische Staatsangehörigkeit. Eine Festnahme fand in Österreich und eine in Italien statt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.12.2022, 8 Uhr
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