Gewalt gegen Rettungskräfte an Silvester - "Der Staat und 'die da oben' werden dann als etwas Feindseliges angesehen"

Di 03.01.23 | 15:13 Uhr
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Feuerwehrmänner löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war (Bild: dpa/Paul Zinken)
Audio: rbb24 Inforadio | 03.01.2023 | J. Wiener | Bild: dpa/Paul Zinken

Die Angriffe auf Rettungskräfte in der Silvesternacht haben eine Debatte ausgelöst: Wer wendet da Gewalt gegen Rettungskräfte an? Der Sozialpsychologe Ulrich Wagner von der Universität Marburg hat verschiedene Erklärungen.

rbb: Herr Dr. Wagner, es ist schwer begreiflich - warum greifen Menschen Rettungskräfte und Feuerwehrleute an?

Ulrich Wagner: Das ist in der Tat etwas, wo man sich die Frage stellt: Was hat man davon? Wenn jemand sich der Polizei entziehen will und dabei die Polizei angreift - das kann man noch in etwa nachvollziehen.

Ich glaube, es sind zwei wesentliche Ursachen, die hier eine Rolle spielen. Es ist auf der einen Seite das, was in einer solchen Situation ganz konkret passiert. An Silvester sind Gruppen junger Menschen beieinander, man trinkt viel Alkohol. Es ist eine Stimmung zwischen heiter und aggressiv - und dann tauchen Rettungskräfte auf, Polizei oder Feuerwehr. Dann geraten die in die Aufmerksamkeit. Und dann ist es wiederum eine Mischung aus Attacke und Scherz, dann gegen Polizei oder Feuerwehr vorzugehen. Das ist die Erklärung, die sich aus der Situation ergibt.

Zur Person

Prof. Dr. Ulrich Wagner ist Sozialpsychologe im Ruhestand an der Universität Marburg. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem bei den Themen Intergruppenkonflikte, Aggression und Gewalt, Prävention und Evaluation.

Auf der anderen Seite müssen wir uns natürlich die Frage stellen: Wer ist das? Denn wir haben einen merkwürdigen Gegensatz: Die polizeiliche Kriminalitätsstatistik weist über die letzten 15 Jahre hinweg aus, dass Gewalt insgesamt in Deutschland eher zurückgeht. Auf der anderen Seite haben wir diese merkwürdigen Formen von Gewalt, die deutlich zuzunehmen scheinen. Das legt die Vermutung nahe, dass wir es hier bei Gewalt gegen Feuerwehr und Polizei und Rettungskräfte mit einer kleinen Gruppe zu tun haben, die eigene Vorstellungen zum Umgang mit staatlichen Institutionen und zum Umgang mit Gewalt entwickelt hat.

Wir haben mit einem Feuerwehrmann gesprochen, der mittendrin war und massiv angegriffen wurde. Er sagte, die Angreifer hätten größtenteils einen Migrationshintergrund gehabt und sagte, er habe selbst einen Migrationshintergrund - fange aber auch an zu stigmatisieren.

Auf der einen Seite haben wir eine Debatte darüber, dass 50 Prozent der Täter Migrationshintergrund haben. Gleichzeitig müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass in der Altersgruppe, über die wir reden, die 18- bis 26-Jährigen, 50 Prozent der Menschen in vielen urbanen Gegenden sowieso Migrationshintergrund haben. Ob also Menschen mit Migrationshintergrund da häufiger auftauchen oder nicht, ist nicht so ganz klar.

Aber natürlich muss man die Frage stellen: Gibt es besondere Gruppen, die hier besonders auffällig werden? Und es reicht natürlich nicht, die Gruppen dann zu benennen und zu sagen "Das sind Menschen mit Migrationshintergrund", sondern man muss die nächste Frage stellen: Was sind die besonderen Lebensbedingungen, denen diese Menschen ausgesetzt sind, die sie dazu veranlassen, sich so unakzeptabel zu verhalten?

Ein prominentes Modell zur Erklärung dieser Form von aggressivem Verhalten ist: Es handelt sich um Menschen, bei denen Integration und Partizipation noch nicht so recht gelungen ist. Und das hat etwas damit zu tun, wie gut die Partizipationsangebote unserer Gesellschaft für einen Teil junger Menschen sind. Wie gut sind die Möglichkeiten, in einen befriedigenden Job zu kommen? Wie gut ist allen jungen Menschen erklärt, dass sie sich politisch beteiligen können und den Staat nicht als Feind ansehen müssen? Und wie gut können sie sich in soziale Netzwerke, in persönliche Netzwerke eingliedern?

All das sind Fragen, die wir beantworten müssen, denn wenn an dieser Stelle etwas schief läuft, also bei den Ausgangslagen von gelingender Sozialisation, dann kommt es zu solchen Subgruppen-Bildungen, in denen sich dann eben eigene Vorstellungen von der Akzeptanz von Gewalt entwickeln und in denen Staat und "die da oben" als etwas Fremdes und Feindseliges angesehen werden, gegen die es legitim ist, vorzugehen.

Sehen sie diese Diskussion oder blenden wir das aus?

Es gibt bereits eine Diskussion dazu seit etwa zwei oder drei Jahren. Denn wir haben ähnliche Ereignisse, wie wir jetzt an Silvester gesehen haben, in den Corona-Sommern gehabt. Diese Freitagsnacht-Randale, wo es dann gegen Polizei aber auch gegen Hilfskräfte ging - das war eine ähnliche Erscheinung, auch wenn da natürlich keine Feuerwerkskörper eingesetzt wurden. Seitdem gibt es diese Diskussion - und wir müssen sie intensiv fortsetzen, weil es nicht nur um Gewalt gegen Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizei geht, sondern auch um die Frage, ob sich hier eine kleine Gruppe aus der Gesellschaft absetzt - und das wäre wirklich gefährlich.

Ich danke ihnen für diese Einordnung.

Das Interview führte Klemens Schulze für rbb24 Inforadio.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.01.2023, 09:05 Uhr

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45 Kommentare

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  1. 45.

    @ Pit: Ihre Täter-Opfer-Umkehr ist unerträglich. Ebenso unerträglich ist, dass Sie jeden, der hier die Wahrheit ausspricht, in die rechte Ecke stellen und somit denunzieren.

  2. 44.

    Fakt ist: die Täter sind hauptsächlich Migranten! Unfassbar, wie einige die Realität nicht anerkennen wollen. Wenn dieses Problem nicht klar benannt und angegangen werden wird, kann es auch nicht gelöst werden.

  3. 43.

    Wenn wir Krawalle in unseren Großstädten, Verachtung gegenüber dem Staat und Übergriffe gegen Polizisten und Feuerwehrleute wirklich bekämpfen wollen, müssen wir auch über die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp sprechen. Um es korrekt zu sagen.“

  4. 42.

    "Sorry, ich muss kein Täterversteher sein und werden." Das nüssen sie auch nicht, sondern nur den Verstand benutzen statt sattsam bekannte Vorurteile zu wiederholen.

    Für den Anfang genügt es sich den Artikel durchzulesen und verstehen zu versuchen. Beides haben sie nicht getan. Sonst wüßten sie auch den Bezug auch zu den Corona-Sommern.

  5. 41.

    "Eine kleine Gruppe fällt aber immer wieder negativ auf."
    Ja und wie DIESE zu isolieren, beobachten, verurteilen - der deutsche und EU-Datenschutz hat die Schlupflöcher!
    Rechte und AFD haben Beobachtungstechnisch mehr Aufmerksamkeit und sind bei weitem kritischer zu beurteilen.
    Warum auch nicht, wir haben ja ne böse Geschichte.
    Aber die Gegenwart äußert sich vielfältig, so schätze ich das Gegenwärtige ein.
    Und sorry, Klima und Umwelt kommt da bei mir maximal an zweiter Stelle.

  6. 40.

    Angeblich gab es keine ausreichenden Haftgründe und deshalb seien die Täter wieder auf freiem Fuß. Gut dachte ich mir, vermutlich sind die Gefängnisse bis zum Anschlag voll. So war es noch vor einigen Jahren. Ich war dann doch einigermaßen überrascht, dass trotz der hohen Kriminalität die Gefängnisse in Berlin geradezu leer sind.
    https://www.berlin.de/justizvollzug/service/zahlen-und-fakten/belegungsstatistik/
    Das mag wohl damit zusammenhängen, dass die Täter kaum noch inhaftiert werden. Auch in anderen Bundesländern wird gelockert, weil Gefängnissplätze teuer sind. In Berlin wächst sich das aber offenbar so aus, dass selbst bei äußerst gefährlichen Straftaten nicht mehr inhaftiert wird

  7. 39.

    Feuerwehrleute sind aber nicht „die da oben“!

  8. 38.

    Die in Berlin festgenommenen 159 Randalierer sind übrigens laut Presseberichten alle wieder auf freiem Fuß. Welche Botschaft eine derart kurze Sanktion an die Täter sendet, kann sich jeder denken. Nur Deutschlands regierende Innenpolitiker können oder wollen das offenbar nicht. Sie machen jedenfalls keine Anstalten, die Sanktionsmöglichkeiten zu verschärfen und ihre Durchsetzung zu forcieren. Die vielen verherrlichenden Posts in den sozialen Medien, die die Gewalttaten offen feiern, beweisen, wie wenig man den Arm des deutschen Gesetzes auf Seiten der Randalierer fürchtet. Nicht nur die Gewalt, sondern auch der Hohn, mit dem diese Menschen dem deutschen Staat begegnen, dessen Bürger sie doch auch sind oder es werden sollen, scheint die obersten Repräsentanten dieses Staates nicht sonderlich zu stören.

  9. 37.

    Na @Pit, wieder überall nur Rechtsradikale und Nazis?
    Ist das schon pathologisch?
    Oder geht es Ihnen um die Deutungshoheit, weil sonst die Übergriffe auf die Polizei, der Feuerwehr und anderer Rettungskräfte aus Kreisen Ihresgleichen kamen? 1.Mai, Rigaer Straße, Köpenicker, z.B.

  10. 34.

    Was soll den den Straftätern gerade hier passieren??
    Wie seit Jahren hatten mal wieder eine schlechte Kindheit und werden von Sozialarbeiter unterstützt.
    Eigenartiger Weise sind Menschen nach 45 keine Gewalttäter geworden , die mit Sicherheit keine schöne Kindheit hatten und die Familien nichts vom Staat bekommen haben.
    Berlin was wird aus dir in Zukunft

  11. 33.

    Ja. Aber bestimmte Themen und Formulierungen auszublenden, nur weil diese auch von den extremen Rändern dann für eigene Zwecke mißbraucht werden, ist auch keine Lösung.

  12. 32.

    "un wird aber z.B. die Sonnenallee von gewissen Volksgruppen aus Bürgerkriegsregionen dominiert wie auch andere in der sozialen Medien deutlich gezeigt haben, dass die zu Recht zu den üblichen Verdächtigen gehören. "

    Wer ist Elias? Und für ihre rechtsextremen Vorurteile habe ich Null Verständnis. Egal ob sie sich hier Wossi oder Alfred E. Neumann nennen.

  13. 31.

    Merkwürdiger Bezug auch zu den Corona-Sommern.
    Habe dort zumindest keine brennenden Häuser und Busse gesehen.

  14. 30.

    Jetzt muss ich mich fragen, wieso andere Feuerlöscher in Krankenwagen schmeißen oder in Polizeiautos reinschießen?
    Geht's noch?
    Es gibt Hunderttausende Offene Stellen.
    Zehntausende Offene Lehrstellen.
    Dazu noch Bürgergeld.
    An Chancen mangelt's wohl kaum.
    Eher wohl am Willen.
    Aber wenn man Häuser anzündet, hat man wohl eh keine Lust auf Arbeit.
    Und ich möchte nicht wissen, was diese Randalierer noch für Straftaten begehen, wo sie an Geld kommen.
    Sorry, ich muss kein Täterversteher sein und werden.

  15. 29.

    Da ist was Wahres dran.

    "Die Integrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln, Güner Balci, sagte im Deutschlandfunk, in Großstadtvierteln "mit schwierigen sozialen Problemlagen" sei zu beobachten, "dass wir Kinder und Jugendliche haben, die mit häuslicher Gewalt als Alltag aufwachsen". Diese Jugendlichen seien zwar auch in diesen Vierteln nur eine Minderheit, "allerdings reicht ein Einziger, um ein ganzes Haus zu terrorisieren"."

  16. 28.

    Dem Elias hätte es auch nicht gefallen, dass man Roß und Reiter beim Namen nimmt. Nun wird aber z.B. die Sonnenallee von gewissen Volksgruppen aus Bürgerkriegsregionen dominiert wie auch andere in der sozialen Medien deutlich gezeigt haben, dass die zu Recht zu den üblichen Verdächtigen gehören.

  17. 27.

    "Weshalb schaffen es der Andreas und der Justus sich gesellschaftlich zu integrieren? "

    Wo haben sich Rechtsextreme in Brandenburg gesellschaftlich integriert wenn dort ganze Landstriche Rechtsextremisten mit bis zu 20 % gewählt werden?

    Zumal einer der Rechtsextremisten mit Vornamen ausgerechnet Andreas heißt?

  18. 26.

    Nach Merz leistet sich der nächste cDU Politiker absichtliche Entgleisungen um sich bei rechtsextremen Wählern anzubiedern.

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