Pilotprojekt in Berlin-Lichtenrade - Grundschule sperrt Zufahrtsstraße wegen "Elterntaxis" zeitweise ab
In der zweiten Reihe oder auf dem Bürgersteig parken, ein wildes Wendemanöver fahren - dazu kommt es, wenn viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto vor der Schule absetzen. Eine Grundschule sperrt die Zufahrtsstraße deshalb ab - vier Wochen lang. Von Anna Bordel
Ein Sechstklässler fährt mit dem Fahrrad zu Schule, ist fast da. Auf der Straße wird er von einem Postauto zur Seite gedrängt, stürzt und schlägt mit dem Kopf auf der Bordsteinkante auf, sein Helm zerbricht. "Der Junge lag schreiend zwischen den Autos und niemand hat ihm geholfen", das sei im Sommer 2021 passiert, so erzählt es Jens Otte und so etwas möchte er nicht noch einmal erleben.
Seit zehn Jahren ist er Schulleiter der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Berlin-Lichtenrade. Seitdem beobachtet er, dass vor seiner Schule zu Bring- und Abholzeiten immer mehr Autos stehen, wenden und parken. Jetzt ist er froh, dass etwas passiert. Dafür packt er auch selbst mit an.
Fünf Eltern und er haben sich an diesem Morgen um kurz vor sieben Uhr vor dem Haupteingang der Schule versammelt, einige haben Schilder dabei, alle tragen Warnwesten. Jeweils zu dritt sperren sie die Straße für Autos mit weiß-roten Zäunen ab und bewachen die Absperrung eine halbe Stunde lang, dann bauen sie sie wieder ab.
Eltern können Kinder weiterhin vor dem Hintereingang absetzen
Seit einer Woche machen sie das so. Grund für die Absperrung sind vor allem die zahlreichen Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen und dabei vor dem Eingang in zweiter oder dritter Reihe halten - sogenannte Elterntaxis. "Vielen ist vor allem wichtig, dass ihr eigenes Kind sicher zu Schule komme", so Otte, dabei würden sie aber andere gefährden.
Seit drei Jahren versuchen Eltern der Schule beim Bezirk Tempelhof-Schöneberg Maßnahmen durchzusetzen, um den Verkehr um die Schule zu reduzieren. Der Unfall mit dem Jungen im Sommer 2021 beschleunigte das Verfahren, meint Otte. Das Pilotprojekt "Schulstraße" wird es nun für vier Wochen geben, einzigartig in Berlin, danach ist erstmal wieder alles beim Alten.
Eltern können ihre Kinder während des Projekts trotzdem mit dem Auto zur Schule bringen, sie am Hintereingang der Schule, oder einfach in einer der zahlreichen Nebenstraßen absetzen. So macht es auch ein Vater mit seinen zwei Söhnen an diesem Morgen. Er parkt einfach vor der Absperrung und es lässt die Kinder hinaus. "Ich wohne einfach zu weit weg und muss sie daher mit dem Auto bringen. Gut finde ich das Projekt trotzdem", sagt er.
Insgesamt sei das Projekt in der ersten Woche sehr gut angelaufen und von den meisten Eltern gut angenommen worden, so Otte. Während es in den ersten Tagen noch etwas Verkehrschaos vor den Absperrungen gegeben hätte, habe sich die Situation mittlerweile beruhigt.
Ohnehin würden die meisten Eltern in der nahen Umgebung der Schule wohnen, sagt Otte. Die Schule liegt in einem verkehrsberuhigten Viertel mit vielen Reihen- und Einfamilienhäusern. Ob sich der Verkehr nun in den Nebenstraßen abspiele, soll Otte zufolge eine Auswertung des Bezirks nach Abschluss der Projektphase zeigen.
Bezirk kann wenig "alleine" regeln
Auch der Bezirk freut sich. "Der Erfolg und die Resonanz bestärkt mich, dass diese Aktion ein Modellcharakter für viele Schulen haben könnte", sagt Verkehrsstadträtin Saskia Ellenbeck (Bündnis 90/ Die Grünen) aus dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg. In fast allen Grundschulen dürfte es ein Thema sein, wie die Kinder den Schulweg möglichst sicher bewältigen können. Alleine könne der Bezirk derartige Projekte allerdings nicht langfristig voranbringen, meint Ellenbeck.
"Ich würde mir wünschen, dass wir als Kommune viel mehr Freiheiten bekommen, schnell und unbürokratisch im Umfeld von Schulen Maßnahmen wie Zebrastreifen, verkehrsberuhigte oder autofreie Bereiche oder andere Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit einzurichten", das verhindere leider noch an vielen Stellen die Straßenverkehrsordnung und das Bundesverkehrsrecht, so Ellenbeck. Den Zebrastreifen oder eine Erhöhung der Straße, die sich Eltern der Bruno-H.-Bürgelstraße wünschten, wird es daher erstmal nicht geben. Die Straße sei dafür zu schmal, so Schulleiter Otte.
Eine Dauerlösung durch ihn und Eltern ist die Sperrung nicht, das weiß auch Otte. "Die Eltern können hier nicht 365 Tage im Jahr stehen", sagt er. Eine dauerhafte Lösung könnten seiner Meinung nach Schilder sein, die den Autoverkehr zeitlich einschränken.
Dass das eine Veränderung bringt, bezweifeln einige. "Schilder werden nichts bringen", meint eine Anwohnerin. "Muttis, die ihre Kinder zu spät zu Schule bringen" werden hier doch weiter mit 50, 60 Sachen die Straße entlang brettern", sagt sie. Eine Mutter, die ihr Kind stets zu Fuß zur Schule bringt, denkt ähnlich. Die nächsten drei Wochen können sie dies allerdings nicht - dafür sorgen Otte und die anderen Eltern. Wie es nach dem Pilotprojekt weitergeht ist bisher noch unklar.
Sendung: rbb 88.8, 19.04.2023, 08:57 Uhr