Artenvielfalt im Berliner Grundwasser - Älter als die Dinosaurier
Mikroskopisch kleine Wesen leben im Grundwasser unter Berlin. Manche Arten sind älter als 300 Millionen Jahre. Doch der Lebensraum wird durch Klimawandel und Mensch bedroht. Ein Projekt soll die Winzlinge nun erforschen. Von Elena Deutscher
Kleine Krebstiere, Würmer, Bakterien und Pilze tummeln sich in Berlins größter Trinkwasserquelle, dem Grundwasser. Klingt eklig, ist aber nützlich, denn die Tierchen machen das Wasser sauberer, indem sie zum Beispiel Schadstoffe herausfiltern.
Die Mikroorganismen und Kleinstlebewesen im Grundwasser sind perfekt an ihr Lebensumfeld angepasst: permanente Dunkelheit, niedrige und gleichbleibende Temperaturen sowie geringe Nähr- und Sauerstoffkonzentration. Es ist ein Lebensraum nur für Spezialisten.
Doch Veränderungen bringen diese Spezialisten auch schnell in Gefahr: Klimawandel, oberflächennahe Geothermie und hoher Wasserbedarf bedrohen das Leben unter den Füßen der Berliner. Jeder U-Bahntunnel, jede Tiefgarage und jede versiegelte Fläche erwärmen das Grundwasser zusätzlich. Wird es zu warm, kann das tödlich für die Lebewesen sein [daserste.de]. Auch intensive Landwirtschaft kann die Organismen bedrohen, wenn Dünger oder Pestizide ins Grundwasser gelangen.
Probleme mit Sulfatbelastung
Christian Schweer vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) stellt Berlins Grundwasser schon heute ein schlechtes Zeugnis aus: "Von der chemischen Situation wissen wir, dass es dem Grundwasser nicht gut geht. In Berlin haben wir zum Beispiel vor allem Probleme mit Sulfat." Die Verunreinigungen kommen, wie Scheer erklärt, von undichten Kanälen und durch die Folgen des Bergbaus unter anderem auf Brandenburger Gebiet, vor allem in der Lausitz. "Das sulfathaltige Wasser kommt dann auch bis nach Berlin", sagt Schweer. In dem BUND-Projekt "Lebendiges Grundwasser" untersucht er gemeinsam mit Berlinern und Berlinerinnen das Wasser und nimmt an verschiedenen Schwengelpumpen Proben.
Dass das Grundwasser auch ein Lebensraum ist, sei vielen nicht bewusst, sagt Schweer. Mit dem Projekt will er deswegen Aufmerksamkeit auf die Organismen im Untergrund lenken, wie er sagt. Außerdem sollen Handlungsempfehlungen entwickelt werden, die dann Berliner Behörden bei Planungs- oder Genehmigungsentscheidungen helfen sollen, das Grundwasser besser zu schützen. Das Projekt läuft noch bis Ende September - im Spätsommer oder Frühherbst sollen die Empfehlungen fertig sein.
250 Grundwassertiere sind in Deutschland bekannt
Die Beprobungen macht der studierte Umweltpolitologe Christian Schweer mit seiner Kollegin Sophie-Christin Holland. Zusammen untersuchen sie die Mikroorganismen und kleinen Tierchen. "Nur das, was man wirklich kennt, kann man auch schützen", sagt Holland.
Gemeinsam mit den ehrenamtlichen Grundwasserpaten und -patinnen im BUND-Projekt mikroskopieren Schweer und Holland die Proben aus den Schwengelpumpen. Immer gespannt, welches Tierchen sich dieses Mal entdecken lässt: Ein Hüpferling? Oder ein kleiner Springschwanz? Der Berliner unter den Grundwasserbewohnern ist aber ein anderer: "Die Milbe haben wir am häufigsten in den Proben", erklärt Holland.
Bisher haben Forscher und Forscherinnen weltweit 7.700 Arten gefunden, die ausschließlich im Grundwasser leben. In Deutschland sind zurzeit circa 250 Grundwassertiere bekannt. Ein eher seltenes Exemplar ist der Brunnenkrebs. Er lebt fast ausschließlich im Grundwasser und das schon seit 300 Millionen Jahren. Die Art ist damit älter als die Dinosaurier. Andere Tierchen sind Grundwasserasseln oder Flohkrebse und verschiedene Muscheln, Schnecken und Würmer. Hauptbestandteil der Biomasse sind aber Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder Einzeller.
Lebewesen bei Bewertung der Wasserqualität berücksichtigen
Das Zusammenspiel der Tierchen und Mikroorganismen trägt zur Stabilität des Systems bei. Die Winzlinge sorgen zum Beispiel dafür, dass die Poren in den grundwasserführenden Schichten im Boden nicht verstopfen und das Grundwasser ungehindert fließen kann. Durch ihren Nährstoff- und Energieumsatz halten sie das Wasser sauber. Ein intaktes Ökosystem ist dadurch immer Produkt und gleichzeitig Voraussetzung für sauberes Grundwasser. Wird das empfindliche Gleichgewicht gestört, hat das auch für uns Folgen: Die Trinkwasseraufbereitung könnte aufwendiger und teurer werden.
Trotzdem spielen die biologischen Faktoren bei der Überwachung des Grundwassers bisher kaum eine Rolle. Chemische und mengenmäßige Kriterien stehen im Vordergrund [umweltbundesamt.de]. Bei Oberflächengewässern ist es dagegen längst Standard, die Wasserqualität auch anhand der Lebewesen zu untersuchen.
Um das Grundwasser besser schützen zu können, müsse der Lebensraum noch besser erforscht werden, sagt Christian Schweer. "Wir brauchen mehr Wissen darüber, wo welche Tiere sind. Wir haben noch nicht mal zehn Prozent aller Beprobungsstandorte untersucht. Und wir müssen genauer schauen, was das für Arten sind. Wir können bei unseren Untersuchungen nur eine Großgruppenbestimmung machen." Nach dem Ende von "Lebendiges Grundwasser" sollen die Proben deshalb in anderen Projekten weitergeführt werden.
Sendung: rbb24 Abendschau, 27.06.2023, 19:30 Uhr