Urteil zu Grundstücksstreit - Familie Walter muss raus aus ihrem Haus
Es ist ein Urteil, das es so in Brandenburg noch nie gab: Aufgrund eines Justizfehlers bei einer Zwangsversteigerung muss Familie Walter ihr Haus in Rangsdorf wieder verlassen. Das Land verspricht Wiedergutmachung, doch der Schaden ist groß. Von Katrin Neumann
- Familie Walter muss Grundstück zurückgeben und erbautes Haus abreißen lassen
- Justizministerium sieht Fehler ein, will außergerichtlich Schadenersatz leisten
- Schadenersatz wird aber wohl nicht für alle entstandenen Kosten aufkommen
Den letzten Akt in dem juristischen Drama um ihr Haus in Rangsdorf wollte sich Familie Walter offenbar nicht mehr in einem Gerichtssaal zumuten. Zum Urteil war sie erst gar nicht mehr erschienen. Der zuständige Richter am Oberlandesgericht Brandenburg an der Havel verkündete die Entscheidung am Donnerstag alleine - ohne Kläger, Angeklagte, Anwälte, aber in Anwesenheit zahlreicher Journalisten. Die Entscheidung zieht juristisch einen Strich unter ein langwieriges Verfahren.
Weil das Amtsgericht Luckenwalde 2010 bei der Versteigerung des verwilderten Grundstücks in Rangsdorf einen Fehler gemacht hatte, verliert Familie Walter ihr Haus, ihr Grundstück und sehr viel Geld. Das steht nun fest.
Und nicht nur das: Richter Christian Odenbreit erklärt, dass Familie Walter ihr neu auf dem ersteigerten Grundstück gebautes Haus abreißen lassen muss. Der Kläger, ein US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln, wird wieder als alleiniger Eigentümer ins Grundbuch eingetragen und erhält 6.000 Euro Nutzungsentschädigung von der Familie. Bis Ende Juni 2024 müssen die Walters das Grundstück geräumt haben.
Auch der Kläger hat nichts falsch gemacht
Die Familie Walter selbst nahm das Urteil heute aus der Distanz und - nach eigener Aussage - gefasst zur Kenntnis. Es habe sich im Vorfeld abgezeichnet, so Kristin Walter telefonisch gegenüber rbb|24. Nur die Frist von einem Jahr für Abriss und Auszug hält sie für zu kurz.
So ungerecht und schwer nachvollziehbar das Urteil und der mehr als zehn Jahre andauernde Prozess erscheinen mögen, auch der amerikanische Kläger hat juristisch nichts falsch gemacht. Das Amtsgericht Luckenwalde hatte nachweislich nicht mit genug Nachdruck nach dem rechtmäßigen Besitzer gesucht. Es wäre möglich gewesen, ihn trotz mehrerer Wohnortwechsel und eines geläufigen Namens ausfindig zu machen. Der Besitzer selbst will allerdings nicht in das Haus einziehen und wisse auch noch nicht, was mit dem Haus, aus dem die Familie nun raus muss, passieren soll, so sein Anwalt.
Brandenburger Justiz sieht ihr Versagen ein
Bereits im Vorfeld des heutigen Urteils hatte die Brandenburger Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) den Fehler des Amtsgericht Luckenwalde zugegeben und den Walters schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen. Heißt: Für den finanziellen Verlust wolle man aufkommen.
In welchem Rahmen das geschieht, steht noch nicht fest. Auch, ob der entstandene Schaden der Familie komplett ausgeglichen wird, ließ Hoffmann bislang offen. Man wolle nach dem Urteil so schnell wie möglich mit Familie Walter ins Gespräch kommen und zu einer Einigung finden, so Hoffmann laut einer Pressemitteilung ihres Hauses.
Es sei bereits eine Arbeitsgruppe gebildet worden, die sich mit der Analyse des Urteils beschäftige, teilte das Justizministerium kurz nach dem Urteil mit. Man wolle eine "ausgewogene und gerechte Lösung" finden, was Amtshaftungsansprüche angehe. Entschädigungsansprüche sollen außergerichtlich geregelt werden. "Das Land steht hier in der Verantwortung, die durch den Fehler bei der Zwangsversteigerung verursachten materiellen Schäden zu ersetzen", heißt es in der Mitteilung.
Keine Gesetzesänderung geplant
Der Fall von Familie Walter hat bundesweit Schlagzeilen gemacht und politische Debatten über den Ablauf von Zwangsversteigerungen ausgelöst. Péter Vida (BVB/Freie Wähler) fordert schnelle und unbürokratische Hilfe. In einer Reaktion auf das OLG-Urteil wollen die Freien Wähler, dass das Justizministerium "dem Eigentümer das Grundstück abkauft und der Familie dann kostenlos übereignet. So könnte am schnellsten das erschütterte Vertrauen wiederhergestellt werden". Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Tina Fischer, drängte als Reaktion auf das Urteil ebenfalls darauf, "dass das Ministerium hier jetzt Tempo macht".
Die rechtspolitische Sprecherin der Linken, Marlen Block, forderte im Justizausschuss gar eine Gesetzesanpassung, die die Recherche von Besitzverhältnissen bei Versteigerungsobjekten strenger regelt. Block war bei der Urteilsverkündung am Donnerstag vor Ort dabei. "Recht und Gerechtigkeit fallen hier deutlich auseinander", so ihre Bewertung.
Einer Gesetzesänderung hat Justizministerin Hoffmann bereits eine Absage erteilt. Die vorhandenen Gesetze reichten aus. Der Fehler, der Familie Walter zugestoßen ist, sei einmalig und auf individuelles Versagen und nicht auf eine Gesetzeslücke zurückzuführen.
Hohe Verfahrenskosten bleiben
Zu welchem Abschluss das außergerichtliche Verfahren nun kommen wird, ist offen. Sie hoffe auf gute Gespräche mit dem Ministerium, sagt Kristin Walter telefonisch. Der Schaden dürfte mit Geld allerdings kaum wieder gutzumachen sein. Hinter den Walters liegen zehrende Jahre der Ungewissheit. Nicht nur der Hausbau hat Geld verschlungen, auch der lange bürokratische Rechtsstreit.
Die Familie soll nun auch für die Kosten des Verfahrens des Besitzers aufkommen, zusätzlich zu den eigenen Verfahrenskosten in Höhe von rund 65.000 Euro. Hinzu kommt der Abriss des 170-Quadratmeter-Hauses.
Völlig offen ist zudem, wo sie künftig wohnen werden. Die Kinder gehen in Rangsdorf zur Schule, ein neues Haus könnten sie sich bei den derzeitigen Zinsen und Baupreisen nicht leisten. Die Suche nach einer neuen Heimat hat für die Walters mit dem Urteil nun wieder begonnen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.06.2023, 19:30 Uhr