Zaungast mit Appetit - Wildschweine lieben Brandenburg - und Berlin noch ein bisschen mehr

Mi 26.07.23 | 09:15 Uhr | Von Roberto Jurkschat
  19
Archivbild: Eine Bache und zwei Frischlinge haben sich am Teufelsseee im Grunewald im August 2020 eine kuriose Verfolgungsjagd mit einem nackten Mann geliefert. (Quelle: dpa-Zentralbild/Ingolf König-Jablonski)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.07.2023 | Carl Winterhagen | Bild: dpa-Zentralbild/Ingolf König-Jablonski

Dass es Wildschweine gern mal in Siedlungen verschlägt, ist in Kleinmachnow schon seit Jahren bekannt, auch in Berliner Gärten gehen Wildschweine gern auf Nahrungssuche. Dabei sinkt seit 2020 die Population. Von Roberto Jurkschat

Die berühmte Nicht-Löwin von Kleinmachnow hätte es als leicht erkennbares Wildschwein vermutlich niemals in die Schlagzeilen geschafft. Dafür ist der Anblick von Wildschweinen am südlichen Berliner Stadtrand viel zu normal.

In Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) zum Beispiel buddeln Wildschweinrotten seit Jahren Gärten um, machen sich an Kleintieren und Gemüsezwiebeln im Erdreich zu schaffen. Selbst in Berlin ist es keine Seltenheit, dass Anrufer sich bei der Jagdbehörde der Umweltverwaltung über mutmaßliche Wildschweinschäden an Pflanzen und Zäunen beschweren - und dass es zwischen Mensch und Schwarzwild immer wieder zu Konflikten kommt. Im Sommer vor drei Jahren eilte ein unbekleideter Mann am Teufelssee einem Wildschwein nach, das eine Handtasche vom Badestrand klauen wollte. Die Bilder der Verfolgungsjagd gingen im Internet wochenlang viral.

Bestände schrumpfen seit 2020

Der Wildbiologe Matthias Neumann vom Thünen Institut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Eberswalde geht davon aus, dass die Zahl der Wildschweine im gesamten Bundesgebiet und auch in Brandenburg und Berlin in den letzten Jahrzehnten "kontinuierlich gestiegen" ist. Eine Entwicklung, die 2020 durch die Afrikanische Schweinepest vorläufig gestoppt wurde, zumindest in Brandenburg.

"Seit die Seuche ausgebrochen ist, ist die Population in Brandenburg gesunken, weil die Bestände zur Prävention dieser Krankheit durch Jagd stark verkleinert wurden", sagte Neumann im Gespräch mit dem rbb. Seit dem Jahr 2020 dürfen Jäger zudem Nachtzielgeräte einsetzen, mit denen Wildschweine rund um die Uhr und nicht nur bei Tageslicht gejagt werden können.

Eine Gefahr, dass Wildschweine in Brandenburg deshalb in absehbarer Zeit vom Aussterben bedroht sein könnten, sieht der Experte aber nicht, vor allem, weil die Fortpflanzungsbedingungen in der Region ideal seien. "Es gibt keine natürlichen Feinde und die klimatischen Bedingungen begünstigen die Fortpflanzung. Mit einem Mal kommen oft acht bis zehn Frischlinge zur Welt. Die Population könnte innerhalb kurzer Zeit deshalb wieder stark anwachsen."

Die große Raubtier-Suche rund um Kleinmachnow

Wildschweine entdecken stressfreies Berlin

Das gilt für Brandenburg ebenso wie für Berlin, das zu 40 Prozent aus Grünflächen besteht. Laut dem Naturschutzbund (Nabu) haben Wildschweine längst einige Vorteile des Stadtlebens für sich entdeckt. "Das Nahrungsangebot ist größer als in den natürlichen Lebensräumen und jederzeit leicht verfügbar", heißt es in einer Broschüre des Berliner Nabu-Landesverbandes. "In der Stadt ist es wärmer als auf dem Land. Und nicht zuletzt ist das Leben in befriedeten Bereichen, in denen nicht gejagt werden darf, sehr viel stressfreier."

In der Regel leben Menschen und Wildschweine in waldnahen Siedlungsgebieten friedlich nebeneinander her, sagt Matthias Neumann. Allerdings mahnt der Experte zur Vorsicht: "Es kann passieren, dass Wildschweine Menschen attackieren, wenn sie sich bedroht fühlen. Im Frühjahr beschützen die Mütter ihre Frischlinge, auch da ist Vorsicht geboten. Auch wenn Menschen Hunde dabei haben, kann es zu Angriffen kommen, oder wenn ein Wildschwein verletzt ist", so Neumann. "In aller Regel flüchten Wildschwein aber, deshalb ist die Gefahr, die von Wildschweinen ausgeht, relativ gering."

Kein Schadensersatz bei Wildschweinschäden

In waldnahen Siedlungen können Wildschweinrotten allerdings erhebliche Schäden anrichten, Grundstücke verwüsten, Beete zertrampeln und Rasen aufbrechen - ohne, dass den Anwohnern jemand den Schaden erstattet. "Da Wildtiere herrenlos sind (§ 960 BGB), ergibt sich für durch sie verursachte Schäden grundsätzlich keine Haftungsverantwortung", erklärte die Senatsverwaltung für Umwelt im vergangenen Jahr auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Torsten Schreiber. Da von den Betroffenen keine Wildschäden geltend gemacht werden können, erfolgt keine Meldung an die Jagdbehörde. In welchen Bezirken Wildschweine die meisten Schäden verursachen, ist deshalb nicht ganz klar - nach Angaben der Senatsverwaltung für Umwelt gibt es Wildschweine im gesamten Berliner Stadtgebiet.

Einen Anhaltspunkt für die Berliner Wildschweinverteilung liefern die Anrufe beim Wildtiertelefon des Nabu. In den Jahren 2020 bis 2022 wurden dort insgesamt 359 Berlinerinnen und Berliner zu Wildschweinen beraten, die meisten Anrufe kamen aus den Außenbezirken Steglitz-Zehlendorf (104), Spandau (74) und Reinickendorf (55).

Um eine Überpopulation zu vermeiden und der Aftikanischen Schweinepest vorzubeugen, koordiniert die Jagdbehörde der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt zusammen mit den Berliner Forsten den Einsatz von Stadtjägern, die in den Jagdgebieten in den Außenbezirken immer wieder auf die Pirsch gehen. In der Jagdsaison 2022/21 wurden in Berlin 2.084 Wildschweine erlegt, in der Vorsaison waren es 2.442. Für eine erlegte Bache über 50 Kilogramm zahlt das Land Berlin Jägern eine Prämie von 80 Euro.

Nach Angaben der Umweltverwaltung werden zudem pro Jahr rund 200 Wildschweine durch Unfälle im Straßenverkehr getötet.

Senatsverwaltung weist auf Fütterungsverbot hin

Ein Leben mit den Wildtieren in der Stadt sei "grundsätzlich ohne Konflikte möglich", hieß es von der Senatsverwaltung für Umwelt im Jahr 2020 noch in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Ein Augenmerk lege die Verwaltung auf die Sicherung von Schulwegen und Spielplätzen in Bezug auf Kinder und Jugendliche. "Den Menschen kommt darüber hinaus eine besondere Verantwortung zu, durch eigenes Verhalten zu einem konfliktfreien Miteinander beizutragen", heißt es. "Dazu gehört unbedingt, Wildschweine und Wildtiere generell nicht zu füttern, Abstand zu wahren und Hunde an der Leine zu führen."

Um Konflikten vorzubeugen, heißt es, werde die Bevölkerung durch Broschüren, durch das
Wildtiertelefon und auch Pressemitteilungen informiert. "Insbesondere wird die Bevölkerung
wiederholt auf das Fütterungsverbot hingewiesen."

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.07.2023, 18:00 Uhr

Beitrag von Roberto Jurkschat

19 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 19.

    die armen Tiere müssen trinken besonders bei der Dürre mit Hitze nicht nur Wildschweine sondern auch andere Wildtiere,eine sehr gute Einlassung von Ihnen

  2. 18.

    Genau so sieht es aus.

    Der ach so brave "Berliner Michel" nimmt gerne seine Getränke und Speisen mit an den See und vergisst absolut und gerne, sein Müller wieder mit nach Hause zu nehmen.

    Irgendwie eine Tugend deutscher Gründlichkeit - oder warum darf z.B. in Skandinavien "wild" gecampt werden. Eine Frage der Kultur.

  3. 17.

    Das hat wohl mit dem Wasser zu tun.

    In dieser Trockenheit müssen die wilden Schweine eben an das große Wasser da ja alle anderen Tränken trocken gefallen sind.
    Vielleicht wäre das mal ein Anreiz, darüber nachzudenken, wenigstens den Wildtieren den Zugang zu Seen nicht via Privatgelände zu verwehren?

  4. 16.

    Armer Fuchs.
    Hat Mutti nicht gesagt "Nicht mit Frischlingen spielen." ... und "rasende Wildsau" leitet sich nicht vom wegrennen ab.

  5. 15.

    "Kein Tier der Welt tötet zum Spaß, vertreibt andere Lebewesen oder nimmt sich das Recht heraus über anderer Leben zu urteilen, das obliegt dem Menschen, weil er denkt, er wäre schlauer! "
    Naja, ich würde das mal ein bisschen relativieren. Nur wenige Menschen töten zum Spaß, Multimillionäre auf Trophäenjagd z.B. Die meisten Menschen, die Tiere töten, tun dies aus tatsächlicher oder gedachter Notwendigkeit, Für Nahrung, als Bestandsschutz/-hygiene oder zur Gefahrenabwehr.
    Im Übrigen ist letzteres im Tierreich durchaus üblich. Man denke nur an rudelführende Löwen oder Wölfe, die fremden Nachwuchs "wegbeisen" oder Eindringlinge bekämpfen und in vielen Fällen töten.
    Wir sollten einfach lernen mit Wildtieren im urbanen Raum zu leben, sinnvolle / artgerechte Bestandspflege zu betreiben und unser eigenes Verhalten dahingehend ändern, dass der Lebensraum des Menschen eben nicht für Wildtiere noch attraktiver wird.

  6. 14.

    Nebenbei bemerkt ... es gibt in Berlin ausreichend große, zusammenhängende Waldflächen und Naturbrachen, auch mit direktem Umlandanschluß. Da fühlt die Stadt-Sau sich einfach wohl und im Umland hat es sich wohl auch rumgegrunzt - liebevoll mit Blumenzwiebeln bestückte Gärten, fast täglich wechselnder Mittagstisch an div. Parkplätzen der Havelchaussee, dazu noch hübsche Zäunchen die Muttersau mal eben wegrüsselt um ein Kompostisnack zu genießen. Zur Aufzucht des Wurfes reicht erstmal ein kleines, ungestörtes Wäldchen. Ist die Rasselbande fit, gehts auf Tour.

  7. 13.

    Wildschwein in Pfefferminzsoße ist zweifellos deliziös, ist es nicht? Ich empfehle dazu eine wohltemperierte Cervisia. Du musst sie aber trinken bevor sie wird kalt.

  8. 12.

    Im Grunewald und Haselhorst fühlen sich die Wildschweine besonders wohl, und dort wird kaum etwas achtlos weggeworfen.

  9. 11.

    Ich wohne nahezu im Wald und wir sind es gewöhnt, dass Familie Wildschwein abends auf der Suchen nach Nahrung durch die Wohngebiete spaziert, schon immer! Deswegen ist es notwendig, sich stabile Zäune zuzulegen und den Müll nicht einfach so in die Gegend zu werfen sondern in die dafür vorgesehenen Behälter.
    Passiert ist noch nie etwas!

  10. 10.

    Der Mensch ist der Meinung, nur weil er seinen Kopf auf der Halswirbelsäule balanciert, das ständig und immer während etwas gegen die Natur unternommen werden muß. Vertreibung, Tötung und Ausrottung sind die Gesanken und Wünsche - Bedenklich oder! Kein Tier der Welt tötet zum Spaß, vertreibt andere Lebewesen oder nimmt sich das Recht heraus über anderer Leben zu urteilen, das obliegt dem Menschen, weil er denkt, er wäre schlauer! Ich kann Euch sagen, daß dies der Größte Fehler ist! Im Gegenteil wir können von den Tieren lernen anstatt sie an zu greifen. Erst wenn das wirklich verstanden wurde, sind wir auf einem guten Weg. Doch bis dahin schüttel ich täglich mit dem Kopf über so viele " dumme " Äußerungen!

  11. 9.

    Da haben Sie Recht, vielleicht sollten die zweibeinigen Schweine ihren Müll nicht zugänglich rumliegen lassen!

  12. 8.

    Der Quatsch wird nicht quätscher, wenn man das Thema 5x aufwärmt.
    Das die Menschen Schuld an der „Schweinerei“ sind, wissen wir ja nun alle.

  13. 7.

    Eine, wie ich finde, schnörkellose Einschätzung der Lage.
    Sicher ist der Traum von den eigenen 4Wänden ganz schön dem Wald-/Forstbestand, dem natürl. Lebensraum auch der Wildschweine, "auf die Pelle gerückt". Man kann nur hoffen, dass sich dieser Prozess verlangsamt. Entscheidender aber ist das Verhältnis zum Tier/Wald. Und da gibt es doch noch viel Luft nach oben! Denn auch ein Wildschwein "geht den widerstandslosesten Weg", um an Nahrung zu gelangen. Und Lebensmittel auf dem Komposthaufen, sorglose Tür- und Fenster-Offen-halten ebnen eben den Weg in die Siedlungen/auch Städte. Wenn die Mülltonen noch mit Dreck rund herum "geschmückt werden", in denen sich Lebensmittelreste befinen - worüber wundern wir uns? Ich frage mich oft, wie gedankenlos die angebliche Krone der Schöpfung ist. Einmal Parkanlagen nach durchfeierten Nächten queren(müssen) -- Verhalten/Gedächtnis wie Sieb!- Und dann?

  14. 6.

    Sie wissen eben, dass in der Stadt Fressen zu holen ist. Überall wird achtlos alles weggeworfen.

  15. 5.

    "...damit etwas unternommen wird..."
    Wildschwein schmeckt gut.
    Aber bitte nicht mit Pfefferminzsoße.
    Das arme Schwein.

  16. 4.

    Toll, wie viele Krankheiten übertragen eigentlich Wildschweine und Löwen?
    Es wird immer nur über den Fuchs geredet...

    Ich wurde leider fast von einer Wildschweinmutti angegriffen vor der Haustür. Nicht so geil. :/

  17. 3.

    Zuerst waren die Schweine da dann kam der Mensch und baute eine Stadt in den Wald.

    Ich persönlich habe keine Probleme mit Wildschweinen in der Stadt. Die Vermehrung, im Übrigen, findet im Wald und der Steppe statt. Wildtiere haben auch so etwas wie Sitten, Bräuche und Kultur.

    Wir haben den gesamten Lebensraum dieser Tiere in Beschlag genommen. Es gibt kaum noch zusammenhängende Wälder oder Steppen. Alles ist Kulturlandschaft oder für Ackerbau und Stadt reserviert.
    Wir müssten diese Tiere schon ausrotten wollen um Ruhe zu bekommen.
    Wollen sie vom Ausrotten schreiben oder haben sie konstruktivere Ideen zu diesen Tieren?

  18. 2.

    Ich sehe das Problem bei einer "Normalisierung" und Vermehrung bei Wildschweinen in der Stadt.
    Verkehrsunfälle und Übertragung von Krankheiten sehe ich problematisch.

    Es muss ja erst etwas passieren, damit etwas unternommen wird. Leider!

  19. 1.

    Und wie viele von diesen angeblichen "Wildschweinen" sind eigentlich Löwinnen?

Nächster Artikel