Zaungast mit Appetit - Wildschweine lieben Brandenburg - und Berlin noch ein bisschen mehr
Dass es Wildschweine gern mal in Siedlungen verschlägt, ist in Kleinmachnow schon seit Jahren bekannt, auch in Berliner Gärten gehen Wildschweine gern auf Nahrungssuche. Dabei sinkt seit 2020 die Population. Von Roberto Jurkschat
Die berühmte Nicht-Löwin von Kleinmachnow hätte es als leicht erkennbares Wildschwein vermutlich niemals in die Schlagzeilen geschafft. Dafür ist der Anblick von Wildschweinen am südlichen Berliner Stadtrand viel zu normal.
In Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark) zum Beispiel buddeln Wildschweinrotten seit Jahren Gärten um, machen sich an Kleintieren und Gemüsezwiebeln im Erdreich zu schaffen. Selbst in Berlin ist es keine Seltenheit, dass Anrufer sich bei der Jagdbehörde der Umweltverwaltung über mutmaßliche Wildschweinschäden an Pflanzen und Zäunen beschweren - und dass es zwischen Mensch und Schwarzwild immer wieder zu Konflikten kommt. Im Sommer vor drei Jahren eilte ein unbekleideter Mann am Teufelssee einem Wildschwein nach, das eine Handtasche vom Badestrand klauen wollte. Die Bilder der Verfolgungsjagd gingen im Internet wochenlang viral.
Bestände schrumpfen seit 2020
Der Wildbiologe Matthias Neumann vom Thünen Institut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Eberswalde geht davon aus, dass die Zahl der Wildschweine im gesamten Bundesgebiet und auch in Brandenburg und Berlin in den letzten Jahrzehnten "kontinuierlich gestiegen" ist. Eine Entwicklung, die 2020 durch die Afrikanische Schweinepest vorläufig gestoppt wurde, zumindest in Brandenburg.
"Seit die Seuche ausgebrochen ist, ist die Population in Brandenburg gesunken, weil die Bestände zur Prävention dieser Krankheit durch Jagd stark verkleinert wurden", sagte Neumann im Gespräch mit dem rbb. Seit dem Jahr 2020 dürfen Jäger zudem Nachtzielgeräte einsetzen, mit denen Wildschweine rund um die Uhr und nicht nur bei Tageslicht gejagt werden können.
Eine Gefahr, dass Wildschweine in Brandenburg deshalb in absehbarer Zeit vom Aussterben bedroht sein könnten, sieht der Experte aber nicht, vor allem, weil die Fortpflanzungsbedingungen in der Region ideal seien. "Es gibt keine natürlichen Feinde und die klimatischen Bedingungen begünstigen die Fortpflanzung. Mit einem Mal kommen oft acht bis zehn Frischlinge zur Welt. Die Population könnte innerhalb kurzer Zeit deshalb wieder stark anwachsen."
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Wildschweine entdecken stressfreies Berlin
Das gilt für Brandenburg ebenso wie für Berlin, das zu 40 Prozent aus Grünflächen besteht. Laut dem Naturschutzbund (Nabu) haben Wildschweine längst einige Vorteile des Stadtlebens für sich entdeckt. "Das Nahrungsangebot ist größer als in den natürlichen Lebensräumen und jederzeit leicht verfügbar", heißt es in einer Broschüre des Berliner Nabu-Landesverbandes. "In der Stadt ist es wärmer als auf dem Land. Und nicht zuletzt ist das Leben in befriedeten Bereichen, in denen nicht gejagt werden darf, sehr viel stressfreier."
In der Regel leben Menschen und Wildschweine in waldnahen Siedlungsgebieten friedlich nebeneinander her, sagt Matthias Neumann. Allerdings mahnt der Experte zur Vorsicht: "Es kann passieren, dass Wildschweine Menschen attackieren, wenn sie sich bedroht fühlen. Im Frühjahr beschützen die Mütter ihre Frischlinge, auch da ist Vorsicht geboten. Auch wenn Menschen Hunde dabei haben, kann es zu Angriffen kommen, oder wenn ein Wildschwein verletzt ist", so Neumann. "In aller Regel flüchten Wildschwein aber, deshalb ist die Gefahr, die von Wildschweinen ausgeht, relativ gering."
Kein Schadensersatz bei Wildschweinschäden
In waldnahen Siedlungen können Wildschweinrotten allerdings erhebliche Schäden anrichten, Grundstücke verwüsten, Beete zertrampeln und Rasen aufbrechen - ohne, dass den Anwohnern jemand den Schaden erstattet. "Da Wildtiere herrenlos sind (§ 960 BGB), ergibt sich für durch sie verursachte Schäden grundsätzlich keine Haftungsverantwortung", erklärte die Senatsverwaltung für Umwelt im vergangenen Jahr auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Torsten Schreiber. Da von den Betroffenen keine Wildschäden geltend gemacht werden können, erfolgt keine Meldung an die Jagdbehörde. In welchen Bezirken Wildschweine die meisten Schäden verursachen, ist deshalb nicht ganz klar - nach Angaben der Senatsverwaltung für Umwelt gibt es Wildschweine im gesamten Berliner Stadtgebiet.
Einen Anhaltspunkt für die Berliner Wildschweinverteilung liefern die Anrufe beim Wildtiertelefon des Nabu. In den Jahren 2020 bis 2022 wurden dort insgesamt 359 Berlinerinnen und Berliner zu Wildschweinen beraten, die meisten Anrufe kamen aus den Außenbezirken Steglitz-Zehlendorf (104), Spandau (74) und Reinickendorf (55).
Um eine Überpopulation zu vermeiden und der Aftikanischen Schweinepest vorzubeugen, koordiniert die Jagdbehörde der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt zusammen mit den Berliner Forsten den Einsatz von Stadtjägern, die in den Jagdgebieten in den Außenbezirken immer wieder auf die Pirsch gehen. In der Jagdsaison 2022/21 wurden in Berlin 2.084 Wildschweine erlegt, in der Vorsaison waren es 2.442. Für eine erlegte Bache über 50 Kilogramm zahlt das Land Berlin Jägern eine Prämie von 80 Euro.
Nach Angaben der Umweltverwaltung werden zudem pro Jahr rund 200 Wildschweine durch Unfälle im Straßenverkehr getötet.
Senatsverwaltung weist auf Fütterungsverbot hin
Ein Leben mit den Wildtieren in der Stadt sei "grundsätzlich ohne Konflikte möglich", hieß es von der Senatsverwaltung für Umwelt im Jahr 2020 noch in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. Ein Augenmerk lege die Verwaltung auf die Sicherung von Schulwegen und Spielplätzen in Bezug auf Kinder und Jugendliche. "Den Menschen kommt darüber hinaus eine besondere Verantwortung zu, durch eigenes Verhalten zu einem konfliktfreien Miteinander beizutragen", heißt es. "Dazu gehört unbedingt, Wildschweine und Wildtiere generell nicht zu füttern, Abstand zu wahren und Hunde an der Leine zu führen."
Um Konflikten vorzubeugen, heißt es, werde die Bevölkerung durch Broschüren, durch das
Wildtiertelefon und auch Pressemitteilungen informiert. "Insbesondere wird die Bevölkerung
wiederholt auf das Fütterungsverbot hingewiesen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.07.2023, 18:00 Uhr