Weihnachtszug der S-Bahn - Ein Advents-Oldtimer rollt durch Berlin
Nach 15 Jahren Pause ist eine Berliner Weihnachtstradition wieder zum Leben erweckt: Der historische Weihnachtszug der S-Bahn fährt wieder durch die Stadt. Eine adventliche Rundfahrt in der Holzklasse. Von Marvin Wenzel
So sehr wie heute hat sich Lokführer Walied Schön schon lange nicht mehr auf eine Fahrt gefreut. Er steht am Gleis 5 des Bahnhofs Charlottenburg vor dem vordersten Waggon einer S-Bahn. Er sagt: "Das ist ein echter Oldtimer!" Ein Oldtimer, der im Jahr 1928 gebaut wurde und von vorne bis hinten geschmückt ist. Den fast hundert Jahre alten Zug zieren Tannenzweige und golden funkelndes Lametta. Schön betritt den Fahrerstand. Eine bunte Zeichnung eines Weihnachtsmanns schmückt die Frontscheibe. Darüber: ein blaues Schild mit der weißen Aufschrift "Weihnachtszug 2023".
"Unsere geliebte Tradition ist endlich zurück", sagt Schön. "Ich bin so stolz und nervös gleichzeitig." Schön ist umgeben von runden analogen Anzeigen und schwarzen Knöpfen. Ein Schaffner brüllt am Gleis: "Zurückbleiben, bitte!" Ein Team von weiteren ehrenamtlichen Zugbegleitern schließt alle Türen des Zuges mit der Hand. Der Lokführer schiebt einen silbernen Hebel nach vorne - und schon rollt der historische Weihnachtszug in Richtung Westkreuz. Der Boden wackelt, alle Ecken des Wagens quietschen.
Historische Oldtimer-Züge aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren
15 Jahre lang pausierte die Tradition, die seit den Fünfzigerjahren besteht. Der Verein "Historische S-Bahn" sammelte mit seinen 240 Mitgliedern genügend Spenden, um zwei Oldtimer-Züge aus den Jahren 1928 und 1938 wieder fit für das Berliner S-Bahn-Netz zu machen. 2009 wurde die Tradition eingestellt. Die S-Bahn finanzierte die Aktion bis dahin und geriet damals in eine Krise. Viele S-Bahnen fuhren über Monate lang unpünktlich, Züge fielen aus und waren überfüllt. Das Unternehmen zog ein Drittel seiner Bahnen aus dem Verkehr. Für eine weihnachtliche Aktion mit historischen Zügen war kein Geld mehr übrig.
Der Verein "Historische S-Bahn" übernahm und brauchte zehn Jahre, um die beiden Züge wieder instand zu setzen. Walied Schön ist auch stellvertretender Vorsitzender des Vereins und sagt: "Obwohl es die Aktion 15 Jahre lang nicht gab, konnten wir jährlich 20- bis 30.000 Euro dank Spendern sammeln."
Dafür sei er dankbar. Mit einem "Erlebnis für Herz und Seele" wolle er sich zusammen mit seinem Verein für die Großzügigkeit bedanken. Das Konzept vom Weihnachtszug ist simpel: Der Oldtimer-Zug dreht eine Runde durch die Stadt, dabei sorgen adventliche Musik und Dekoration für eine gemütliche Stimmung. Schön sagt: "Die Aktion ist nicht nur für Familien interessant, sie ist auch für Eisenbahn-Fans ein absolutes Highlight."
Menschen, Musik, Emotionen
Der Weihnachtszug ist ein Hingucker. Wenn er langsam in den Bahnhöfen einfährt, schauen die Menschen auf dem Bahnsteig kurz verwirrt auf und zücken dann zum Großteil sofort ihre Smartphones. Auf jedem Fenster sind weiße Schneeflocken-Sticker aufgeklebt und selbstgemalte Bilder von Schneemännern und Rentieren zu sehen.
Im Zug gibt es zwei Bereiche: In der "3. Klasse, Nichtraucher" sitzen Gäste auf rustikalen Holzbänken. Aus blechern klingenden Lautsprechern ertönen weihnachtliche Melodien von Frank Sinatra. Gäste tauschen ihr Eisenbahn-Wissen aus. Ein Mann in beiger Weste, Anzughose, weißem Hemd, öffnet ein Fenster und schiebt es einen halben Meter runter. Er grinst und sagt: "Früher konnte man während der Fahrt noch aus dem Zug springen. An den Fenstern und Türen sind Schilder befestigt mit der roten Aufschrift: 'Nicht öffnen während der Fahrt! L e b e n s g e f a h r !'"
In der 2. Klasse machen es sich die Gäste auf hellbraunen Plüschpolstern bequem. Ihre Kleidung hängt in fein gewebten Gepäcknetzen und die Wände sind mit Mahagoni-Holz verkleidet. Es riecht nach altem Leder. Auf einem der Sitze turnt der neunjährige Milo. Er sagt: "Der Zug ist so schön bemalt und alt." Hört man sich bei den anderen Gästen um, was ihnen besonders gut gefällt, ist die häufigste Antwort: "Die Geräusche." Jedes Mal, wenn der Zug beschleunigt, klirren die Fenster und Sitzbänke. Der Motor der historischen S-Bahn wird so für die Gäste nicht nur hör-, sondern auch spürbar.
"Bei Eisenbahn geht es um Emotionen"
Eine Reihe dahinter sitzt Thomas Krüger. Er ist Pianist und Komponist und sagt: "Es geht bei Eisenbahnen um Emotionen und Erinnerungen." Viele der Gäste seien früher mit den alten Zügen zur Schule oder Arbeit gefahren. Er selbst begeistere sich für die alte Technik. Die Motoren, das eckige Design der Waggons, die vielen Anzeigen, die früher "vier- bis fünfmal so groß waren wie heute". Auf dem letzten Geburtstag der S-Bahn habe er ein Klavierkonzert gespielt.
Die Premierenfahrt feiert der Verein exklusiv mit Spendern und Ehrengästen. Schaffner, Lokführer, Familien und Eisenbahnliebhaber. Viele tragen historische dunkelblaue Uniformen der Deutschen Reichsbahn.
Am kommenden Samstag können dann alle interessierten Berlinerinnen und Berliner mitfahren. Der Zug fährt an allen vier Adventswochenenden, insgesamt sieben Mal. Eine Fahrkarte kostet zwischen 21 und 28 Euro, für Kinder und Jugendliche sind es sieben Euro.
Zukunft: Ungewiss!
Start- und Zielbahnhof ist Grünau. Die Fahrt geht über den Südring nach Charlottenburg und zurück. "Es wird eine kleine Bewirtung mit Getränken und Leckereien geben", sagt Lokführer Walied Schön. Für Glühwein und Lebkuchen sei gesorgt, eine Toilette gäbe es an Board aber nicht. Und in den Waggons dürfe unter keinen Umständen geraucht werden. Auch wenn die historischen Schilder das genaue Gegenteil behaupten.
Im nächsten Jahr wird die S-Bahn 100 Jahre alt. Lokführer Schön hofft, dass es zu diesem runden Geburtstag auch einen Weihnachtszug geben wird. Er sagt: "Die Zukunft der Aktion ist ungewiss." Der Zug müsse mit moderner Sicherheitstechnik ausgestattet werden und das sei "tierisch teuer". Er gibt sich aber optimistisch. "Der Tag heute zeigt, dass sich die Anstrengungen lohnen: Es macht wahnsinnig Spaß, mit dem historischen Zug zu fahren und die Gäste glücklich zu machen." Bei der nächsten Fahrt soll sogar ein Weihnachtsmann mit an Board sein. Vielleicht hat Schön ja dann einen Wunsch frei.
Sendung: rbb24 Abendschau, 26.11.2023, 19:30 Uhr