Delay Sports gegen BFC Dynamo - Twitch gegen Tradition
Es ist ein Duell der Gegensätze: Der junge Influencer-Klub Delay Sports gegen DDR-Seriensieger BFC Dynamo. Im Pokalspiel am Samstag erfüllen beide Vereine die ihnen zugeschriebenen Klischees verstörend akkurat. Von Aljoscha Huber
Fußballspiele werden gerne zum Kampf der Kulturen hochstilisiert. Je größer die Unterschiede und der Pathos, desto besser. Bei der Achtelfinalpartie im Landespokal Berlin am Samstag zwischen Delay Sports und BFC Dynamo heißt es folgerichtig: Twitch gegen Tradition. Influencer-Verein gegen Ex-Stasi-Klub. "Broadcast yourself" vs. "Sport frei".
Auf der einen Seite: Delay Sports. Kreisligist. 2021 gegründet. Mehr Instagram-Follower als Union Berlin oder Hertha. Gegründet von den Social-Media Stars Elias Nerlich und Sidney Friede. Auf der anderen Seite: BFC Dynamo Berlin. Regionalligist. 1968 gegründet. Rekordmeister der DDR-Oberliga. Geliebt von Erich Mielke, seinerzeit Minister für Staatssicherheit der DDR.
"Scheiß Influencer"
Samstag, kurz nach 13 Uhr. Eigentlich sollte die Partie schon laufen, aber das Spiel kann wegen des starken Zuschauerandrangs nicht pünktlich angepfiffen werden. Der Stadion-DJ spielt in der Wartezeit "Auf gute Freunde" von den Böhsen Onkelz. Vor dem Stadion brüllt ein erwachsener Mann einer Gruppe jugendlicher Delay-Fans hinterher: "Scheiß Influencer".
Das Sportforum ist mit 4.500 Zuschauern ausverkauft. Auf einem Zaunbanner steht: "BFC-Fans sind zärtlich & romantisch". Gegenüber auf der Gegengerade: Auffällig viele Mützen und Pullis im Design der schwarz-weiß-roten Reichsflagge. Aus dem Dynamo-Block hallt es in Richtung Gästebereich: "Wir kriegen euch alle."
Keine Fahne, kein Fangesang
Etwa 1.400 Fans von Delay sind da. Sie verfolgen die Partie 90 Minuten lang mehr oder weniger schweigend und regungslos. Eine aktive Fanszene hat sich bei dem jungen Verein noch nicht entwickelt. Es gibt heute keine Fahne im Block, kein einziger Fangesang wird angestimmt. Wirklich laut wird es nur zweimal kurz: Als bei der Verlesung der Mannschaftsaufstellung der Name Sidney Friede fällt. Und als der sich 20 Minuten später einen Ball erkämpft, seinen Gegenspieler sehenswert tunnelt und dann gefoult wird.
Ansonsten dominiert ein indifferentes Gemurmel, unterbrochen durch seltene Aufschreie bei Schiedsrichterentscheidungen. Der Spielverlauf wirkt auch nicht stimmungsaufhellend: Nach sechs Minuten steht es 1:0 für Dynamo.
Klassenunterschied deutlich
Die U15 des SG Bornim macht heute ihren Mannschaftsausflug zum Pokalspiel. Sie sind aufgedreht, haben Spaß an dem ausverkauften Pokalspiel. Alexander, 14, sagt, er sei "Delay-Supporter seit Tag eins". Die anderen finden Delay interessant, weil sie die Videos der Akteure gerne schauen. "Es ist cool, dass man alles auf Twitch verfolgen kann", sagt Aaron.
Ihr Fazit zum Geschehen auf dem Platz fällt allerdings vernichtend aus: "Delay ist heute ganz schwach", sagt Aaron. Bis zur Halbzeit kassiert der Kreisligist vier weitere Tore. Jeder Gegentreffer senkt das ohnehin schon niedrige Energielevel im Delay-Block weiter. Auf dem Platz ist der Klassenunterschied mehr als deutlich. Hier spielt ein Neunt- gegen einen Viertligisten.
Zweistelliger Sieg = ein freier Tag mehr
In kurzen Abständen muss der Ordner über dem Gästeblock ans Werk und die Zifferblätter der analogen Anzeigetafel austauschen, die so groß wirken wie Pizzableche. Knezevic macht das 8:0. Der stärkste Spieler des heutigen Nachmitagss, McMoordy Hüther, köpft fünf Minuten später mit seinem dritten Tor das 9:0.
Nerlich hatte vor dem Spiel zu rbb|24 gesagt: "Wenn wir nicht zweistellig verlieren, ist das schon ein Erfolg." Die Dynamo-Spieler haben am Samstag andere Pläne. Trainer Dennis Kutrieb verriet nach dem Spiel, dass er seinem Team einen Extra-Tag frei versprochen hatte, sollten sie mindestens 11 Tore schießen.
Der Ordner, der die Anzeigetafel hinter dem Delay-Block betreut, ist offenbar nicht auf ein zweistelliges Ergebnis vorbereitet: Es dauert mehrere Minuten, bis das 10:0 korrekt angezeigt wird.
"Ohne W-LAN habt ihr keine Chance"
Deutlich weniger analog geht es unter ihm zu: Während in Kurven der Gebrauch von Handys normalerweise mindestens zu abschätzigen Blicken führt, wird im Delay-Bereich fleißig fotografiert und gefilmt. Eine der lustigeren Einfälle der Dynamo-Fans während des Spiels: "Ohne W-LAN habt ihr keine Chance" hallt es immer wieder durch das Stadion. Tatsächlich finden viele der Videos aus dem Delay-Block erst verspätet ihren Weg auf Social Media: Das Netz im Sportforum bricht während des Spiels zusammen.
Bennedikt Wüstenhagen (89.) sorgt mit dem 12:0 schließlich für den Endstand. Der BFC steht damit im Viertelfinale des Berliner Landespokals. Ein Kampf der Kulturen und der Gegensätze, aber eine erbauliche Gemeinsamkeit findet sich dann doch. Vor dem Spiel posieren beide Teams vor einem Banner der Deutschen Krebshilfe.
Sendung: Radioeins, 16.11.2024, 14 Uhr