Interview | Brandstiftungen in Wäldern - "Oft sind es junge Männer, die eine Außenseiterrolle spielen"
Jahr für Jahr zerstören Brandstifter in Brandenburg riesige Flächen in Waldgebieten. Der Kriminalist Harry Jäkel spricht im Interview über die schwierigen Aufgaben der Ermittler - und über die Motive verurteilter Brandstifter.
Nach Informationen des Landesforstbetriebs haben Brandstifter in den vergangenen Jahren wohl mehrere hundert Waldbrände gelegt – längst nicht alle Täter sind bisher identifiziert oder verurteilt worden. Der Diplomkriminalist und Kriminalhauptkommissar a.D. Harry Jäkel ist einer der wenigen Wissenschaftler, die sich aktuell mit der Frage beschäftigen, wer die Brandstifter sind und was sie antreibt. Im Forschungsprojekt "Täterprofil von Brandstiftern" an der Polizeihochschule in Oranienburg ging Jäkel der Frage nach, warum Menschen in Wäldern Feuer legen.
rbb|24: Herr Jäkel, wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder über große Waldbrände berichtet, einige davon, zum Beispiel bei Jüterbog oder in der Lieberoser Heide, wurden wohl mit Absicht gelegt. Dass Brandstifter gefasst oder sogar von einem Gericht verurteilt werden, hört man selten.
Harry Jäkel: Das stimmt, in dem Bereich ist das Dunkelfeld sehr groß. Einerseits, weil vorsätzliche Brandstiftung nicht immer erkannt wird, andererseits, weil die Suche nach den Tätern ein Spezialgebiet ist. Schon die Zahl der Waldbrände in bestimmten Brandenburger Regionen legt nahe, dass es sich um Brandstiftung handeln könnte.
In der kriminalistischen Fachliteratur wird die Untersuchung von Brandstiftungen auch als 'hohe Schule der Kriminalistik' bezeichnet, was die besondere Komplexität dieser Ermittlungsarbeit unterstreicht. Zur Aufklärung solcher Delikte sind spezielle naturwissenschaftlich-technische aber auch psychologische Kenntnisse nötig. Tatsächlich erscheinen mir die Ermittlungen für die Kollegen in den örtlichen Polizeiinspektionen erschwert, weil die erforderlichen Spezialisierungen dort in der Regel nicht vorliegen. Das erschwert es dann auch, Brandstifter in den Waldgebieten zu überführen.
Was macht die Arbeit der Ermittler nach Waldbränden so anspruchsvoll?
Meistens kommt zunächst eine Vielzahl möglicher Brandursachen in Betracht, die es einzugrenzen gilt. Ein Blitzschlag kann ein Feuer in einem trockenen Waldgebiet entfachen, Munition kann sich selbst entzünden, hinzu kommt Funkenflug durch forst- oder landwirtschaftliche Maschinen und viele Formen von Unfällen, fahrlässigen und vorsätzlichen Verursachungen von Bränden durch menschliches Tun oder Unterlassen. Schon die Eingrenzung der Ursachen ist anspruchsvoll. Und wenn von vorsätzlicher Brandstiftung ausgegangen werden kann, ist das erst ein Anfang. Dann müssen Verdächtige ermittelt und die Tat bewiesen werden.
Wie gehen die Kriminalbeamten dabei vor?
Mit Überwachungskameras zur Brandfrüherkennung und mit Satellitenüberwachung lässt sich der Zündort eines Brandes oft auf bis zu 200 Quadratmeter eingrenzen. In dem Bereich müssen Ermittler dann klären, was den Brand verursacht hat. Dabei arbeitet man im Ausschlussverfahren. Ohne Gewitter kann ein Blitzschlag als Ursache ausgeschlossen werden, ohne Munitionsbelastung kommt ein selbstentzündeter Sprengkörper nicht in Betracht. Nach und nach kann man so etwa eine menschliche Ursache herausarbeiten.
Welche Spuren finden Polizisten nach Waldbränden auf den niedergebrannten Flächen noch?
In den meisten Fällen werden keine Spuren aufgefunden, weil die Tatspuren durch den Brand oft vernichtet werden. Es konnten in der Vergangenheit aber zum Beispiel schon Reste von Kleidungsstücken sichergestellt werden, die mit Brandbeschleuniger zum Zünden benutzt wurden. Manchmal fanden Beamte Überreste von Kohleanzündern. In solchen Fällen liegt der Verdacht auf vorsätzliche Brandstiftung nahe.
Wenn es keine Spuren gibt, wie kann es dann möglich sein zu sagen, wer für die Taten infrage kommt?
Auch das ist tatsächlich schwer. Bei Einbrüchen werden hinterher meistens viele Beweismittel sichergestellt, bei Tötungsdelikten gibt es in der Regel einen persönlichen Bezug zwischen Täter und Opfer. Bei Bränden oder Waldbränden ist das häufig nicht der Fall, da hat der Geschädigte, also der Besitzer des Waldes, oft nichts mit dem Täter zu tun. Das erschwert die Ermittlungen.
Aus der Forschung wissen wir aber, dass Brandstifter ihre Feuer oft in einem Umkreis von einem bis zwei Kilometern um ihren Wohnort legen. Das trifft allerdings nicht auf Waldbrandserien zu. Diese werden immer in größerer Entfernung gelegt. Das Besondere ist, dass die Täter oft mit dem Auto unterwegs sind. Das kann bei der Suche nach Zeugen helfen.
Kriminalbeamte werden also in der Regel versuchen, Zeugen zu finden, zum Beispiel Spaziergänger, Jäger, Landwirte oder Förster. Das ist dann wiederum klassische Ermittlungsarbeit. Manchmal sind auch Hinweise hilfreich, die sich auf die Zeit vor oder nach der Brandstiftung beziehen. Einmal wurde etwa ein Serientäter überführt, weil vor und nach den Waldbränden jeweils ein roter Pkw im Wald gesehen wurde. Dadurch konnte der Kreis der Verdächtigen eingegrenzt und später der Täter überführt werden.
Wenn die Polizei einen möglichen Serienbrandstifter gefunden hat, wie kann sie ihm die Taten dann nachweisen?
Die Mittel, die dann oft genutzt werden, sind Observation oder Wohnungsdurchsuchung. In den Durchsuchungen wurden vielfach Brandbeschleuniger, wie Brennspiritus oder Brandmittel, wie Textilreste, gesichert, wie sie am Brandort vorgefunden wurden. Eine weitere Möglichkeit ist die Vernehmung. Da braucht es einen erfahrenen Vernehmer, der Kenntnisse über die Psyche eines Brandstifters als auch über die Tat hat, um den Täter zum Geständnis zu führen.
Sie haben Unterlagen zu mehr als 1.400 Brandstiftungen durchgearbeitet, was haben Sie gelernt über Menschen, die den Wald in Brand setzen?
Wir wissen zum Beispiel, dass die Täter fast immer männlich sind. Einen bestimmten Typ Brandstifter gibt es aber nicht und die Motive und Beweggründe der Täter sind sehr unterschiedlich. In den Neunzigerjahren hatte ich als Kriminalkommissar im Polizeipräsidium Eberswalde eine Brandserie in Templin bearbeitet. Dabei stellte sich irgendwann heraus, dass Zwölfjährige Brandvorrichtungen in den Wald geschleudert hatten. Für sie war es faszinierend, die Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene im Einsatz zu sehen.
In Italien und Spanien gab es Fälle, in denen Menschen zur Waldbrandsaison als Brandwachen rekrutiert wurden. Als die Brände weniger wurden und die Brandwachen nicht mehr gebraucht wurden, fingen sie an Feuer zu legen, um wieder einen Job zu haben.
Australische Forscher haben über Fälle gelangweilter Teenager geschrieben, die aus dem Risiko, Feuer zu entfachen, ihre innere Unruhe abbauen. Bei unserer Auswertung von Waldbränden haben wir aber festgestellt, dass eine signifikante Häufigkeit von Tätern vorliegt, die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr sind oder einen Bezug zu ihr haben.
Wie erklären Sie sich das?
Im Kern hatten wir es da oft mit jungen Männern zu tun, die ein schlechtes Selbstwertgefühl haben, die eine Außenseiterrolle spielen, sich Anerkennung wünschen und zu einer Gruppe dazugehören wollen. In der dörflichen Gemeinde sind Freiwillige Feuerwehren oft ein kulturelles Zentrum, da wollen sich junge Menschen oft beweisen.
Wenn sie im Wald einen Brand gelegt hatten, gingen sie schnell nach Hause und warteten auf den Alarm. Mit dem Wissen, genau wo und was brennt, können sie sich beim Einsatz besonders kompetent und effektiv einbringen. Wenn sie der Feuerwehrchef hinterher bei der Einsatzauswertung auf der Wache belobigt und sagt, sie hätten einen guten Job gemacht, fühlen sie sich wichtig und wertgeschätzt. Aktuelle Probleme, wie zum Beispiel Streit mit der Freundin, eine Entlassung oder ein Alkoholproblem können so für kurze Zeit in den Hintergrund treten.
Sie und einer Ihrer Kollegen an der Fachhochschule in Güstrow sind deutschlandweit die einzigen Forscher, die sich mit Brandstiftern befassen. Das ist erstaunlich, gemessen an der Zahl der Waldbrände und an der medialen Präsenz solcher Ereignisse.
Das ist ein Punkt, über den ich selbst immer wieder erstaunt bin. In Europa werden Waldbrände aufgrund der wirtschaftlichen, ökologischen und klimatischen Schäden als großes Problem angesehen. Auch in Deutschland hat die Bekämpfung von Waldbränden eine hohe gesellschaftliche Priorität. Oft wird darüber gesprochen, wie man Waldbrände etwa mit Hubschraubern und Löschpanzern effektiv bekämpfen kann. Aber wer die Brände verursacht und wie man die Brände verhindern kann, auf die Fragen wird kein Augenmerk gelegt. Und aus meiner Sicht werden auch nicht die notwendigen Mittel bereitgestellt, um die Fragen angemessen zu erforschen.
In Jüterbog und der Lieberoser Heide wird nach einer auffälligen Häufung von Waldbränden in den vergangenen Jahren wegen des Verdachts auf Brandstiftungsserien ermittelt. Stehen sie in Kontakt mit den zuständigen Kriminalbeamten?
Nein, das ist aber genau das Ziel, das wir mit unserem neuen Pilotprojekt an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow verfolgen. Wir versuchen möglichst viele Informationen zu den Brandstiftungen zu erfassen und zu systematisieren, um eine Ermittlungshilfe für Kripo-Beamte vor Ort zu gestalten. Unsere Forschungsrichtung ist, dass wir den Kollegen aus der Empirie etwas mitgeben, um ihnen eine zielgerichtete Fahndung zu ermöglichen, wodurch sie erfolgreicher, kurzfristiger und effektiver arbeiten können. Aus meiner Sicht hätte man die Ursachenermittlung bereits beim Aufbau des Waldbrandkompetenzzentrums berücksichtigen müssen, schon weil die Ursache jedes zweiten Waldbrandes unbekannt ist. Hier sollten die Polizei und die Forschung einbezogen und beteiligt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Roberto Jurkschat
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