Kottbusser Tor in Berlin - "Jahrelang mit der Kriminalität allein gelassen"

So 11.08.24 | 15:02 Uhr | Von Johanna Sagmeister
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Symbolbild:Ein Polizist steht am Kottbusser Tor.(Quelle:picture alliance/dpa/C.Gateau)
Bild: picture alliance/dpa/C.Gateau

Das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg ist Party-Hotspot und Wohngebiet. Aber auch ein Ort von Armut, Drogen und Gewalt. Der Bau einer neuen Polizeiwache sollte die hohe Kriminalitätsrate eindämmen. Mit Erfolg? Von Johanna Sagmeister

Das "Café Kotti" ist eine Art Kreuzberger Institution. Es liegt im ersten Stock vom "Zentrum Kreuzberg", einem Hochhauskomplex direkt am Kottbusser Tor. Dass man von hier aus mal aus nächster Nähe erleben kann, wie Polizeibeamte mehrmals täglich mutmaßliche Drogendealer in Handschellen abführen, hätte Café-Inhaber Ercan Yaşaroğlu vor zwei Jahren noch nicht geglaubt. Doch seit eineinhalb Jahren hat Yaşaroğlu einen neuen Nachbarn. Es ist die Polizei Berlin, die Tür an Tür zu seinem Café eine Nebenwache eröffnet hat.

Yaşaroğlu erlebt nun täglich die Möglichkeiten und Grenzen von polizeilichem Handeln. "Der Mann wurde gestern auch schon festgenommen", sagt er gelassen. "In einer halben Stunde ist der Dealer wieder auf freiem Fuß", sagt er, als die Tür hinter den Beamten zu fällt.

"Angst beherrschte das Kottbusser Tor"

Das Kottbusser Tor ist eines der Zentren des türkischen Lebens in Berlin. Es ist Wohngebiet und Party-Spot. Aber auch ein Ort von Armut, Drogen und Gewalt. Körperverletzungen, sexuelle Übergriffe und Raubtaten sind an der Tagesordnung.

Als Yaşaroğlu von den Plänen einer Polizeiwache nebenan hörte, dachte er, das bedeute das Aus für sein Café. Er befürchtete, dass sein traditionell linkes und migrantisches Publikum abgeschreckt werde, dass die Wache der Anfang einer Kommerzialisierung der Gegend sei.

Diese Befürchtungen sind nicht eingetreten. Yaşaroğlu hat sich mit der Wache arrangiert, nennt sein Café scherzhaft das "sicherste Café in Berlin". "Früher beherrschte Angst das Kottbusser Tor", sagt er. "Heute spielen draußen bis spät abends die Kinder."

Festnahmen auf "frischer Tat"

Vor allem Menschen mit Einwanderungsgeschichte würden sich durch die Polizeipräsenz gesehen fühlen. "Die Politik hat uns jahrelang mit der Kriminalität allein gelassen", sagt er. In den Aufgängen und Aufzügen zu den Wohnungen würden sich nicht mehr so viele Drogenabhängige aufhalten, es käme zu weniger sexuellen Gewalttaten und nach Diebstählen oder Gewalterfahrungen fänden Opfer in der Wache einen direkten Ansprechpartner.

So sieht es auch Karsten Stephan, der Polizeidirektor und Abschnittsleiter der "Kotti-Wache". Er führt stolz durch die modernen Räume, nennt sie ein "Erfolgsmodell". Jeweils drei bis vier Polizeibeamte arbeiten hier im Schichtbetrieb. Der Vorteil seien die kurzen Wege. So viele Festnahmen auf "frischer Tat" habe er noch nicht erlebt, so der Polizist.

Das Kottbusser Tor ist einer von sieben sogenannten "kriminalitätsbelasteten Orten" in Berlin. Beamte dürfen dort unter anderem ohne bestimmten Anlass Kontrollen durchführen. Dass die Zahl der Straftaten im ersten Jahr der neuen Wache gestiegen ist, sei zu erwarten gewesen, sagt Stephan. "Wir erhellen das Dunkelfeld und erreichen Menschen, die mit der Polizei bisher nicht so viel Kontakt hatten." Das Ziel, die subjektive Sicherheit der Menschen zu erhöhen, sei erreicht worden. "Im Sichtfeld der Wache", sagt Karsten Stephan, sehe alles "tipptopp" aus.

Symbolbild:Panoramablick auf das Kottbusser Tor während der blauen STunde.(Quelle:picture alliance/NurPhoto/E.Contini)Panoramablick auf das Kottbusser Tor während der blauen Stunde. Bild: picture alliance/NurPhoto

Polizeiwache nach wie vor umstritten

Doch das reicht einigen Anwohnern und Gewerbetreibenden nicht. Viel habe sich nicht verändert, sagt einer, der in einem der Restaurants auf dem Platz arbeitet. Diebstähle und Gewalt würden sich zwar nicht mehr direkt vor seinem Restaurant abspielen, dafür jetzt in den Nebenstraßen. Als "Geldverschwendung" bezeichnet er die Polizeiwache deswegen. "Es ist immer noch dreckig und stinkt überall nach Urin, weil es nur eine öffentliche Toilette am Platz gibt", sagt er.

Umstritten war die Wache vor allem wegen der Baukosten von dreieinhalb Millionen Euro, während der Berliner Senat bei sozialen Projekten den Rotstift ansetzt. "Wenn diese Summe für soziale Maßnahmen ausgegeben worden wäre, dann wären wir viel weiter", sagt Wolfgang Moser, der im Gebäudekomplex wohnt und gewähltes Mitglied im Mieterrat ist. Dass es vom Senat für soziale Projekte einmalig 250.000 Euro gibt, ist für ihn eine "ungleiche Gewichtung".

Zu wenige Toiletten, zu wenig Licht

"Die Anzahl der Anzeigen ist für die Lebensqualität der Anwohner nicht relevant", so Moser. Die Polizei sei ein Baustein, jetzt müssten weitere folgen. Er zählt auf, was es unter anderem noch brauche: Mehr Übernachtungs- und Aufenthaltsangebote für Drogenabhängige, mehr öffentliche Toiletten, Licht in den verschachtelten Gängen des Gebäudes.

Die Notwendigkeit dafür sehen auch die zuständigen Stellen in Senat und Bezirk, doch an der Planung und Umsetzung dieses "ganzheitlichen Konzepts" arbeitet man auch eineinhalb Jahre nach Eröffnung der Wache noch. Vor allem die Finanzierung von bestimmten Maßnahmen ist noch unklar.

Café-Besitzer Ercan Yaşaroğlu hofft, dass die Politik eine Einigung findet, um das Kottbusser Tor, die Gewerbetreibenden und seine Anwohner weiter zu unterstützen. Das würde auch helfen, Vorurteile abzubauen, sagt er. "Viel zu häufig wird Kriminalität in migrantischen Vierteln von der Politik einfach so hingenommen", sagt er. "Dabei wollen auch wir in Sicherheit leben." Das Kottbusser Tor sei der Beweis dafür.

Sendung: rbb24 Abendschau, 25.07.2024, 19:30 Uhr

Quelle: tagesschau.de

Beitrag von Johanna Sagmeister

32 Kommentare

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  1. 32.

    Ja, wie ist es denn soweit gekommen ? Wie konnte das nur passieren ?

  2. 31.

    Stimmt. Besonders in den Bereichen, die auch gern von (West)Berlinern besucht wurden, hat die DDR-Obrigkeit mit ihrem Helferlein gern die Augen zugedrückt, weil durch diese Besucher auch "harte Währung" ins Land kam.
    Mocca-Mich-Eisbar, Nachtbars wie die Pinguin-Bar, Bars besonders in Mitte etc. wurden ja gern besucht, weil diese nicht nur in der Nähe zu Grenzübergängen lagen sondern generell für Westberliner Nachtschwärmer umgerechnet billiger waren. Sie können sicher sein, dass man trotzdem beobachtet wurde. In Clubs, Bars anderer Bezirke, in denen ich meine Jugend verbrachte, wurden man damit nicht behelligt und konnte als Frau auch nachts allein sicher nach Hause gehen.

  3. 30.

    Das ist ja das Schöne in diesem System, dass die Täter nicht zahlen müssen. Theoretisch zwar alles gut geregelt, aber eigentlich praxisuntauglich.

  4. 29.

    Verbote sind schön und gut, sie müssen nur auch kontrolliert werden (können).
    Bei dem Personalkörper der Polizei ist das kaum möglich!

  5. 28.

    Dann würde mich interessieren, warum es, trotz der Jahre langen Aktivitäten des Bezirks, zu diesen Zuständen gekommen ist. Wo doch der Bezirk immer alles richtig machte und der Senat nicht???
    Ich vermute mal dem Bezirk, bzw. der Bürgermeisterinnnen sind andere Sachen wichtiger als der Kotti und Umgebung gewesen. Dieser Bereich ist seit Jahrzehnten bekannt für seine Problematiken. Jetzt wo der Senat was getan hat, was natürlich immer falsch ist, ist ja auch der falsche Senat, muss schnell mal ein Konzept aus der Schublade geholt werden und oh, steht nicht drauf auf dem Blatt .... Anstatt, dass das beide mal (Senat und Bezirk) sich ohne Parteibuch an einen Tisch setzen und einen gemeinsamen Weg zur Abhilfe suchen ...

  6. 27.

    Die Polizei kann nun wirklich nichts dafür.
    Sie muss ja die Gesetze umsetzen.
    Und da ist gerade bei dem Thema schwerster Gewaltdelikte einfach ein zu lascher Umgang und eine Rechtslage, die viel zu oft die Bedürfnisse der Täter in den Mittelpunkt stellt.
    Hier müssten neben dem Strafmaß auch mal klare finanzielle Konsequenzen zu spüren sein.
    Zur Zeit gibt es zwar Schmerzensgeld-Ansprüche für Opfer.
    Aber zahlen die Täter diese denn auch ab?
    Wohl eher selten.

  7. 26.

    Da muss ich Ihnen leider wiedersprechen.
    In West - Berlin waren wir durch unsere drei Alliierten geschützt und es gab ein generelles Waffenverbot für die hier lebenden. Was heute in Berlin los ist wäre NIE möglich gewesen. Nicht einmal diese Vermüllung in der Stadt gab es vor 20.. nicht.
    Berlin ist leider NUR noch eine Reise wert,wenn man Glück hat kommt man auch wieder nachhause.

  8. 25.

    Wenn die Gegenwart und Zukunft für einige Menschen immer düsterer wird, klammern sich Menschen nun mal auch an Erinnerungen an die DDR.
    Nun war die DDR für Mauertote und Stasiknast-Insassen natürlich eine Katastrophe.
    Aber es gab eben auch Menschen, die sich in der DDR sicher und zufrieden gefühlt haben.
    Und damit meine ich nicht nur SED-Mitglieder.
    Klar war 1989 die Aussicht auf die BRD was tolles.
    Allerdings haben viele nach 35 Jahren nun auch vergleichen können, an welchen Stellen es schlechter läuft.
    Klar ist da auch Ostalgie dabei.
    Mit dem zeitlichen Verzug sieht man Vergangenes immer etwas positiver.

  9. 24.

    Also ich meine, die Messerkriminalität ist meines Wissens neu.
    Die Straßenkriminalität (bitte korrigieren Sie mich) war in der DDR oftmals das blaue Auge, der rausgeschlagene Zahn, leichte Knochenbrüche oder die aufgerissene Lippe.
    Schlimm genug - aber diese Messerangriffe mit schwersten Organfolgen und Toten gab es nicht.
    Die Zahlen werden ja auch erst seit wenigen Jahren ermittelt und steigen stark an.
    Ich meine sogar, dass es in der DDR keine adäquaten Straßengang-tauglichen Stichwaffen gab.
    Das wäre dann wohl eher Westware gewesen.

  10. 23.

    Ich weiß nicht, was Ihre Antwort mit meinem Kommentar zu tun hat.
    Drogen, Alkohol, Kriminalität und Prostitution gab es zu allen Zeiten nicht nur im Westen Berlins , sondern auch in der DDR-Hauptstadt. Wer glaubt, das hätte sich erst nach dem Mauerfall geändert, hat einfach eine verklärte Erinnerung oder vor 1989 nicht in Berlin gelebt.

  11. 22.

    Und vor allem Jene Bezirksbürgermeister/-senate in Friedrichshain-Kreuzberg/Mitte. "

    Die haben von Anfang an auf das einzige richtige Konzept gesetzt, statt marktschreierischer Hau-Ruck Aktionen.

    "Die aber verweisen jetzt, bei CDU/SPD-Senat, auf fehlende Gelder/Inovationen. "

    Richtig, wo spart der cDU Senat natürlich als erstes ein?

    "Hughes und Diederich sind jung, sind seit zwei beziehungsweise knapp einem Jahr als Sozialarbeiter auf der Straße unterwegs. Der Job ist anstrengend, aber die Motivation für Hughes ist eindeutig: "Mir ist es wichtig, dass jeder das Recht hat, menschenwürdig behandelt zu werden."

    "Und die vor CDU/SPD haben ja alles richtig gemacht, und werden es auch wieder (in einem Paralell-Universum vielleicht)!"

    Sozialarbeit ist mühsame Kleinarbeit, deren Erfolge nicht sofort sichtbar sind.

  12. 21.

    Entscheidend für den Sinn und die Akzeptanz dieses Polizeireviers ist allein das tatsächliche Ergebnis seiner Arbeit:
    Gibt es weniger Straftaten?
    Fühlen sich (normale) Menschen und Anwohner dort sicher?
    Werden stattfindende Straftaten tatsächlich aufgeklärt UND die betreffenden Täter aus dem Verkehr gezogen?
    Fatal wäre, wenn die organisierten kriminellen Strukturen vor Ort die Harm- und Wehrlosigkeit der Staatsorgane direkt für Ihrer Nase offenlegen und ihr Handeln stattdessen sogar weiter optimieren können.
    Der Rechtsstaat muss gewinnen - muss immer gewinnen! Dabei ist der finanzielle Aufwand unrelevant.

  13. 20.

    "Damit machen es sich die Regierenden in der Politik zu einfach." aber auch alle in diesem Jahrtausend!
    Und vor allem Jene Bezirksbürgermeister/-senate in Friedrichshain-Kreuzberg/Mitte.
    Die aber verweisen jetzt, bei CDU/SPD-Senat, auf fehlende Gelder/Inovationen.
    Und die vor CDU/SPD haben ja alles richtig gemacht, und werden es auch wieder (in einem Paralell-Universum vielleicht)!
    Wieviel Prioritäten hat Berlin, zwei oder drei Dutzend?

  14. 19.

    So ein Blödsinn. Sie müssen Westler sein. Sie haben nichts verstanden...

  15. 18.

    Und alle realitätsfernen so: "WAS? Stimmt doch gar nicht!"

    Ihr lest doch (zumindest) in der letzen Zeit nachrichten, oder? Überlest ihr da absichtlich bestimmte Sachen? Statistiken hust hust, auch vom RBB. 2 bestimmte reichen da völlig.

    Ach ja ihr Grünen kriegt eh nix mit, also lasst es doch einfach!

  16. 17.

    "Und Teile der Friedrichstraße und der Linienstraße konnte man als Frau ohnehin in den späten Abendstunden nur in Begleitung begehen, ... "
    Sie sagen es.
    Heute aber ist man in keiner Straße Berlins als Frau sicher.
    Und idie zwei Kaffees, die Sie aufführen, ist der ganzen Stadt gewichen.
    Also bitte, fabulieren Sie nicht von "Ihnen beschworene Ost-Idylle gab es vielleicht in der Lausitz".
    Aber, nicht schlimmer ist der Mauertotenvergleich dieses "Schutzwesten für Alle" fordernde.
    Wieviel Mauertote fab es in Berlin? Ca. 180 in 40 Jahren? Die stellt der in Vergleich mit den mehrfach täglichen Messerangriffen auf Bürger dieser Stadt? Wie respektlos muss man gegenüber der Menschen sein, die den Drang nach Freiheit mit dem Tode bezahlten und wegen nichtiger Dinge getötet oder verletzt werden.

  17. 16.

    "Ist eben Westberlin. Das war auch schon mit Mauer so, und damit aber für uns besser."

    Und schon sind wir wieder bei dem Ost-West-Thema angelangt. Scheinbar das Lieblingsthema von einigen Foristen. Haben Sie sich eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, dass es einige West-Berliner geben könnte, die es früher vielleicht auch besser fanden? Immer in die Vergangenheit zu schauen finde ich allerdings ziemlich destruktiv. Das Leben zu leben und kreativ damit umzugehen, bedeutet außerdem eine ständige Veränderung, alles andere ist Stillstand. Und was in der Vergangenheit liegt, wird gerne eher positiv betrachtet. Ob es wirklich auch immer so war?

  18. 15.

    Und schon sind wir wieder bei dem Ost-West-Thema angelangt. Scheinbar das Lieblingsthema von einigen Foristen.

  19. 14.

    "Damit machen es sich die Regierenden in der Politik zu einfach." aber auch alle in diesem Jahrtausend!
    Und vor allem Jene Bezirksbürgermeister/-senate in Friedrichshain-Kreuzberg/Mitte.
    Die aber verweisen jetzt, bei CDU/SPD-Senat, auf fehlende Gelder/Inovationen.
    Und die vor CDU/SPD haben ja alles richtig gemacht, und werden es auch wieder (in einem Paralell-Universum vielleicht)!
    Wieviel Prioritäten hat Berlin, zwei oder drei Dutzend?

  20. 13.

    Was bin ich Ihnen dankbar für Ihren Kommentar. Ich habe hier so selten Kommentare gelesen, die nicht die DDR irgendwie versucht hätten, zu idealisieren. Also mein Dankeschön geht an Sie, dass ich hier auch mal einen solchen Kommentar lese.

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