#Wiegehtesuns? I Retraumatisierung durch Krieg - "Was jetzt passiert, habe ich auch hinter mir"
Vor 30 Jahren floh Begzada Alatović vor dem Krieg in Bosnien nach Deutschland. Der Krieg in der Ukraine lässt alte Traumatisierungen wieder aufbrechen. Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Begzada Alatović betreut im Interkulturellen Garten Rosenduft im Gleisdreieckpark traumatisierte Frauen aus Bosnien-Herzegowina. Durch die Arbeit im Garten sollen die Frauen ihre Erlebnisse verarbeiten und neue Kontakte knüpfen. Durch zahlreiche Therapien hat Begzada Alatović ihr eigenes Kriegstrauma gut bewältigen können. Doch der Krieg in der Ukraine ruft schrecklichen Erinnerungen wieder hervor.
Als die erste Nachricht "Krieg in der Ukraine" auf meinen Handy-Display erschien, hat mich das sofort an den Krieg in Bosnien erinnert. Damals herrschte in den ersten Kriegsstunden eine unglaubliche Stille. Ich war zu Hause mit meinem Mann und meinem kleinen Sohn. Durch unsere Stadt sind serbische Soldaten mit ihren Panzern gefahren und haben uns Muslime aufgefordert, die Waffen abzugeben. Überall wurden serbische Flaggen aufgehangen.
Ich bin aufgestanden und alle Erinnerungen waren wieder da. Nur jetzt war ich allein zu Hause, aber wieder war da diese unglaubliche Stille. Ich habe mich gefühlt, als wäre plötzlich wieder 1992. Dass dieser Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, ist eine Katastrophe.
Ich habe dann überlegt, was ich machen soll und musste mich erstmal sammeln. Ich habe die alten Ängste gespürt, denn diese Kriege sind sich so ähnlich. Als ich die ersten Bilder von flüchtenden Menschen, von Frauen und Kindern, gesehen habe, kam alles wieder hoch. In Bosnien war ich mehrmals auf der Flucht. Einmal wurden wir mit einem Lkw Richtung Kroatien in eine andere Stadt gebracht. Ich habe gesehen, wie Städte bombardiert wurden. All das, was jetzt passiert, habe ich auch hinter mir.
Ich habe meine Erfahrungen mit viel Therapie aufgearbeitet. Trotzdem ist es schwer, die Bilder aus der Ukraine zu auszuhalten. Manchmal muss ich ein paar Tage die Nachrichten ausschalten. In den ersten Wochen musste ich Beruhigungstabletten nehmen. Man hat einfach das Gefühl, dass einem das alles selbst wieder passiert. Ich habe gelernt, mit diesen Erinnerungen zu leben, aber es ist nicht einfach. Ich weiß, dass ich mich manchmal ablenken muss. Ein Buch kann ich momentan nicht lesen, aber ich meditiere oder arbeite hier im Interkulturellen Garten Rosenduft. Ich führe viele Gespräche mit den anderen Frauen, die auch aus Bosnien geflüchtet sind. Manche kommen aus Srebrenica und haben noch viel schlimmere Dinge als ich erlebt.
Jetzt höre ich von Familien, die auf der Flucht auseinandergerissen werden. Die Männer müssen dableiben, die Frauen und Kinder sind hier. Das gleiche habe ich auch erlebt. Wir wurden damals aus unserer Stadt in Ost-Bosnien vertrieben. Mein Mann ist im Krieg ums Leben gekommen. Wir wussten lange nicht, was mit ihm passiert ist. Erst sechs Jahre später wurde er in einem Massengrab gefunden. Wir sind damals immer wieder zurückgekommen, um ihn vielleicht doch noch zu finden.
Später sind wir über Ungarn nach Polen geflohen. Die darauffolgende Flucht von Polen nach Deutschland war sehr aufreibend und schrecklich. Wir sind mitten in der Nacht über die Grenze gelaufen. Ich weiß nicht, ob ich so etwas nochmal auf mich nehmen könnte. Es ist gut, dass den Menschen aus der Ukraine die Flucht nun teilweise erleichtert wird.
Was ich gelernt habe, ist, dass Therapie unglaublich wichtig ist. Ich habe das erst nach ein paar Jahren in Deutschland machen können. Damals habe ich den Verein Südost e.v. kennengelernt, er kümmert sich um Geflüchtete aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich denke, dass es auch für die Menschen aus der Ukraine wichtig ist, schnell psychologische Hilfe zu bekommen. Es hilft, zu wissen, dass man mit diesen schlimmen Erfahrungen nicht allein ist.
Gesprächsprotokoll: Ann Kristin Schenten
Sendung: Inforadio, 11.04.2022, 06:00 Uhr
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