Interview | Historiker über Entschädigungsforderung - "Polen hat Reparationen erhalten - aber in Form von Waren"
1,3 Billionen Euro fordert Polen von Deutschland als Entschädigung für Kriegsschäden. Die Bundesregierung lehnt das ab: Polen habe auf Reparationen verzichtet. Der Historiker Krzysztof Ruchniewicz erklärt, wie es zu diesen zwei Ansichten kommt.
rbb: Herr Ruchniewicz, hat Polen von Deutschland überhaupt Reparationen erhalten?
Krzysztof Ruchniewicz: Bei der Potsdamer Konferenz 1945 wurde beschlossen, dass Polen Reparationen aus Deutschland über die Sowjetunion erhalten soll. Die polnischen Vertreter wurden in Potsdam über die Beschlüsse der vier Mächte informiert und haben sie zur Kenntnis genommen.
Zwei Wochen später, am 16. August 1945, hat die polnische Regierung aber ein Abkommen mit der Sowjetunion abgeschlossen. Sie hat die ersten Reparationen erhalten, das waren aber prozentuale Festlegungen, welche nicht in Form von Geld, sondern von Waren erfolgen sollten. Polen bekam über die Sowjetunion unter anderem Maschinen, Teile von Fabriken, Ausrüstung und Frachtschiffe. Wichtig ist aber noch: In der gleichen Vereinbarung vom 16. August 1945 hat sich Polen verpflichtet, der Sowjetunion Kohle zu niedrigen Preisen zu liefern, was sich aber überhaupt nicht rentierte.
Was hat Polen dafür bekommen?
Stalin willigte ein, dass die ehemaligen deutschen Ostgebiete an Polen übertragen werden. Die deutsche Bevölkerung sollte aus diesen Gebieten ausgesiedelt werden. Deutschland verlor ein Fünftel seines Gebietes.
Und wie ging es dann weiter?
Die polnische Regierung versuchte immer wieder, das Abkommen mit der Sowjetunion neu zu verhandeln. Man wollte die Kohlelieferungen reduzieren, weil man befürchtet hat, dass deren Wert am Ende höher wird als die Summe der Reparationen.
Dann brach der Volksaufstand in der DDR aus und die Sowjetunion setzte weitere Reparationen aus der DDR aus. Auch Polen kam der DDR entgegen und verzichtete auf die Reparationen aus ganz Deutschland, aus der DDR, aber auch aus Westdeutschland. 1957 hat Polen einen Vertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet, der den Reparationstransfer beendete.
Gibt es Dokumente, die bestätigen, dass Polen auf Reparationen von ganz Deutschland verzichtet hat?
Es gibt eine Verzichtsdeklaration von der polnischen Seite. Die Völkerrechtler sind der Meinung, eine solche Deklaration sei gültig und nicht anfechtbar. Auch die späteren polnischen Regierungen haben diese Entscheidung nicht in Frage gestellt, auch nicht nach 1989.
Die Bundesrepublik hat 1990, nach der Wiedervereinigung, in einem Global-Abkommen Polen 500 Millionen D-Mark an Entschädigungen ausgezahlt. Die Industrie zahlte in einen speziellen Fonds. Vorher wurden die Opfer der medizinischen Experimente und die Zwangsarbeiter entschädigt. Viele Polen sind damit unzufrieden. Welche Lösung sehen Sie in dieser Situation?
Fundamental ist die Frage, ob beide Seiten gemeinsam an einer Lösung interessiert sind. Ich würde für eine sogenannte pragmatische Lösung plädieren. Man könnte einen Fonds aus deutschen Mitteln einrichten, um noch die letzten lebenden Opfer des "Dritten Reichs" zu unterstützen, durch Gewährleistung von verschiedenen Leistungen wie Kuren, Krankenhausaufenthalte oder Zuzahlung zu Medikamenten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Sendung: Die Reportage "Streit um Reparationszahlungen: Soll Deutschland an Polen zahlen?" ist ab 1. Februar 2023, 22:00 Uhr, u.a. in der rbb-Mediathek abrufbar.