Umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen - Im Bundestag sitzen künftig weniger Abgeordnete
Deutschland hat nach China das zweitgrößte Parlament der Welt. Das soll sich jetzt ändern, denn der Bundestag will sich verschlanken. Zum Ärger von Linken und CSU. Besonders den Überhangsmandaten soll es an den Kragen gehen.
- Der Bundestag verschlankt sich künftig auf 630 Sitze.
- Die Grundmandatsklausel soll abgeschafft werden.
- Auch könnten nicht mehr alle direkt Gewählten ins Parlament einziehen.
- Linke und Union wollen dagegen juristisch vorgehen.
Der Bundestag hat nach jahrelangem Streit eine Wahlrechtsreform beschlossen, die das Parlament verkleinern und dauerhaft auf 630 Abgeordnete begrenzen soll. Ein Entwurf der regierenden Ampel-Fraktion von SPD, Grünen und FDP erreichte am Freitag die erforderliche einfache Mehrheit. 400 Abgeordnete stimmten für die Reform, wie die stellvertretende Bundestagspräsidentin Aydan Özoguz (SPD) mitteilte. 261 Abgeordnete stimmten gegen den Gesetzentwurf, 23 Parlamentarier enthielten sich.
Die oppositionellen Union und die Linkspartei sehen sich durch die Reform benachteiligt. Sie kündigten jeweils eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Der Bundesrat muss sich auch noch mit dem Gesetzentwurf befassen, kann ihn aber nicht aufhalten.
Schluss mit Überhangmandaten
Mit der Reform soll der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl, regulär im Herbst 2025, dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert werden. Erreicht werden soll die Verkleinerung, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate verzichtet wird. Die sorgten bislang für eine Aufblähung des Bundestages.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate mehr Sitze im Bundestag erringt als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Sie darf diese Sitze bislang behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. Nach den neuen Regeln könnte es künftig auch vorkommen, dass ein Bewerber seinen Wahlkreis zwar direkt gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Das erzürnt vor allem die bayerische CSU.
CSU könnte Sitze verlieren
Zudem soll eine strikte Fünf-Prozent-Klausel gelten. Die sogenannte Grundmandatsklausel entfällt. Sie sorgt bisher dafür, dass Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzogen, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Davon profitierte 2021 die Linkspartei. Wird die Klausel gestrichen, könnte das, je nach Wahlergebnis, künftig auch Konsequenzen für die CSU haben, deren Direktkandidaten in Bayern traditionell die meisten Wahlkreise gewinnen.
Ursprünglich wollte die Ampel das Parlament sogar wieder auf die Sollgröße von 598 Abgeordneten reduzieren. Nachdem die Union diesen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP abgelehnt hatte, der die Streichung der Grundmandatsklausel noch nicht vorsah, präsentierte die Ampel die neue Variante.
Stimmen von Berliner Abgeordneten
Der langjährige Wahlkreissieger aus Treptow-Köpenick, Gregor Gysi (Linke), hält die Änderung für "völlig indiskutabel" und geht davon aus, dass Karlsruhe die Regelung kippen werde: "Wenn die Wählerinnen und Wähler jemanden direkt in den Bundestag wählen, hat der auch einzuziehen."
Die direkt gewählte Abgeordnete aus Lichtenberg, Gesine Lötzsch (Linke), zeigte sich empört. Dass gewählte Abgeordnete nicht in den Bundestag einziehen dürften, sei eine "Verhöhnung des Wahlsystems". Es gehe der Ampelkoalition allein darum, ihre Mehrheiten zu sichern, sagte Lötzsch. "Das ist eine Form der Machtbesoffeneit, die man nicht akzeptieren kann."
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der 2021 das Direktmandat in Tempelhof-Schöneberg für die Sozialdemokraten gewonnen hatte, verteidigte die Reform als die "einzige einigungsfähige Lösung". Sie betreffe potenziell alle Parteien. Es sei nicht Aufgabe der Koalition, die Existenz der Linken zu sichern: "Ob die Linke rausfliegt oder die CSU weniger hier vertreten ist, hat nicht die Ampel in der Hand, sondern einzig und allein die Wählerinnen und Wähler in Deutschland." Wenn die Linke wieder über fünf Prozent komme, säßen auch die Berliner Direktkandidaten weiter sicher im Bundestag.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 12:00 Uhr