Umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen - Im Bundestag sitzen künftig weniger Abgeordnete

Fr 17.03.23 | 15:36 Uhr
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Die Parlamentarier debattieren am 17.03.2023 im Bundestag.(Quelle:dpa/M.Kappeler)
Video: rbb24 | 17.03.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa/M.Kappeler

Deutschland hat nach China das zweitgrößte Parlament der Welt. Das soll sich jetzt ändern, denn der Bundestag will sich verschlanken. Zum Ärger von Linken und CSU. Besonders den Überhangsmandaten soll es an den Kragen gehen.

  • Der Bundestag verschlankt sich künftig auf 630 Sitze.
  • Die Grundmandatsklausel soll abgeschafft werden.
  • Auch könnten nicht mehr alle direkt Gewählten ins Parlament einziehen.
  • Linke und Union wollen dagegen juristisch vorgehen.

Der Bundestag hat nach jahrelangem Streit eine Wahlrechtsreform beschlossen, die das Parlament verkleinern und dauerhaft auf 630 Abgeordnete begrenzen soll. Ein Entwurf der regierenden Ampel-Fraktion von SPD, Grünen und FDP erreichte am Freitag die erforderliche einfache Mehrheit. 400 Abgeordnete stimmten für die Reform, wie die stellvertretende Bundestagspräsidentin Aydan Özoguz (SPD) mitteilte. 261 Abgeordnete stimmten gegen den Gesetzentwurf, 23 Parlamentarier enthielten sich.

Die oppositionellen Union und die Linkspartei sehen sich durch die Reform benachteiligt. Sie kündigten jeweils eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Der Bundesrat muss sich auch noch mit dem Gesetzentwurf befassen, kann ihn aber nicht aufhalten.

Schluss mit Überhangmandaten

Mit der Reform soll der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl, regulär im Herbst 2025, dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert werden. Erreicht werden soll die Verkleinerung, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate verzichtet wird. Die sorgten bislang für eine Aufblähung des Bundestages.

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei über Direktmandate mehr Sitze im Bundestag erringt als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Sie darf diese Sitze bislang behalten. Die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. Nach den neuen Regeln könnte es künftig auch vorkommen, dass ein Bewerber seinen Wahlkreis zwar direkt gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Das erzürnt vor allem die bayerische CSU.

CSU könnte Sitze verlieren

Zudem soll eine strikte Fünf-Prozent-Klausel gelten. Die sogenannte Grundmandatsklausel entfällt. Sie sorgt bisher dafür, dass Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag einzogen, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Davon profitierte 2021 die Linkspartei. Wird die Klausel gestrichen, könnte das, je nach Wahlergebnis, künftig auch Konsequenzen für die CSU haben, deren Direktkandidaten in Bayern traditionell die meisten Wahlkreise gewinnen.

Ursprünglich wollte die Ampel das Parlament sogar wieder auf die Sollgröße von 598 Abgeordneten reduzieren. Nachdem die Union diesen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP abgelehnt hatte, der die Streichung der Grundmandatsklausel noch nicht vorsah, präsentierte die Ampel die neue Variante.

Stimmen von Berliner Abgeordneten

Der langjährige Wahlkreissieger aus Treptow-Köpenick, Gregor Gysi (Linke), hält die Änderung für "völlig indiskutabel" und geht davon aus, dass Karlsruhe die Regelung kippen werde: "Wenn die Wählerinnen und Wähler jemanden direkt in den Bundestag wählen, hat der auch einzuziehen."

Die direkt gewählte Abgeordnete aus Lichtenberg, Gesine Lötzsch (Linke), zeigte sich empört. Dass gewählte Abgeordnete nicht in den Bundestag einziehen dürften, sei eine "Verhöhnung des Wahlsystems". Es gehe der Ampelkoalition allein darum, ihre Mehrheiten zu sichern, sagte Lötzsch. "Das ist eine Form der Machtbesoffeneit, die man nicht akzeptieren kann."

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der 2021 das Direktmandat in Tempelhof-Schöneberg für die Sozialdemokraten gewonnen hatte, verteidigte die Reform als die "einzige einigungsfähige Lösung". Sie betreffe potenziell alle Parteien. Es sei nicht Aufgabe der Koalition, die Existenz der Linken zu sichern: "Ob die Linke rausfliegt oder die CSU weniger hier vertreten ist, hat nicht die Ampel in der Hand, sondern einzig und allein die Wählerinnen und Wähler in Deutschland." Wenn die Linke wieder über fünf Prozent komme, säßen auch die Berliner Direktkandidaten weiter sicher im Bundestag.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 12:00 Uhr

108 Kommentare

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  1. 107.

    Die Diskussion bewegt sich nur innerhalb des Rahmens des gegebenen Wahlsystems. Warum stellt man nciht mal die Wahlsysteme der anderen EU-Mitglieder dagegen zum Vergleich und sieht, was man von dort übernehmen könnte? Wie beschränken die anderen EU-Mitglieder die Größe ihres Parlaments? Wie sind dort Wahlkreise zugeschnitten?

  2. 106.

    Das eigentliche Problem liegt ja im Wahlrecht mit Erst-und Zweitstimme. Die Aufblähung des Bundestags entsteht ja nur, weil immer mehr Bürger vom Recht Gebrauch machen, mit diesen Stimmen unterschiedliche Parteien zu wählen. Da unser Wahlrecht vorsieht, dass derjenige Kandidat im Wahlkreis mit dem höchsten Stimmanteil sicher in den Bundestag einzieht, und sei der noch so gering (es ist ja selten eine tatsächliche Mehrheit aller Stimmen), die Verteilung im Parlament aber ausschließlich über die Zweitstimmen bestimmt wird, kann der Bundestag theoretisch ins Unendliche aufgebläht werden. Dem kann man nur begegnen, wenn die Erststimme ein Stück weit entwertet wird und nur noch so viel Abgeordnete darüber einziehen, wie der Zweitstimmenanteil zulässt. Dann ist die Regelgröße sogar garantiert. Fast niemand, der einen Wahlkreis gewinnt, tut dies mit 50% der Stimmen oder mehr. Die Einzugsgarantie ist daher aus der Zeit gefallen. Die mit den größten Stimmanteilen sollten einziehen.

  3. 105.

    Und hat schon mal jemand an die weiteren Konsequenzen gedacht?
    Bei einer künftigen Diskussionsrunde im Fernsehen nach Landtagswahlen in, sagen wir mal, Schläfrig-Holzbein, wird uns künftig der ewige Besserwisser vom nördlichen Alpenrand erspart bleiben.
    Alleine das ists schon wert.

  4. 104.

    Tja Thomas, ich sehe da keinen Denkfehler, denn:
    Die gesetzliche Anzahl seiner das ganze Volk vertretenden Mitglieder beträgt 598 nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG. Die tatsächliche Mitgliedszahl kann aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten höher sein. Im 20. Deutschen Bundestag besteht die Rekordzahl von 736 Mandaten, womit der Bundestag die größte frei gewählte nationale Parlamentskammer der Welt ist.

    Also weg mit den Überhang-und Ausgleichsmandaten und die Zahl der Abgeordneten auf 598 begrenzen. So einfach ist das und dann haben wir gleiches Recht für alle.

  5. 103.

    Und das ist der Denkfehler. Man konstruiert kein Wahlsystem nach seinen persönlichen Interessen. Ob Links-Partei oder sonst irgendeine Partei.
    Die Frage ist nur ob dieses Element den Parlamentarismus stärkt oder nicht.
    Wer den Direktmandaten das gleiche Gewicht wie den Parteien einräumt, der muß auch für beide Elemente unabhängige Zugangsvoraussetzungen schaffen.
    Alles war ja bereits richtig, man hätte lediglich die Grundgesamtheit des Parlaments kürzen und im gleichen Maßstab Wahlbezirke verringern, durch Zusammenlegung, müssen. Stattdessen fummelt man an den Gewichten herum, führt sinnfreie Schranken ein und streicht eine Möglichkeit des Zugangs ins Parlament.
    Einmal kräftig im Topf gerührt und fertig ist die Mahlzeit.

  6. 101.

    Man kann nur hoffen, das es wirklich zu einer Verkleinerung kommt. Schon der Gedanke, dass dadurch Die Linke nach derzeitigem Stand aus dem Bundestag verschwindet, lohnt sich und ist absolut erfreulich. Und wenn die CSU drinnen bleiben will, muss sie sich zukünftig bei Wahlen im ganzen Bundesland aufstellen und nicht nur in Bayern. Vielleicht kommt sie dann über die 5% Hürde.
    Jeder Bundestagsabgeordneter wird von unseren Steuergeldern bezahlt, auch nach 4 Jahren Angehörigkeit nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag bekommt er fortlaufende Bezüge. Und wenn man sieht, wie oft bei Tagungen der Bundestag fast leer ist, fragt man sich überhaupt, wofür diese Abgeordneten soviel Geld aus Steuergeldern bekommen. Aber ist ja klar, die müssen ja auch noch ein bisschen nebenher verdienen können, so wie bei der Maskenaffäre.

  7. 100.

    Das mit dem leer bleiben für Nichtwähler finde ich einen hochinteressanten Vorschlag.

    Das mit den reduzierten Wahlkreisen wäre die Musterlösung gewesen,nur hat das schlicht 10 Jahre nicht geklappt, auch das wurde von CDU/CSU permanent blockiert.

  8. 99.

    Da sowohl in Bayern als auch im Bund eine relative Mehrheit reicht für einen Wahlkreissieg(also zb auch 20% der Stimmen) wird dieses Wahlmodell eigentlich noch absurder.

    Wenn dann müsste es bei jeder Erststimmenwahl unter 50% in dem Wahlkreis noch ne Stichwahl geben. Viel Spaß beim Bundestag wählen dann...

  9. 98.

    Die 5% Hürde gilt in Bayern. Wer als Partei diese Hürde bei Zweitstimmen nicht nimmt ist im Landtag nicht vertreten.

    Und genau das wird von der CSU im Bund aus Eigennutz kritisiert. In Wirklichkeit macht man sich um die 5% weniger Sorgen als um die vielen zusätzlichen BT Pöstchen...

  10. 97.

    Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Wahlmänner sind nur dazu da, stellvertretend für ihren Wahlbezirk zu wählen. In den USA wählt das Electoral College den Präsidenten. Wahlmänner, wie der Name bereits verrät, haben nur eine Funktion, stellvertretend zu wählen ( indirekte Wahl)
    Der Direktkandidat (Erststimme) macht im Parlament für seinen Wahlkreis Politik.
    Und das ist in einer parlamentarischen Demokratie auch ein wichtiges Element. Ich kann mich nur wundern, wieviele Bürger freiwillig darauf verzichten wollen?
    Wer gegen Direktmandate ist, schwächt den regionalen Einfluss im Parlament.

  11. 96.

    In Bayern werden werden Erst- und Zweitstimmen zusammengezählt für die Sitzvergabe. Im Bund sind nur die Zweitstimmen für den relevant für die Sitzvergabe.
    Daher ist die Situation nicht vergleichbar.

  12. 95.

    Weg mit der Erststimme. Die ist völlig unnötig. Bei total unterschiedlichen Wahlkreisgrößen führt das unweigerlich immer zu Ungerechtigkeiten. Siehe Wahlsystem in den USA mit den Wahlmännern. "The winner takes it all" und so ein Quatsch. Da kann es passieren, dass den Verlierer eigentlich viel mehr Bürger gewählt haben, als den Gewinner. Also weg mit der Erststimme! Nur noch Liste. Die jubelnden Lokalmatadoren sind m.E. völlig überflüssig.

  13. 93.

    Die meisten Kommentare hier lassen weg, dass das Bundesverfassungsgericht schon vor zehn Jahren die Regierung aufgefordert hat, das Wahlrecht zu ändern, weil es nicht verfassungsgemäß ist.
    Und was ist in diesen zehn Jahren passiert?
    Nichts!
    Jetzt gibt es endlich eine Reform und das Gejammer bei cDU/cSU ist groß.
    Natürlich haben sie das Recht, auch dieses Gesetz vom Verfassungsgericht überprüfen zu lassen, und ich bin gespannt, was es dazu sagt.
    Spannend finde ich ja, dass ausgerechnet die cSU eine Regelung beklagt, die es Bayern schon gibt. Ein Schelm, der böses dabei denkt.

  14. 92.

    Schlicht grundgesetzwidrig.

    Das Verhältniswahlrecht hat in Deutschland Verfassungsrang. Schlägt im übrigen auch im Demokratie Index zu Buche, da sind US oder GB "the winner takes IT all" Wahlsysteme eher unter "unvollständige" Demokratie zu finden...

  15. 91.

    Warum schaut die CSU eigentlich nichtmal ins bayrische Wahlrecht?

    Das ist im übrigen so wie das jetzt beschlossene im Bund. Sonst ist man doch stolz wenn der Bund in Bayern abschreibt...

  16. 90.

    Des Volkes Meinung ist eindeutig. Ein kleineres Parlament, alles unter 5% fliegt raus usw. Das Leben könnte so überschaubar und einfach sein, wenn nicht die Politik an ihren selbst geschaffenen Regeln und Gesetzen kleben würde. Gar zu gern möchte man die Kuh weiter melken und erklärt das die Verkleinerung des Parlaments zu weniger Demokratie führen würde.

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