Rechtsextremismus-Experte - "An der Bushaltestelle vor der Schule bleiben rechte Sticker oft lange kleben"
Nach dem Brandbrief zweier Lehrkräfte an einer Oberschule in Burg findet am Dienstag eine Fachtagung zum Umgang mit Extremismus an Brandenburger Schulen statt. Mit dabei ist der Rechtsextremismus-Experte Samuel Signer, der Lehrer und Schüler berät.
rbb|24: Herr Signer, die Situation an der Schule und der Brief der Lehrkräfte in Burg haben bundesweit für Aufsehen gesorgt. Waren Sie überrascht von diesen Ereignissen, oder dachten Sie: 'Jetzt wird das mal öffentlich'?
Samuel Signer: Beides zugleich. Wir sehen bei unserer Arbeit immer wieder solche Vorfälle. Unsere Teams berichten davon. Deswegen hat uns "gefreut", dass das öffentlich wird. Gleichzeitig ist das Ausmaß dort nicht alltäglich, in so einer krassen Form erleben wir das selten.
Wie groß ist denn das Spektrum dessen, was Sie erleben oder erfahren? Wo fängt Extremismus an Schulen an?
Es gibt keinen Projekttag, es gibt keine Schule, in der wir sind, wo Schüler:innen nicht davon berichten, dass sie von Diskriminierung betroffen sind, dass sie ausgegrenzt werden. Das sind verbale Ausgrenzungen durch Mitschüler, durch Lehrkräfte, durch anderes Schulpersonal. Das kann aber auch Gewalt sein.
In Burg geht es nun um rechtsextreme Vorfälle, um Hakenkreuze an der Wand und rechte Parolen. Wie oft kommt sowas vor?
Da würde ich sagen: auch fast in jeder Schule. Wenn wir bei den Projekttagen Schüler:innen fragen, ob sie bestimmte Sticker, Symbole, rechtsextremen Schriftzüge kennen, dann sagen immer einige: Ja, das kennen wir. Die Bushaltestelle vor der Schule beispielsweise wird weniger oft gereinigt als die Schule selbst. Da bleiben rechte Sticker lange kleben. Und das kennen alle Schüler:innen.
Gibt es Voraussetzungen, dass eine Situation wie in Burg kippt und ein rechtes Klima unter Schüler:innen irgendwann dominiert?
Wir sehen grundsätzlich immer da, wo Lehrkräfte hinschauen, wo couragiertes Handeln in der Schule zum Alltag gehört, wo die Schule sich klar bekennt zu Diversität und zu Menschenrechten, dass da diese Fälle viel weniger auftreten - und wenn, dann werden sie sehr viel schneller bearbeitet. Aber da, wo die Themen ignoriert werden, wo weggeschaut wird aus Angst, aus Überforderung oder einfach aus der Haltung heraus, dass Politik an der Schule quasi nichts verloren hat, da treten solche Fälle öfter auf, und da eskaliert es dann auch eher.
Was sind Beispiele, wo Lehrkräfte vielleicht sagen: Da sage ich jetzt nichts, da will ich mich nicht einmischen – aber wo sie das vielleicht tun sollten?
Die Debatte um die AfD ist ein ganz häufiges Thema. Da sind Lehrkräfte sehr verunsichert, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie das Thema politische Parteien in der Bundesrepublik behandeln. Bei der AfD ist das quasi eine Gratwanderung. Das Problem ist, wenn es völlig normalisiert wird, wenn rechtsextreme Aussagen - zum Beispiel von Herrn Höcke - eins zu eins neben andere Aussagen von Politiker:innen gestellt werden, ohne Einordnung. Da geht es darum, eine klare Haltung zu zeigen und zu sagen, dass etwas mit unserem Grundgesetz oder der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Davon geht ein klares Signal aus: Die Schüler:innen sehen: Da ist eine Lehrkraft, die hat eine klare Position, und wenn ich ein Problem habe mit Ausgrenzung, kann ich zu ihr gehen. Die Schule hat auch den Auftrag, Minderheiten in der Schule zu schützen.
Wie genau laufen die Projekttage für Schülerinnen und Schüler ab, die Sie anbieten?
Je zwei Teamer gehen an eine Schule - das sind junge Menschen meistens unter 27, die eine einwöchige Ausbildung bei uns absolviert haben. Die führen dann den Projekttag durch. Es ist wichtig, dass die Leute jung sind, die die Projekttage durchführen, um möglichst nah an der Zielgruppe, also den Schülerinnen und Schülern, zu sein. Und die machen dann sechs Stunden Programm. Wir haben viele kreative Methoden, und es geht immer darum, die Schüler:innen anzuregen, mitzumachen, zu diskutieren, ihre Meinung zu sagen.
Die Lehrkräfte sind während des Projekttags nicht anwesend. Wir möchten nicht, dass die Schüler:innen Antworten geben, wo sie denken, das könnte einen Einfluss auf ihre Note haben. Wir wollen ehrlich wissen, was sie sagen. Dazu gehören auch Meinungen, die wir vielleicht blöd finden. Aber dann haben wir sie auf dem Tisch, dann können wir darüber diskutieren, und dafür sind unsere Teams ausgebildet. Meistens ist es auch so, dass die Schüler:innen sich selbst am meisten gegenseitig widersprechen. Da wird es dann interessant, da fängt politische Bildung an.
Wie oft treffen Sie da auf ausgrenzende, rechte oder rassistische Aussagen? Oder halten sich an so einem Projekttag dann alle zurück?
Grundsätzlich ausgrenzende Äußerungen bekommen wir an mindestens jedem zweiten Projekttag mit. Es gibt natürlich Unterschiede, ob jemand nur etwas nachplappert oder auch so meint. Also steht die Position, die jemand geäußert hat, zur Debatte oder nicht? Will jemand einfach nur provozieren und pöbeln? Wenn sie das machen wollen, dann gehen wir nicht weiter darauf ein, dann lassen wir die einfach links liegen. Aber meistens schaffen wir es dann doch, sie anzuregen und zu sagen: Okay, dann diskutieren wir es doch mal. Und da ändern sich dann oft die Verhältnisse. Sonst sind Schüler:innen mit rechter Gesinnung oft dominant und andere kaum hörbar. Das ändern wir mit unseren Methoden. Und plötzlich merkt man: Da gibt es ganz viele mit einer sehr klaren, demokratischen Haltung. Die haben sich bisher nicht getraut. Wir wollen die stärken, die mit demokratischen Positionen nach außen treten.
Welche Aussagen sind das beispielsweise, über die dann diskutiert wird?
Sowas wie "Wir müssen die Grenzen dicht machen", "Frühsexualisierung an Schulen" oder auch "Man darf jetzt gar nichts mehr sagen". Die Aussagen sind immer wieder dieselben - die passen sich nur ein bisschen in der Sprache und dem Alter an.
Haben solche Projekttage auch eine langfristige Wirkung oder ist dann doch wieder schnell alles beim alten?
Inwieweit die Inhalte der Projekttage hängenbleiben, das hängt maßgeblich davon ab, was die Lehrkräfte damit machen. Wenn sie das nacharbeiten und wirklich wissen wollen, was passiert ist, kann das auf jeden Fall zu einer demokratischeren Schule beitragen.
Sie beraten auch Lehrkräfte und Schulen, die sich an Sie wenden. Was sind da dominierende Themen und Fragen?
Es gibt Lehrkräfte wie in Burg, die berichten davon, dass in der Schule eine rechte Gruppe Dominanz hat. Aber die berichten auch vom Wegschauen der anderen Lehrkräfte. Andere wollen einfach eine demokratischere Schule werden. Wir müssen also nicht nur dann beraten, wenn etwas vorgefallen ist, sondern wir freuen uns auch, wenn wir die Beratung präventiv machen. Damit Rechtsextreme gar nicht erst die Schule kapern können.
Wäre das auch Ihr Rat an die Schulen – rechtzeitig aktiv zu werden?
Auf jeden Fall. Die präventive Arbeit ist für alle deutlich besser, weil die Anspannung an der Schule dann noch nicht so hoch ist. Es geht dann nicht konkret um bestimmte Personen, sondern man schaut sich das ganze System an, denn es gibt ja nicht nur die zwei, drei Leute, die Probleme machen, sondern es gibt auch noch 300 andere Schüler. Wie kann man es für alle gut machen?
Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit es künftig weniger rassistische oder rechtsextreme Vorfälle an Schulen gibt?
Alle Schulen müssen den Auftrag annehmen, dass sie nicht nur für die Wissensvermittlung da sind, sondern dass sie eine Haltung vermitteln, die sich für Demokratie und gegen Ausgrenzung einsetzt. Schulen müssen sich klar werden, dass sie ein großer Teil der Gesellschaft sind, wo auch Diskriminierung stattfindet. Da geht es nicht um den Ruf einer Schule, sondern es geht darum, dass Menschen vor Diskriminierung geschützt werden müssen und dass Schulen sich dem annehmen. Die sind dann auf dem Weg dahin, dass es weniger solche Vorfälle geben wird, wenn Betroffene dort geschützt und gestärkt sind und Lehrkräfte nicht wegschauen, sondern klare Grenzen aufzeigen. Da müssen einfach klare Regeln herrschen – was ist erlaubt und was nicht. Rechtsextreme Symbole zum Beispiel dürfen in der Schule nicht gezeigt werden. Denn später, nach der Schule, wird das noch wichtiger. Aber in der Schule fängt es an.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Amelie Ernst, Landespolitik Brandenburg.
Sendung: Antenne Brandenburg, 27.06.2023, 17:10 Uhr