Parlamentswahlen - Polen steht vor Machtwechsel - Ergebnis für Dienstag erwartet
In Deutschlands Nachbarland Polen naht das Ende für die nationalkonservative Regierung. Ein pro-europäisches Bündnis unter Donald Tusk hat nach aktuellem Stand die Mehrheit im Parlament. Das Endergebnis wird am Dienstag erwartet.
- Opposition in Polen könnte Regierung bilden
- Ex-Regierungschef Donald Tusk sieht sich als Sieger
- Regierungspartei PiS stärkste Kraft - aber voraussichtlich ohne Mehrheit im Parlament
Die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat bei der Parlamentswahl am Sonntag die meisten Stimmen errungen, muss aber voraussichtlich trotzdem auf die Oppositionsbänke wechseln. Ein Bündnis aus drei pro-europäischen Oppositionsparteien hat nach aktuellem Stand eine Mehrheit im Parlament und will die nationalkonservative Partei nach acht Jahren an der Regierung ablösen.
Tusk: "Wir haben sie von der Macht entfernt"
"Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen. Wir haben sie von der Macht entfernt", sagte Donald Tusk, Chef der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO), am Sonntagabend in Warschau.
90 Prozent der Wählerstimmen waren am Montagnachmittag (Stand 21 Uhr) ausgezählt [wygory.gov.pl]. Demnach erhält Tusks Partei 30,1 Prozent der Stimmen und wird damit zweitstärkste politische Kraft. Die Bürgerkoalition könnte mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (14,4 Prozent) und dem Linksbündnis Lewica (8,5 Prozent) eine Koalition bilden. Alle drei Parteien waren mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, die Macht der PiS zu brechen und gute Beziehungen zur Europäischen Union wiederherzustellen. Die aktuell regierende PiS kommt nach dem Auszählungsstand danach auf rund 36 Prozent.
"Am Sonntag, den 15. Oktober, war Schluss mit der Zankerei und der Almosenvergabe in Polen, und es begann die Zusammenarbeit und die Investition in unsere Zukunft", sagte Szymon Holownia vom Dritten Weg zu dem Ergebnis.
PiS steht ohne Partner da
Die seit 2015 regierende PiS kommt laut bisherigen Auszählungen auf 37 Prozent der Stimmen. Damit bleibt die Regierungspartei zwar stärkste Kraft, verfehlte aber deutlich die absolute Mehrheit. "Das ist ein historischer Sieg", sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Seit dem Ende des Kommunismus habe es in Polen noch keine Partei geschafft, drei Mal hintereinander die Parlamentswahl zu gewinnen.
Dennoch hat die PiS ein Problem: Als Koalitionspartner käme nur die ultrarechte Konfederacja infrage. Doch diese Formation bringt es nach aktuellen Stand auf lediglich 7,2 Prozent. Für eine Regierungsbildung würden die Stimmen beider Parteien nicht ausreichen. Zudem hatte die Konfederacja im Wahlkampf immer wieder betont, sie wolle kein Bündnis mit der PiS eingehen.
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski sagte, seine Partei werde ihr Projekt realisieren, "unabhängig davon, ob wir an der Macht bleiben oder in die Opposition gehen werden". Er schloss damit indirekt nicht aus, dass die PiS die Macht verlieren könnte.
Wahlergebnis wohl Dienstagmittag
Der polnische Präsident Andrzej Duda hat angesichts eines möglichen Machtwechsels nach der Parlamentswahl an alle politischen Lager appelliert, in Ruhe auf das offizielle Endergebnis zu warten. "Ich hoffe, die Wahlkommission gibt die Ergebnisse morgen gegen Mittag bekannt", sagte er am Montag während eines Besuchs in Rom und fügte hinzu: "Ich kann vorab schon sagen: Denjenigen, die diese Wahl gewonnen haben, gratuliere ich von ganzem Herzen." Einen Namen nannte der Präsident nicht. Hochrechnungen wie in Deutschland sind in Polen nicht üblich.
Eine neue Regierungsbildung könnte mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, sagte der langjährige Direktor des Collegium Polonicums, Krzysztof Wojciechowski, dem rbb. "PiS hat immer noch die Möglichkeit, zum Beispiel eine Minderheitsregierung zu bilden, was ein halbes, ein Jahr, oder sogar zwei Jahre dauern kann. Das hat auch Kaczynski gesagt, wir geben die Macht nicht ab, weil wir die Souveränität Polens nicht abgeben wollen. Dabei geht es ihm um die Souveränität von PiS."
Höchste Wahlbeteiligung seit langem
Bei der Wahl konnten gut 29 Millionen Wahlberechtigte abstimmen. Nach Prognosen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos lag die Wahlbeteiligung bei 73 Prozent. Dies wäre der höchste Wert bei einer Wahl seit dem Ende des Kommunismus in Polen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.10.2023, 6 Uhr