Nach Beschluss der Bundesländer - Fragen und Antworten zur Bezahlkarte für Geflüchtete
Die Mehrheit der Bundesländer hat zusammen Rahmendaten für die geplante Bezahlkarte für Geflüchtete erarbeitet. Noch in diesem Jahr soll sie an den Start gehen. Erste Details zur Handhabung sind nun festgelegt, viele Fragen aber noch offen.
Was ist das überhaupt und wen betrifft es?
Die Bund und Länder haben sich im November 2023 darauf verständigt, ein Bezahlkarten-Modell für Geflüchtete zu erarbeiten. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich nun auf einheitliche Rahmenvorgaben geeinigt - zumindest für 14 der 16 Bundesländer. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben sich dem gemeinsamen Auftrag nicht angeschlossen, wollen aber ebenfalls ein ähnliches Modell entwickeln - nur gegebenenfalls mit anderen Dienstleistern.
Die Karte könnte noch 2024 an den Start gehen. Sie wird nur an Asylbewerber ausgegeben. Sie soll die bisherige Bargeld-Auszahlung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ersetzen. Der Betrag, den die Menschen erhalten, verändert sich also nicht, nur die Art der Geldausgabe. Die Höhe der Leistungen liegt derzeit zwischen 368 und 460 Euro für Erwachsene.
Schutzberechtigte und Geflüchtete aus der Ukraine, sowie Geduldete (nach 18 Monaten) brauchen die Karte nicht, sie bekommen Bürgergeld beziehungsweise Sozialhilfe, wenn nötig.
Welche Funktionen soll die Karte haben?
- Die Bezahlkarte soll eine guthabenbasierte Karte ohne Kontobindung sein.
- Sie soll nur innerhalb Deutschlands nutzbar sein, je nach Bundesland vielleicht sogar nur regional.
- Überweisungen werden nicht ermöglicht - auch nicht von einer Karte zur anderen.
- Die Leistungsberechtigten sollen allerdings die Möglichkeit haben, ihren Guthabenstand einzusehen.
Das sind die Rahmendaten, auf die sich die Länder geeinigt haben. Nun wird das Vergabeverfahren gestartet, um einen Dienstleister zu finden, der die Karte entwickelt. Ob und wie sich all diese Funktionen genau so in einer Karte bündeln lassen, bleibt also abzuwarten.
Noch offen ist auch die Frage, ob und wieviel Bargeld mit der Karte abgehoben werden kann. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte am Donnerstag, das sei einer der Diskussionspunkte. Er selbst fordert diese Funktion: "Ich glaube, dass es zwingend erforderlich ist, dass Menschen, die mit einer Bezahlkarte ausgestattet werden, selbstverständlich auch die Möglichkeit haben müssen, Bargeld abzuheben", sagte Wegner.
Wann soll das System eingeführt werden?
Das ist noch offen. Es wird nun ein Dienstleister gesucht, anschließend kann jedes Land aber noch selbst entscheiden, wie und wann es die Karte konkret einführt und an welche Bedingungen sie geknüpft ist. Nach der Ministerpräsidentenkonferenz Ende Januar hieß es, eine Vergabe ab Sommer 2024 werde bundesweit angestrebt.
Berlin hat aber beispielsweise bereits angekündigt, die Karte erst 2025 einführen zu wollen. An dem nun beginnenden Verfahren beteiligen sich auch nur 14 der 16 Bundesländer - Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen zwar eine funktionsähnliche Karte einführen, aber mit eigener Auftragsvergabe.
Ist es vorgesehen, dass Asylbewerber dann nur noch mit der Karte zahlen können?
Nein, davon ist nicht auszugehen. Die Asylbewerber werden wohl auch künftig einen Teil ihrer Leistung in Bar erhalten, ein sogenanntes "Taschengeld" - oder die Möglichkeit haben, mit der Karte Geld abzuheben (siehe oben). Die Höhe des Bargeldanteils oder der maximalen Abhebesumme ist aber noch nicht klar und darf wohl von jedem Bundesland einzeln festgelegt werden.
Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sagte der Deutschen Presse Agentur, sie werde sich dafür einsetzen, dass Geflüchtete ihr Geld selbstbestimmt verwenden können, "auch in Form von Bargeld". Als Beispiele für die Notwendigkeit von Bargeld nannte sie unter anderem günstige Einkaufsmöglichkeiten wie Wochenmärkte und Flohmärkte. Auch Sozialverbände haben bereits aus ähnlichen Gründen auf die Bedeutung von Bargeld hingewiesen. Die eigenständige Lebensgestaltung der Asylbewerber werde dadurch erschwert, sagte beispielsweise Andrea Asch aus dem Vorstand der Diakonie.
Welche Vorteile soll die Karte bringen?
Die Hoffnung vieler Politiker ist, dass durch die Einführung der Bezahlkarte der Verwaltungsaufwand in den Kommunen gesenkt werden könnte. Die Entlastung der Behörden dürfte der größte Vorteil sein.
Durch die eingeschränkten Funktionen der Karte (siehe oben) soll außerdem sichergestellt werden, dass das Geld aus deutscher staatlicher Unterstützung von den Leistungsempfängern in Deutschland genutzt und nicht in deren Herkunftsländer überweisen wird. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) sagte, man erhoffe sich dadurch auch, die Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken.
Welche Kritik gibt es am geplanten Modell?
Mehrere Organisationen zum Schutz von Geflüchtete und Experten für Migration kritisieren das Modell.
"Pro Asyl" beispielsweise wirft den Bundesländern vor, ein "Diskriminierungsinstrument" zu schaffen, das schutzsuchenden Menschen das Leben in Deutschland erschwere. Auch das Motiv, die Karte nur einzuführen, um Asylsuchende von der Flucht nach Deutschland abzuschrecken, kritisiert die Organisation. Inhaltlich kritisiert "Pro Asyl" unter anderem, dass ohne eine Überweisungsfunktion wichtige Dinge des Alltags nicht möglich seien - Online-Käufe oder einen Handyvertrag abzuschließen beispielsweise. Auch eine diskutierte Beschränkung der Abhebefunktion und die regionale Einschränkung sieht die Hilfsorganisation kritisch.
Die von einigen Politikern propagierte, abschreckende Funktion der Karte wird von Experten ebenfalls kritisch betrachtet. Der Politikwissenschaftler und Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration der Bundesregierung, Hans Vorländer, rechnet beispielsweise nicht mit großen Auswirkungen auf die Flüchtlingszahlen. "Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen", sagte Vorländer der Tagesschau. Wichtigere Faktoren seien berufliche Chancen, persönliche Netzwerke und ein stabiles Umfeld im Zielland. Er könne sich aber vorstellen, dass die Karte Auswirkungen auf die Zahl von Asylfolgeanträgen haben wird. Auch andere Experten im Bereich der Migrationsforschung vertreten diese Meinung.
Gibt es Erfahrungswerte, ob das Modell funktioniert?
Mehrere Landkreise haben bereits Modellprojekte gestartet, unter anderem in den Thüringer Landkreisen Greiz und Eichsfeld. Nach rund drei Monaten fiel die Zwischenbilanz (tagesschau.de) der Politik überwiegend positiv aus, von einer Menschenrechtsorganisation gab es dagegen Kritik.
Die Greizer Landrätin Marina Schweinsburg (CDU) sagte Mitte Januar, es gebe dank der Bezahlkarte nun weniger Verwaltungsaufwand und das Zahlungsmittel genieße eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Einzelhändlern. In Greiz nahmen zunächst rund 30 der 750 Asylbewerber am Testlauf teil. Sie konnten nur noch in Geschäften in der unmittelbaren Umgebung mit der Karte einkaufen. Geld abheben oder Überweisungen waren nicht möglich. Laut Schweinsburg sei die Karte auch von den Testteilnehmern "weitgehend" akzeptiert worden. Ein Hauptkritikpunkt sei allerdings die regionale Beschränkung gewesen.
Auch im Landkreis Eichsfeld ist man zufrieden mit dem Testlauf. Hier habe es aber auch Menschen gegeben, die die Bezahlkarte ablehnten und die mit dem Start der Karte ausgereist seien, so der Landrat Werner Henning (CDU).
Der Thüringer Flüchtlingsrat dagegen kam zu einem anderen Fazit und berichtete nach dem Testlauf von erheblichen Einschränkungen für die Asylbewerber wegen der Bezahlkarten. In den Supermärkten hätte die Bezahlung zwar funktioniert, beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Erwerb des Deutschlandtickets habe es aber Probleme gegeben. In beiden Landkreisen laufen die Pilotprojekte weiter, mit erheblich mehr teilnehmenden Menschen als zuvor. Bis zur Einführung in anderen Bundesländern werden also weitere Erfahrungen gesammelt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 31.01.2024, 19:30 Uhr