Unruhe bei Berliner Grünen - Die Wunden sind noch nicht verheilt

Sa 09.03.24 | 11:21 Uhr
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Archivbild: Bundestagsabgeordnete Nina Stahr (Bündnis90/Die Grünen) nimmt an der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) ihrer Partei im Tagungswerk in der Lindenstraße am 13.12.2023. (Quelle: picture alliance/Jörg Carstensen)
Bild: picture alliance/Jörg Carstensen

Im Dezember hätten sich Berlins Grüne fast selbst zerlegt: Eine Vorsitzkandidatin wurde vom Hof gejagt, Teile des Kreisverbands Mitte des Mobbings bezichtigt. Inzwischen gibt es ein neues Vorsitz-Duo, echter Frieden ist aber nicht eingekehrt. Von Angela Ulrich

Das Colosseum-Kino in Berlin-Pankow - es ist Freitagabend vor einer Woche, als der Realo-Flügel der Berliner Grünen zu einem internen Treffen einlädt. Bettina Jarasch, die Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, und Parteivorsitzende Nina Stahr, beide Realas, wollen nach vorn gucken. Aber erstmal geht der Blick vor allem zurück, erzählen Teilnehmende. Dahin, wo die Wunde weiter schmerzt bei den Grünen - zum letzten Landesparteitag im Dezember.

Damals, als die Grünen auch im Vorfeld eine Bühne geboten hatten für alles, was eine Partei eigentlich nicht braucht: Intrigen, Verleumdungen, ein "Offener Brief", Vorwürfe, ein Wahldebakel. "Das war wirklich keine Glanzleistung. Dafür habe ich mich auch bereits entschuldigt, da hätten wir Grüne anders agieren müssen", sagt Nina Stahr, die kurz nach dem verhängnisvollen 9. Dezember 2023 zur Co-Vorsitzenden der Grünen gewählt worden war. Nachdem Tanja Prinz als Kandidatin aus dem Realo-Flügel durchgefallen war.

Vorwürfe von Einschüchterung und psychischem Druck

Tanja Prinz, Bezirkspolitikerin aus Tempelhof-Schöneberg, hatte den Parteitag am Ende unter Tränen verlassen, nachdem sie in drei Wahlgängen krachend gescheitert war. Dabei hatte sich Prinz vorher in einer internen Realo-Abstimmung als Kandidatin für die Grünen-Doppelspitze durchgesetzt, gegen die bisherige Parteivorsitzende Susanne Mertens. Auch, weil Prinz die volle Unterstützung der gut organisierten Realo-Gruppierung "GR @M" hatte. Prinz-Kritiker warfen der Strömung allerdings vor, dabei unlautere Methoden angewandt zu haben: Neun von zwölf Berliner Grünen-Kreisvorstände prangerten das damals in einem "Offenen Brief" an - die "GR @M"-Strömung "schüchtere Mitglieder ein" und setze sie "psychisch unter Druck" war da im Brief zu lesen, von einer "Kultur des Misstrauens" schrieben die Verfasser.

"GR @M" steht für "Grüne Realos und Realas in Mitte" - eine Gruppierung innerhalb der Realos, die sich als deutlich bürgerlicher als die Realo-Funktionärsebene der Grünen verortet, und ein klareres Gegengewicht zu den Parteilinken bilden will. Sie hatten sich ursprünglich als kleine Gruppe im Bezirksverband Mitte zusammengetan. Inzwischen haben sich Grünen-Mitglieder aus vielen Teilen Berlins in die digitale Kontaktliste der Gruppe aufnehmen lassen. Weil sie in dieser Strömung eine "offene und konstruktive Diskussionskultur wahrnehmen", die ihnen sonst bei den Grünen fehle, sagen einige, die in der Mailingliste aktiv sind – kooperativ, demokratisch, "sie gönnen sich gegenseitig was".

Neben Neumitgliedern zählen sich auch altgediente Grüne zur "GR @M"-Strömung, wie Marianne Birthler, Ramona Pop, Ralf Fücks - und auch einer der Mitbegründer von Bündnis 90 in Berlin, Uwe Lehmann, findet Gefallen an der Gruppierung: "Da scheint sich eine sehr konstruktive Grundhaltung versammelt zu haben, hinter diesem komischen Namen", sagt Lehmann, der Anfang der 90er Jahre Fraktionschef der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus war.

Aufarbeitung nach offenem Brief gefordert

Doch es gibt Gegenwind gegen die "Grünen Realas und Realos in Mitte" - erwartbar im linken Flügel der Grünen, aber auch innerhalb des Realo-Lagers. Sie seien "inhaltlich nicht relevant" und "inszenieren sich selbst als Opfer", sagt ein Mitglied eines Kreisvorstands, das seinen Namen nicht nennen will. Wozu brauche es überhaupt verschiedene Strömungen innerhalb des Realo-Flügels? Vor allem der damalige "Offene Brief" gegen die "GR @M" ist weiter eine Wunde in der Partei, die nicht verheilt ist. Es müsse dringend aufgearbeitet werden, was an den Vorwürfen von damals dran war und was nicht, sagt sagt Silke Gebel. Die Abgeordnete und frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen ist eine der führenden Köpfe des Realo-Flügels. "Dabei gilt die Unschuldsvermutung", so Gebel.

Aus dem grünen Kreisverband Berlin-Mitte kommen schärfere Reaktionen, auch heute noch: "Die im ‚Offenen Brief‘ enthaltenen Vorwürfe sind haltlos und waren machtpolitisch motiviert. Sie sollten dazu dienen, engagierte Mitglieder und Tanja Prinz zu diskreditieren, um inhaltliche Debatten um die Ausrichtung des Landesverbands zu verhindern", heißt es aus dem Kreisverband. Bis heute hätten die Autorinnen und Autoren die Vorwürfe nicht unterlegt, geschweige denn bewiesen oder sich dafür entschuldigt.

Inzwischen haben die neun Kreisverbände den kritisierten Brief von ihren Internet-Seiten gelöscht. "Aber es sind Verletzungen geblieben", sagt nicht nur Gebel. Co-Parteichefin Nina Stahr führt viele Gespräche: mit denen, die den "Offenen Brief" verfasst hatten, mit Vertretern des Kreisverbands Mitte, mit anderen Kreisverbänden. "Da sind schon einige Schritte gemacht", sagt Stahr. "Gleichzeitig ist klar, dass wir über Strukturen sprechen müssen, dass sich sowas nicht wiederholt." Sie nehme einen großen Willen der Partei wahr, "dies aufzuarbeiten und gemeinsam nach vorn zusammenzuarbeiten".

Grüne wollen Anti-Mobbing-Stelle einrichten

Neben den vorhandenen Beschwerdestellen wie einem Schiedsgericht und einer Ombudsstelle wollen die Grünen als Konsequenz aus dem Vorfall noch einen zusätzlichen Anlaufpunkt für Mobbingopfer schaffen. "Da gucken wir genau, wo müssen wir gegebenenfalls ergänzen, um eine Lücke zu schließen", sagt Nina Stahr, "um alle Probleme im zwischenmenschlichen Bereich gelöst zu bekommen."

Aber geht es wirklich nur um den "zwischenmenschlichen Bereich"? Durch die Querelen um den Dezember-Parteitag sind tiefe Risse bei den Berliner Grünen sichtbar geworden. Vor allem im Realo-Lager. Da sind die, die den Konsens suchen mit dem linken Flügel, der die Partei dominiert. "Der Kompromiss ist für mich das Fundament unserer Demokratie", sagt die Reala Silke Gebel. Allerdings müsse man als realpolitische Strömung schon wissen, wofür man den Kompromiss macht – da sieht Gebel noch "Hausaufgaben" für die Realos. Sie wünscht sich einen "realpolitischen Inhaltskongress", um festzuzurren, wofür die Realos stehen.

Andere, wie Uwe Lehmann, haben einen kritischeren Blick: "Die Realos stellen kein Gegengewicht zum linken Flügel mehr dar, wie früher", sagt der ehemalige Fraktionschef. Im Einzelfall sei parteiinterne Kooperation gut und richtig, aber "wenn sie zum Prinzip erklärt wird, dann ist die Partei tot, weil dann der Mächtigere keine Rücksicht mehr nimmt". Sprich: sich der linke Parteiflügel regelmäßig durchsetzt. Den "Offenen Brief" gegen die "GR @M"-Strömung vor dem krachenden Scheitern von Tanja Prinz auf dem letzten Parteitag nennt Lehmann eine "brutale und schamlose Machtdemonstration" von deren Gegnern.

Realos wählen Koordinator:innen für bessere Kommunikation

Erste positive Schritte sind aber getan. Da sind sich Lehmann und Parteichefin Stahr einig. Der Austausch beim Realo-Treffen im Colosseum-Kino in Pankow sei offen und konstruktiv gewesen: Teilnehmende berichten von einer "würdigen Veranstaltung", einem "guten Aufschlag". Eine Kreisvorsitzende, die den "Offenen Brief" gegen die "GR @M" im Dezember mitunterzeichnet hatte, habe sich dafür explizit entschuldigt, viele andere die Aktion als "Fehler" bezeichnet. Die Realos wollen Ende kommender Woche eine Gruppe von Koordinatorinnen und Koordinatoren wählen, die dann im eigenen Flügel vermittelnd eingreifen sollen, wenn nötig. Silke Gebel möchte eine von ihnen werden, genau wie der frühere Datenschutzbeauftragte Peter Schaar. Auch aus dem Parteinachwuchs soll es Kandidat:innen geben.

Gerade angesichts des aktuellen Mitgliederzuwachses sei es wichtig, verlässliche Politik zu machen, sagt Gebel. Mehr als 13.000 Mitglieder haben die Grünen aktuell – mehr denn je. Parteichefin Stahr nimmt das als "Rückenwind" wahr, als Interesse an der Partei. Ja, sagt auch Gebel, spricht aber auch von "gewissen Wachstumsschmerzen" der Grünen. Eine Menge neuer Leute seien in den letzten Jahren eingetreten, während Robert Habeck und Annalena Baerbock die Partei im Bund geprägt hätten: "Mit so deutlich mehr Mitgliedern müssen wir unsere Diskussionsformate stärker unterbauen, da sind aber Flügel nur ein Ort, die Partei macht das Angebot als ganzes für die Stadt."

Beim nächsten Parteitag am 4. Mai wollen die Grünen nach vorn gucken. "Wir wollen vor allem darüber reden, was es braucht, um die Demokratie zu stärken", sagt die Co-Vorsitzende Stahr. Und sich für die Europawahl im Juni fit machen - als geeinte Partei. Ob das funktionieren wird, hängt auch davon ab, wie glaubwürdig die Grünen jetzt ihre Wunden heilen.

40 Kommentare

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  1. 40.

    Nein,hab ich nicht vergessen.
    Die Antwort ist einfach,nämlich das man mit den Berliner Grünen nicht Koalition kann,weil sie zu chaotisch sind.
    Wohlgemerkt,wir reden von den Berliner Grünen,einer Chaos Truppe.

  2. 39.

    "Und wenn die Berliner Grünen so respektable Ergebnisse bei den Wahlen eingefahren haben,warum sind sie dann nicht in der Regierung?" -weil Sie vergessen haben, dass Regierungsbildungen immer das Ergebnis von KOalitionsverhandlungen sind.

  3. 38.

    Danke für die Antwort. Ich lass das mal so stehen. Schönen Abend.

  4. 37.

    Und wenn die Berliner Grünen so respektable Ergebnisse bei den Wahlen eingefahren haben,warum sind sie dann nicht in der Regierung?
    Antwort: Die Berliner Grünen sind ein chaotischer Haufen und nicht akzeptabel. In den Aussenbezirken haben sie keine Chancen und das ist auch gut so.

  5. 36.

    Vielen Dank für Ihre erheiternde Antwort. Schade, dass Sie fast in einen persönlichen modus über gehen. Ich habe halt nur geschrieben, was gefühlt gerade lis ist bzw. was durchaus zu empfinden ist, dass es etwas ruhiger zugeht. Und was den Satz mit der Bohne angeht, so habe ich bewusst so geschrieben, wie zu lesen, sonst hätte ich einen anderen Satzbau verwendet. Was haben Berliner grüne mit Landwirtschaft zu tun? Deshalb interessiert sie keine Bohne.... Aber Ihre Interpretation hat auch etwas für sich.

  6. 35.

    Dass Sie ein "Grüner" sind, merkt man allein an Ihrer diskriminierenden Art, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Das ist halt wie beim Treffen der Grünen.

    Da werden Schreiber lieber diskreditiert, als dass man vernünftig argumentiert.

    Noch Fragen zu den Grünen? Nö.

  7. 34.

    "Die Berliner Grünen gehören abgewählt" >so lauteten die Meinungen vor & nach jeder Wahl. Doch dann ... ooooooh Wunder, fuhren die Grünen jedesmal respektable Wahlergebnisse ein. Scheint also doch mehr Fans als gewünscht zu geben, denen Naturschutz und Umwelt nicht egal ist und die deutlich möchten, daß unsere Urenkel übermorgen noch in einer/unserer lebenswerten Welt alt werden dürfen und können - oder wie erklärt sich das?

  8. 33.

    Erinnert sich noch jemand an dem Parteitag der AfD Baden-Württemberg vor zwei Wochen? Totales Chaos und Eskalation! DAS ist ein Kindergartenverein. Dagegen sind die Berliner Grünen eine Kuschelparty.

  9. 32.

    1. Ihre Aussagen sind wirr. Krude Metaphern ohne Inhalt.
    2. Da Sie mich schon zitieren: Bitte lesen Sie Wahlstatistiken, u.a. zu den Berliner Nachwahlen zum Abgeordnetenhaus und zum Deutschen Bundestag. Ich empfehle wahlrecht.de

  10. 31.

    Grün ist ein Auslaufmodell ! Andere haben die Zeichen der Zeit schneller erkannt und profitieren nun davon.

  11. 30.

    Lieber streitbar, als einheitsgebügelt unterdrückt zu nur einer einheitlichen Meinung! Aber alles, also beide Erscheinungen haben ihre Grenzen!

  12. 29.

    Oooch, ich habe Marius Aussage durchaus ernstgenommen und stimme ihr auch zu.

    Sie dagegen erinnern mich an das erwähnte Kleinkind, was ganz fest die Augen schließt. Nach der Devise, wenn ich den bösen Schatten nicht sehe, dann exisitert er auch nicht.

    "Die Grünen haben eine stabile Wählerschaft und sind gesellschaftlich relevant, " --- Danke für diese erheiternde Aussage.

  13. 28.

    Klasse Kommentar,dem kann ich nur beipflichten.
    Die Berliner Grünen gehören abgewählt.

  14. 27.

    Der Fehlschluss von sich auf andere sollte Kleinkindern vorbehalten sein. Die Grünen haben eine stabile Wählerschaft und sind gesellschaftlich relevant, ob es einem privat passt, ist egal. Wenn die Grünen Sie persönlich "keine Bohne" interessieren, schreiben Sie das doch einfach so, anstatt für alle sprechen zu wollen. Das wäre in Ordnung, von dem Selbstwiderspruch, dann überhaupt darüber zu schreiben, mal abgesehen. Ansonsten laufen Sie Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Schönen Sonntag.

  15. 26.

    Der viel zu oft anmutende erzieherische Anspruch und die Gleichsschaltung („alle in die Öffis“) der Gesellschaft (außer die Sexuelle) wird nicht einmal intern gelebt. Da bleibt dann das moralisierende Missionieren auf der Strecke.

  16. 25.

    Sie erwarten nach Jahrzehnten der Vernachlässigung sofort Besserung? Wahrscheinlich wählen Sie deswegen Grün, komplett am Leben vorbei.

  17. 24.

    Wenn die grünen die Gesellschaft nicht mehr drangsalierten können, machen sie es halt intern. Seit die grünen aus der Regierungsverantwortung sind , scheint es etwas ruhiger in Berlin zuzugehen. Im Bund und Brandenburg sind sie gefühlt immer noch der Zankapfel. Warum wird überhaupt über sowas von den grünen berichtet? Die Grünen interessieren keine Bohne.

  18. 23.

    Hat denn Kai schon etwas gerissen oder nur aufgerissen ?

  19. 21.

    "In der Zwischenzeit regiert Kai Wegner mit CDU und SPD erfolgreich die Stadt. "

    Aus welchen Paralleluniversum stammen sie denn? Korruption, Dilettantismus und komplettes Versagen in allen Bereichen, dafür steht dieser Senat.

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