4. November 1989 - Als in Berlin und Potsdam Hunderttausende gegen die SED protestierten
Vor 35 Jahren demonstrierten auf dem Berliner Alexanderplatz sowie am Brandenburger Tor in Potsdam Hunderttausende für freie Wahlen und mehr Demokratie. Wenige Tage später war die Berliner Mauer Geschichte. Von Oliver Noffke
Ab dem 4. November jähren sich die letzten großen Proteste in der DDR vor dem Fall der Mauer zum 35. Mal.
An jenem Samstag 1989 folgten Hunderttausende dem Aufruf, sich an der Ecke Mollstraße und Prenzlauer Allee zu versammeln. An der Kreuzung hatten damals die DDR-Nachrichtenagentur ADN und das Institut für Marxismus-Leninismus ihren Sitz. Die Route verlief von dort bis zum nahen Alexanderplatz. Gegen 11 Uhr, zwei Stunden früher als geplant, war der Alexanderplatz bereits so voll, dass die Organisatoren beschlossen, mit der Kundgebung vorzeitig zu beginnen. Mehr als eine halbe Million Menschen kamen schlussendlich zusammen, um für freie Wahlen, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Freilassung politischer Gefangener zu demonstrieren. Es war die größte Massendemonstration in der Geschichte der DDR - und sie wurde im Fernsehen live übertragen [bpb.de, bundesregierung.de].
Zur gleichen Zeit erlebte die Stadt Potsdam eine der größten Demonstrationen in ihrer Geschichte. Gut 100.000 Menschen waren zum Brandenburger Tor auf dem Platz der Nationen (heute Luisenplatz) gekommen [potsdam.de].
Innerhalb weniger Wochen von der Protestbewegung zur Revolution
Wenige Monate zuvor schienen Demonstrationen dieser Größe in der DDR noch unmöglich. Seit dem 17. Juni 1953 hatte es keine Streiks oder Proteste im Land gegeben, die ein derartiges Ausmaß annahmen und zudem direkt die politische Führung im Land kritisierten. Dass der Volks- und Arbeiteraufstand damals von der Sowjetarmee gewaltsam niedergeschlagen wurde, wirkte über Jahrzehnte abschreckend. Mehr als 50 Aufständische waren 1953 getötet worden.
36 Jahre später hatte sich dies geändert und große Teile der DDR-Bevölkerung machten ihrem Unmut auf der Straße Luft. Mehrere Ereignisse hatten die Unzufriedenheit befeuert: die offensichtlich manipulierten Kommunalwahlen im Mai 1989 oder das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking wenige Wochen später. Dass sich die DDR-Volkskammer mit der chinesischen Führung solidarisierte, nachdem mindestens 2.600 Menschen, darunter vor allem junge Studierende, getötet worden waren, löste breites Entsetzen aus.
Am 4. September fand schließlich die erste sogenannte Montagsdemo in Leipzig statt. Nur etwas mehr als 1.200 Menschen beteiligten sich [bpb.de]. Fünf Wochen später kam es dort zur ersten echten Massendemonstration. Rund 130.000 Menschen versammelten sich am 9. Oktober in der Leipziger Innenstadt.
Später gingen auch in Rostock, Dresden, Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt), Erfurt oder Berlin Tausende bis Zehntausende Menschen auf die Straße. In kleineren und mittleren Städten wie Arnstadt, Forst oder Neuruppin gab es ebenfalls Proteste. Die Bewegung wurde zur friedlichen Revolution.
Die Demonstration vom 4. November war die erste, die Potsdam durchgeführt wurde. Die Organisatoren wollten nicht wie in anderen Städten ohne Genehmigung auf die Straße gehen. Statt der angemeldeten wenigen Hundert kamen Zehntausende Menschen.
Das Ende kam unaufhaltsam, aber versehentlich schneller
Mehrfach versuchte das DDR-Regime gegenzusteuern. Am 18. Oktober musste Erich Honecker als Generalsekretär des ZK der SED zurücktreten. Als Nachfolger wurde Egon Krenz installiert. Noch im Mai war er Leiter der Zentralen Wahlkommission die Kommunalwahlen und hatte damit die umfassenden Fälschungen mitverantwortet.
Am Tag des Führungswechsels prägte Krenz den Wende-Begriff. Allerdings erhoffte er sich wohl etwas völlig anderes. "Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wieder erlangen", sagte er damals.
Krenz ging es also darum, dass die DDR-Führung wieder die Kontrolle im Arbeiter- und Bauernstaat erlangte. Viele Bürgerinnen und Bürgern wollten hingegen eine weitaus umfassendere Wende: einen anderen Staat oder zumindest eine andere Art der Führung, aber nicht alte Köpfe auf neuen Posten.
Die letzte große Demonstration vor dem Mauerfall fand dort statt, wo der Protestherbst angefangen hatte: Am 6. November zogen noch einmal rund 500.000 Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Außerhalb des Stadtrings hatten Militär und Polizei Stellungen bezogen. Doch es blieb friedlich.
Das Ende kam am 9. November. Günter Schabowski, seit gerade seit drei Tagen Sekretär für Informationswesen, wurde während seiner zweiten Pressekonferenz nach neuen Regelungen zur Ausreise für DDR-Bürgerinnen und -Bürger gefragt. Schabowski öffnete dabei versehentlich die Mauer, mit den berühmten Worten: "Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich." Das Ende der DDR war damit besiegelt.
In Berlin und Brandenburg erinnern in den kommenden Tagen mehrere Veranstaltungen an die Ereignisse rund um den Fall der Mauer. Die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam veranstaltet am 4. November Stadtführungen und eröffnet eine neue Ausstellung [gedenkstaette-lindenstrasse.de]. Am 9. November solle eine kilometerlange Installation in Berlin-Mitte an das Ende der Teilung der Stadt erinnern.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, das Zentralkomitee der SED hätte seinen Sitz an der gleichen Straßenkreuzung wie der ADN gehabt. Das ist falsch, es war das Institut für Marxismus-Leninismus. Das ZK der SED hatte seinen Sitz im sogenannten "Großen Haus" am Marx-Engels-Platz in Berlin-Mitte. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 04.11.2024, 19:30 Uhr
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