WM-Tagebuch aus Katar - Zwischen Schwarz, Grell und Grau

So 20.11.22 | 12:20 Uhr | Von Dirk Walsdorff
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In Doha wird das Fan Fest anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar eröffnet. Quelle: imago images/Agencia MexSport
rbb24 Abendschau | 18.11.22 | 19:30 Uhr | Dirk Walsdorff | Bild: imago images/Agencia MexSport

Am Sonntag wird in Katar die Fußball-WM eröffnet. Viel wurde im Vorfeld über das Turnier gesprochen und debattiert. Der Leiter der rbb-Sportredaktion, Dirk Walsdorff, ist seit einer knappen Woche vor Ort und berichtet im rbb|24-WM-Tagebuch von seinen Eindrücken.

Sie haben tatsächlich wegen Überfüllung geschlossen. Als ich am Samstagabend am offiziellen "Fifa Fan Fest"-Gelände in Doha ankomme, bewahrheitet sich, was manche der Hunderten von Ordnern, Helferinnen und Polizisten auf dem Weg vom U-Bahnhof über frisch angelegte und begründete Parkanlagen durch ihre Megafone in einer Endlosschleife schon angesagt haben: "Fifa Fan Fest is full."

Und so stehen Hunderte, wenn nicht Tausende vor verschlossenen Einlasskontrollen. Ich bin mit meinem Kollegen Holger Dahl unterwegs. Er wird in vier Wochen das Endspiel für alle Radiosender der ARD übertragen. Wir beide haben inzwischen einiges gesehen und erlebt, waren bei mehreren Fußball-Welt- und Europameisterschaften. Aber damit haben wir hier in Doha nicht gerechnet.

Über den Autor

Dirk Walsdorff, Leiter der rbb-Sportredaktion, berichtet von der Fußball-WM in Katar. Quelle: rbb
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Dirk Walsdorff leitet die rbb-Sportredaktion und berichtet für alle ARD-Radioprogramme von der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.

Für rbb|24 schreibt er gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen regelmäßige Tagebuch-Einträge vom Turnier in Doha.

Feuerwerk, Lichtshow - und Bier

Es ist ein Trubel, der in uns sofort die Assoziation an die deutschen Innenstädte und vor allem an Berlin im Sommer 2006 auslöst. Tausende Menschen sind unterwegs, in unterschiedlichsten Fußballtrikots. Viele von Ihnen sind Katarer oder Menschen, die hier wohnen. Aber längst nicht alle.

Vor allem Südamerikaner sind in Scharen da, erst recht auf dem Fan Fest, wo der kolumbianische Superstar Maluma auf der imposanten Bühne die Massen zum Mitsingen, Tanzen und Feiern animiert. Die Lichtshow ist State of the Art. Das Feuerwerk zuvor war eines der besseren, was man so gesehen hat. Und Bier gibt es auch. Für 50 Riyal, das sind etwa 13,50 Euro.

Eine ganz besondere WM?

Es ist die große Erkenntnis nach einer knappen Woche in dieser fremden Welt. Nach allem, was wir sagen können, wird dies tatsächlich die stimmungsvolle und durch die Nähe aller Stadien, Mannschaften und Fans, auf der atmosphärischen Ebene ganz besondere WM.

Also das, was der zunehmend entrückt wirkende FIFA-Chef Gianni Infantino uns immer verkaufen möchte. Hell bis grell erleuchtet - denn auch in Katar geht die Sonne im Winter um 16:30 Uhr unter. Alle Fassaden sind LED-bunt - die beeindruckenden Wolkenkratzer der Skyline. Baumwoll-bunt ist der Auftritt der Fans, die in Trikots und in Fahnen gehüllt über den Souq, den zentralen Markt, drängeln.

Gekaufte Fans? Ja, gibt es, jedenfalls gesponserte. Am Sonntagabend werden wir etwa 1.300 von Ihnen bei der Eröffnungsfeier sehen. Durchgesponsert von der Fifa mit Tickets und Hotel werden wohl knapp 450 Stimmungsmacher aus allen Ländern. Das ist seltsam, aber bei 3,1 Millionen verkauften Tickets keine relevante Größe.

Eintauchen in eine fremde Welt

Da ich noch nie in der arabischen Welt war, versuche ich zumindest hier in Doha in den vergangenen Tagen einigermaßen tief einzutauchen. Die nagelneue Milliarden-U-Bahn ist technisch faszinierend und für einen Berliner mit ihren drei Linien genauso einfach zu verstehen, wie sie praktisch ist. Ansonsten laufe ich so oft es geht herum. 25.000 Schritte zeigt das Smartphone für Samstag an.

Gelegentlich filme ich interessante Szenen mit dem Handy, an einem Abend habe ich für die rbb24 Abendschau ins Fernsehen geschaltet. Dabei bleibe ich völlig unbehelligt. Ein dänischer Kollege wurde Anfang der Woche von Sicherheitskräften bei einer Live-Schalte bedrängt. Pressefreiheit für einheimische Journalisten gibt es de facto nicht und normalerweise ist die Bewegungsfreiheit der internationalen Presse in Katar dramatisch eingeschränkt. Fragen Sie mal unsere ARD-Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahren in Katar recherchieren und so viele tolle Dokus und Podcasts produziert haben. Während der WM ist auch das anders. Ich sehe jeden Tag dutzende Reporter bei Schalten in die ganze Welt, alle live, mitten im Trubel der Stadt.

Angst vor Kamera und Mikro

Mit einem Katerer zu sprechen, ist gar nicht so leicht, die allermeisten Menschen hier kommen ja aus dem Ausland. Ob Einheimischer oder hier lebender Ausländer: Wir können mit ihnen reden, bis die Kamera oder das Mikro dazu kommt. Dann werden die Menschen scheu. Man spürt eine diffuse Angst, wie ich sie so bei all den Fußballturnieren und Olympischen Spielen nirgendwo auf der Welt angetroffen habe. Aber was die Taxifahrer ohne Mikro erzählen, lässt auch aufhorchen.

Viele sind froh hier zu sein, in den anderen arabischen Ländern sei die Situation der Gastarbeiter oft viel schlimmer. Das passt zu Erkenntnissen aus Gesprächen mit Menschenrechtlerinnen, Politikern und Korrespondenten, die ich in meiner Vorbereitung auf diese WM führen konnte. Tenor: Vieles in Katar ist nach unseren Maßstäben völlig inakzeptabel, manches schockierend. Aber eine ganze Menge ist deutlich weniger schlecht als in anderen arabischen Ländern. Nachdem ich mir den Amnesty International Report über die Vereinigten Arabischen Emirate durchgelesen habe - Spoiler: kein schöner Text - , stellt sich mir die Frage, wie viele Deutsche im Zuge der berechtigten Katar-Kritik mal darüber nachgedacht haben, ihren nächsten Dubai-Urlaub zu stornieren.

Katar ist grau

Katar und alles, was mit dieser WM zu tun hat, wurde in Teilen der deutschen Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen und Monaten ausschließlich in tiefschwarz gemalt. Meine vergangene Woche war geprägt von gleißender Sonne, hellen Scheinwerfern, farbigen Illuminationen und Impressionen einer täglich bunter-werdenden Metropole, Doha. Bei der im für mich Verborgenen täglich ganz bestimmt Menschenrechte missachtet werden, in der eine Energie verschleudert wird, dass sich angesichts der Debatten in der Heimat der Kopf dreht und in der für diese WM Summen ausgegeben wurden, die außerhalb jeder Vorstellungskraft liegen.

Zum Start dieser WM ist die Welt in Katar aus der Nähe betrachtet noch weniger schwarz oder weiß als vorher gedacht. Katar ist grau. Und heiß. Aber das ist ein anderes Thema.

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.11.22, 19:30 Uhr

Beitrag von Dirk Walsdorff

24 Kommentare

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  1. 24.

    Den Iranern nimmt man den Protest ab. Manuel Neuer nicht... weder in Russland noch sonstwo
    Was für ein gewaltiger Unterschied.

  2. 23.

    ignorieren und boykottieren wäre die Devise gegen den Verbrecherstaat Katar. Selbst Bierfreunde werden durch dieses Regime geqält. Ich sehe mir keine einzige Übertragung an.

  3. 22.

    Katar setzt halt andere Maßstäbe. Der Grundwerte-Katalog ist unterschiedlich zum hiesigen. Ich persönlich würde mich schon in einem Moslem-Land auf Dauer nicht besonders wohl fühlen, weil ich die Grundwerte der Moslem-Religion, wie etwa die Frauenrolle, die dort überwiegend praktiziert wird, nicht teile. Was die Kataris mit Neuers Regenbogenbinde machen ist nicht nur im dortigen Kontext logisch, sondern auch praktikabel bei internationalen Wettkämpfen. Den selbst ernannten Moralwächter von "One Love" sollte es nicht erlaubt sein, internationale Veranstaltungen auf diese Art zu beeinträchtigen. Wohin soll das denn führen, wenn solche grundlegende Moralauffassungen die Sportwelt dominieren? Die Sportler sind zum Fußballspielen dort.
    Bei dem Problem mit dem Alkoholkonsum (Bierausschank) verstehe ich nicht, dass man Rücksicht nehmen kann auf das Gastgeberland, und einige Tage auf Alkohol verzichten kann. Worin liegt da ein Problem?

  4. 21.

    Setzt doch ein anderes Zeichen. Ein Tor für die Lesben, ein Toe für die Schwulen und ein Tor für die Diversen.
    Das dreimal und dann erhobenen Hauptes nach Hause.
    Neuer zeigt nur Gratismut. Warum fährt er nicht nach Hause, wenn er die LBQT Binde nicht tragen darf? Entweder jeder darf seine politische Überzeugung kund tun oder niemand! Warum ausgerechnet "one love" erlaubt sein soll, erschließt sich mir nicht!

  5. 20.

    Lieber Wolfgang, ich möchte gern auf Deinen Erklärungswunsch eingehen. Unser Abteilungsleiter Sport D. Walsdorff ist im ARD Team Vor Ort tätig und schreibt darüber hinaus für rbb24. Dies haben wir auch in der InfoBox erklärt. Dafür gibt es weder extra Honorar noch ist er nur aus diesem Grund in Katar.

  6. 19.

    Die Bilder, wie Herr Habeck sich verbeugt hat lassen ihn vermutlich nicht los. Das sah unterwürfig aus. Und verhandeln? Na ja...

    P.S. Ihr erster Satz ist nicht würdig, freigeschaltet zu werden.

  7. 18.

    Sie sollten erst mal lernen zu differenzieren bevor Sie hier solch einen Unsinn schreiben. Erstens bettelt Deutschland nicht um Gas sondern verhandelt und zweitens was haben die Gaslieferungen mit der WM zu tun.

  8. 17.

    Seit Jahren ist bekannt wer diese WM ausrichtet und erst jetzt spielt man den Entsetzen. Schon sehr heuchlerisch, denn zum einem sind die Regeln nicht nur in Katar sondern auch in diversen anderen Ländern so und zum anderen kauft der grüne Wirtschaftsminister Gas aus diesem Land. Desweiteren warum müssen dann so viele Mitarbeiter des öffentlichen Rundfunk in dieses so schlimme Land? Heutzutage kann man doch aus Deutschland berichten und muss nicht alles vor Ort haben. Das Klima würde es danken.

  9. 16.

    habe eher das gefühl das diskurs nicht mehr angesagt ist...entweder dafür oder dagegen.....und wehe du bist möglicherweise gegen das tragen einer regenbogenarmbinde...ja was könnte man dagegen haben..... es ist ein politisches statment ...sport ist schon immer politisch gewesen.....nur sehen nicht alle auch ich die notwendigkeit dafür diese armbinde zu tragen.mich mit einbezogen....eine SCHÜTZT UNSERE KINDER armbinde fänd ich toll.....oder was ist mit allen psychisch oder körperlich zu schützenden Menschen.......mir fehlt hier einfach alles was mich dabei wohlfühlen lässt .........
    bin ich jetzt populist, rechts....irre.? ich denke das ich recht klar bin......und kann oft nur noch den kopf schütteln.........

  10. 15.

    Lieber rbb24, man kann dies nur unterstützen. Besonders dann, wenn Sie das völlig grundlose „in die rechte Ecke schieben“ und Ähnliches nicht freischalten...Das Sie hier Beleidigungen auch nicht veröffentlichen wollen, ist ein so hohes Gut, dass genau daraufhin diejenigen hingucken, die angegriffen werden... PERSÖNLICH.

    Zum Thema: Man kann sich nur dafür schämen, dass verlogen anmutende tragen/nicht tragen der Regenbogenarmbinde von „Promis“ besonders leicht ist, wenn keine Konsequenzen drohen. Marketing des Anscheins eines „Gutmenschen“ wenn es nichts kostet, ist keine Kunst und dient der Sache erst recht nicht. Sie schadet nur.

  11. 14.

    ja ja......ich denk wir sind schon alle erwachsen......momentan haben wir zur genüge an wächtern die uns sagen wie wir uns zu treffen haben, wie zuwaschen, wann licht an oder aus......

  12. 13.

    muss noch was loswerden....mir geht diese ganze heuchelei gehörig auf die nerven....dann hätten in den usa auch keine olymischen spiele, wm usw stattfinden dürfen.....dann noch lgbt+ .....oh und wehe du sagst etwas kritisches dazu......
    ich bilde mir meine meinung.......bei mir jeder nach seiner Weise....aber ich auch........
    @so.....kann hier auch schief gehen...etwas in die kamera zu sagen.......ist man schnell......

  13. 12.

    Wir sperren Kommentare nicht einfach, sondern nur, wenn sie gegen unsere Netiquette verstoßen oder Beleidigungen enthalten. Außerdem behalten wir uns vor Kommentare nicht zu veröffentlichen, wenn sie keinen Bezug zum Artikel haben.

  14. 11.

    Da haste Recht,Hier im RBB werden ja auch Kommentare einfach gesperrt,anscheinend ist es nicht genehm wenn man sein Meinung sagt.In letzter Zeit ziemlich auffällig.Dann sollte man es lassen und solche Meinungsplattform ganz streichen.

  15. 10.

    Die öffentlich Rechtlichen samt der gesamten Presselandschaft erweisen dem edlen Wort "Menschenrechte" derzeit leider einen riesigen Bärendienst. Offensichtlich besteht die Pflicht, in jeden Beitrag zur WM den Umgang Katars mit den Menschenrechten einzupflanzen. Egal, ob es im Beitrag eigentlich um Sport, Sportler, Sportstätten oder eben das WM-Programm geht. Leute, wir haben es jetzt alle begriffen! Macht bitte nicht die Menschenrechte zum Unwort und konzentriert euch endlich auf den Fußball.

  16. 9.

    Eigentlich ja. Und man sollte bestimmte Dinge nicht auf dem Rücken der Sportler austragen. Der Sport steht immer für Völkerverständigung. Von ganz alleine, selbst ohne Armbinden.
    Wenn man nun in Katar fürchtet sanktioniert zu werden und deshalb nicht die (angeblich so wichtige) Regenbogenarmbinde trägt, dann wird das Stänkern und Provozieren in Russland als „ganz billige Nummer“ entlarvt. Es zeigt sogar moralische Schwächen... Und die ganze Welt sieht das nun.

  17. 8.

    "...um die Regenbogenarmbinde nicht zu tragen..." - Die einzige Armbinde die der Kapitän einer Nationalmannschaft zu tragen hat besteht aus drei Farben: Schwarz, Rot, Gold und nichts weiter.

  18. 7.

    Ich glaube, Deutschland hat genügend eigene haarsträubende „Baustellen“ um die man sich kümmern sollte. Die WM zu boikottieren erscheinen mir wie ein nachplappern derjenigen, die diese Probleme bisher nicht auf die Reihe bekommen haben. Am witzigsten finde ich, die WM nicht in Kneipen u.ä. zu zeigen oder nicht im TV ansehen zu wollen. Die Scheinheiligkeit ist nicht mehr zu überbieten und vielleicht ist es auch eine Neiddebatte.

  19. 6.

    Volle Zustimmung! Sich jetzt über die WM aufzuregen, aber im gleichen Atemzug um Gas zu betteln, ist einfach nur hinterf........

  20. 5.

    das ist wohl der erste Schritt zum RBB sparen ?
    Bitte erklärt es mir ernsthaft warum ihr nicht die Berichte von ARD oder ZDF übernehmt ?
    das wäre der erste Schritt zur Glaubwürdigkeit, auch für eure Mitarbeiter.

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