Herthas Geschäftszahlen vor der Mitgliederversammlung - Das "Berliner Sorgenkind" ist zurück in der Schuldenfalle

Di 08.11.22 | 14:09 Uhr | Von Simon Wenzel
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Herthas Sportdirektor Fredi Bobic (Quelle: IMAGO/Sportfoto Rudel)
Bild: IMAGO/Sportfoto Rudel

Schon vor der Mitgliederversammlung hat Hertha BSC seine Geschäftszahlen für die zurückliegende Saison veröffentlicht. Sie zeigen: Nicht nur der Fußball war schlecht. Der Klub steuert auch auf eine finanzielle Krise zu. Von Simon Wenzel

Im Internet sind manchmal Dinge zu finden, die aus Sicht des Urhebers eigentlich noch ein bisschen länger unentdeckt bleiben sollten. Geschäftsberichte zum Beispiel, die zwar aus rechtlicher Verpflichtung veröffentlicht werden müssen, auf deren Inhalt das Unternehmen aber mutmaßlich nicht besonders stolz ist. Geschäftsberichte wie der von Hertha BSC.

Den hatten umtriebige Menschen in der vergangenen Woche entdeckt und übers soziale Netzwerk Twitter in die breite Öffentlichkeit getragen. Der Inhalt sorgte anschließend für Diskussionen im sozialen Netzwerk und darüber hinaus bei den Fans von Hertha BSC. Die Zahlen sollten den Mitgliedern eigentlich auf der Versammlung am Sonntag präsentiert (und vielleicht schonend beigebracht) werden, nun wurde die Diskussion über den Berichts bereits eine Woche vorher eröffnet.

Über 210 Millionen Euro Verlust in drei Jahren

Das liegt am erschreckenden Inhalt: Im abgelaufenen Geschäftsjahr, das im wesentlichen der zurückliegenden Bundesliga-Saison (2021/22) entspricht, hat Hertha das beachtliche Minus von 79,8 Millionen Euro erwirtschaftet. Mal wieder. Schon im Vorjahr hatte der Verlust rund 78 Millionen Euro betragen, in der Saison davor war es ein Minus von immerhin 53,5 Millionen Euro. Macht rund 211 Millionen Euro Miese in drei Jahren.

Seit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst im Jahr 2019 beruhigte Hertha sich und seine Mitglieder stets mit dem Verweis auf das Eigenkapital. Hierhin waren die insgesamt 375 Millionen von Windhorst vor allem geflossen, das versprach vermeintlich Sicherheit.

In der aktuellen Bilanz sind nun die Schulden mit 80,8 Millionen Euro wieder deutlich höher als das Eigenkapital von 29,5 Millionen Euro - und anders als in den vergangenen Jahren ist auch keine Zahlung des Investors mehr zu erwarten. Selbst mit seinen liquiden Mitteln kommt Hertha in einer Gegenüberstellung aus Schulden und verfügbarem Geld schon jetzt nicht mehr bei einer schwarzen Null heraus.

Hertha als Anschauungsmaterial

Es ist eine Entwicklung, die abzusehen war. Entscheidend für die hohen Verluste sind die seit Jahren viel zu hohen Gehaltskosten. Manager Fredi Bobic steigerte diese in seinem ersten Jahr sogar noch: auf nun 97,7 Millionen Euro.

Das ist in etwa so viel, wie Bobics Ex-Klub Eintracht Frankfurt im Jahr 2021 [Der hessische Ligakonkurrent bilanziert nach Kalenderjahren, nicht nach Saisons - Anm.d.Red] für sein Team bezahlte, das sich in der Liga für die Europa League qualifizierte und diese in der Folge sogar gewann. Hertha dagegen schrammte mit seinem millionenschweren Ensemble nur knapp am Abstieg in die zweite Liga vorbei. Das Beispiel passt auch gut, weil beide Vereine Minus erwirtschafteten, man könnte auch sagen: investierten. Der Verlust der Eintracht war allerdings nur halb so groß, wie der in Berlin und während Frankfurt für seinen Erfolg mit künftig steigenden TV-Geldern belohnt wird, geht es bei Hertha genau in die andere Richtung: 15 Millionen weniger Fernsehgeld waren es letzte Saison im Vergleich zum Vorjahr, und das wird sich auch in dieser Spielzeit fortsetzen.

Für Lehrkräfte im Fachbereich Sportökonomie entwickelt sich der Berliner Traditionsverein damit zu einem spannenden Unterrichtsstoff. "Die Fallstudie Hertha BSC zeigt deutlich, wie schnell eine beträchtliche Menge an Investorenmitteln in sportlicher Hinsicht sozusagen effektlos verschwinden kann", sagt Christoph Breuer, Professor an der Sporthochschule Köln. Die Fallstudie des Sportökonomen könnte in den kommenden Jahren mindestens zwei Mal aktualisiert werden.

Hertha drohen gleich zwei harte Phasen

Breuer sagt: "Es gibt zum einen die Gefahr für die Lizensierung - hier wird der Zeitpunkt entscheidend sein, wann Hertha negatives Eigenkapital hat. Darauf steuert der Verein in rasanter Geschwindigkeit hin." Schon im kommenden Sommer könnte es soweit sein, selbst wenn es Hertha gelänge, seinen Verlust zu halbieren.

Vor der Corona-Pandemie war negatives Eigenkapital ein entscheidendes Kriterium bei der Lizenzvergabe durch die Deutsche Fußball-Liga (DFL). Die Lizenz ist davon zwar nicht direkt gefährdet, könnte aber unter Auflagen erteilt werden. Zuletzt wurde diese Praxis aufgeweicht, um die Vereine in der Pandemie zu entlasten, trotzdem steht zu befürchten, dass die DFL ein negatives Eigenkapital in den nächsten Jahren nicht einfach so abnicken würde.

Noch konkreter ist die Bedrohung im November 2023: Dann muss Hertha planmäßig eine Anleihe über 40 Millionen Euro zurückzahlen. Ironischerweise wurde diese 2018 ausgegeben, um Anteile von Finanzinvestor KKR zurück und anschließend an Lars Windhorst weiterverkaufen zu können. Dass dessen Geld nun ausgegeben ist, bevor die Rückzahlung dieser Anleihe fällig wird, ist eine tragische Pointe des Intermezzos. Die Finanzierung droht, zum Problem zu werden: "Momentan reichen die liquiden Mittel nicht aus, um die Anleihe zurückzuzahlen. Der Klub muss also entweder durch Spielerverkäufe oder durch eine Neuverschuldung mehr Liquidität erreichen", sagt Breuer. Eine Situation, die Hertha schon aus der Vergangenheit kennt. Der Klub ist zurück in der Schuldenfalle.

Finanzielles Versagen mit Tradition

Eigentlich wollte sich der Verein auf Anfrage nicht vor der Mitgliederversammlung zu den Geschäftszahlen äußern, doch dann gab es schon am Wochenende eine Reaktion auf die Diskussionen im Netz. Präsident Kay Bernstein postete höchst persönlich ein Statement. Er bezeichnete die Situation darin als "herausfordernd" und nannte die Finanzen des Klubs eine "Erblast". Sein Präsidium stehe vor einer der schwierigsten Aufgaben in der Vereinsgeschichte.

Das ist, sollte es nicht nur als Floskel gemeint sein, eine besorgniserregende Aussage. Denn so liebenswürdig die Alte Dame Hertha in ihrer schrulligen Berliner Art auch sein mag: Mit den Finanzen lief es selten gut in ihrer 130-jährigen Vereinsgeschichte. Immer knapp bei Kasse musste Hertha beispielsweise in den 70er Jahren das berühmte Stadion "Plumpe" verkaufen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Mehrfach drohte der Lizenzentzug, ein Mal kam es sogar zum Zwangsabstieg wegen dubioser Finanzgeschäfte. Es lief phasenweise so viel schief, dass Herthas Spieler sich in einem Lied schonmal selbst ironisch als "Berliner Sorgenkind" besangen. Eine der schwierigsten Aufgaben in der Geschichte dieses Vereins will also schon etwas heißen.

Manager Fredi Bobic bereitet die Fans deshalb ebenfalls auf schwere Zeiten vor. Der erhoffte Erfolg durch die Windhorst-Millionen sei nicht eingetreten, deshalb müsse man jetzt "Schritte rückwärts machen", sagte Bobic der Münchener Zeitung "tz". Als Reformator angetreten, will er einen Strukturwandel vollziehen. Gute Idee, sollte man meinen, aber kann Hertha sich den so schnell leisten? Die gestiegenen Personalkosten liegen auch daran, dass Bobic das Funktionsteam rund um die Profis und die Belegschaft der Geschäftsstelle deutlich vergrößert hat.

Noch-Investor Windhorst schweigt lieber

Gegenfinanzieren lässt sich das fast nur mit Transfers. Selbst wenn es in dieser Saison keine Geisterspiele mehr geben sollte und damit volle Zuschauereinnahmen zu erwarten sind, ist das kein echter Hoffnungsschimmer: Die Einnahmenverluste wegen der Pandemie wurden in der vergangenen Saison ohnehin zu einem großen Teil von etwa sieben Millionen Euro staatlichen Hilfsgeldern ausgeglichen. Sollte es also bald lukrative Angebote für seine Topspieler geben, dürfte es Fredi Bobic aus finanzieller Sicht sehr schwer fallen, diese abzulehnen - selbst wenn Hertha auch mit ihnen schon mitten im Abstiegskampf steckt und die sportlichen Auswirkungen kaum abzusehen wären.

Vor etwa drei Jahren formulierte Investor Lars Windhorst noch die Bezeichnung "Big City Club" und träumte davon, dass Hertha bald eine führende Position in Deutschland und Europa einnehmen könnte - aus heutiger Sicht Aussagen wie aus einem Paralleluniversum. Aktuell versucht Windhorst, einen Käufer für seine Anteile am Klub zu finden, vielleicht will er auch deshalb die Geschäftszahlen lieber nicht mehr öffentlich kommentieren. Man darf aber davon ausgehen, dass sie ihm bekannt sind. Im Frühjahr hatte Windhorst von Hertha einen detaillierten Bericht gefordert, in dem der Verein erklären sollte, wie genau die 375 Millionen Euro denn nun so schnell verschwinden konnten. Dem Vernehmen nach bekam er nicht mehr als ein schönes, aber wenig befriedigendes Tortendiagramm des inzwischen zurückgetretenen Finanz-Geschäftsführers Ingo Schiller auf der letzten Mitgliederversammlung im Mai.

Die Finanzen dürften großes Thema werden

Dessen Nachfolger Thomas Herrich wird am Sonntag bei der Mitgliederversammlung zu fortgeschrittener Zeit ans Rednerpult in der Messehalle 22 treten. Auch Herrich wird vermutlich das ein oder andere bunte Diagramm dabei haben, und es wird spannend sein, ob er die schlechten Zahlen genau so charmant verkaufen kann, wie sein Vorgänger Schiller. Dessen Talent, die meist mäßigen bis schlechten Bilanzen mit beruhigendem Tonfall und schönen Worten zu verkaufen, war fast schon legendär.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.11.2022, 16.30 Uhr

Beitrag von Simon Wenzel

19 Kommentare

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  1. 19.

    Im Geld ausgeben war Hertha schon immer Spitze. Nun ist der Finanzgeschäftsführer rechtzeitig verschwunden und muss dieses Disaster nicht mehr "erkären". Was mich wundert ist, dass auch die neue Geschäftsführung anscheinend die Personalkosten noch weiter erhöht hat. Hertha braucht nicht mehr Ausgaben, sondern einen radikalen Sanierungsplan !!! Mein Vorschlag: Anfangen mit dem aufgeblähten Funtionskader und mal die "treuen" Ex-Spieler fragen, ob sie es nicht auch für die Hälfte der Kosten machen würden (beispielhaft sei hier der Stürmer-Trainer erwähnt).

  2. 18.

    Was soll die ganze Aufregung!? Im Verbrennen von Geld war Hertha doch schon immer ein "Big City Club"

  3. 17.

    wo sind die windhorst millionen hin?
    rbb ermitteln sie!

  4. 16.

    Kaum vorstellbar, dass Hertha die Dauerkrise bewältigt - hier mal der Blick in die Glaskugel:
    1. Hertha steigt ab
    2. Lizenzentzug wegen fehlender Auflagen (insb. Geld)
    3. Unausweichliche Pleite in den nächsten 12 Monaten
    4. Resteverwertung durch Auktion, insb. des Namens “Hertha”
    5. Führungsriege macht sich vom Acker
    6. Neuanfang mit abgewandelten Namen ungewiss
    6. Neuer Besitzer an Namensrechte baut ein neuen Klub nach Blaupause RB Leipzig auf
    7. Fans suchen eine neue Heimstatt
    Hertha RIP

  5. 14.

    Da Lob ich mir doch die Ostkurve. Erfolgreich den Investor mit Spruchbändern vergrault. Nach dem Motto "Wir brauchen keinen Investor" heul. Das sein Geld bei Hertha verbrannt wurde dafür kann er nix. Egal, nun sind neue Amateure am Ruder und werden uns schon zeigen wie aus nix noch weniger wird hahohe

  6. 13.

    Die Schulden liegen bei 80,8 Mio, das macht's aber auch nicht besser. Spätestens wenn die Rückzahlung der 40 Mio.- Anleihe platzen sollte, sieht es ganz finster aus.

  7. 12.

    Die einzige Hoffnung für meinen Klub die Klasse zu halten, ist ein Lizenzentzug der Hertha...
    Dann werden sie uns Schalker noch mehr verfluchen...

  8. 11.

    378 Millionen verbraten, trotzdem 211 Millionen Schulden
    Nach 13 Spieltagen nur 11 Punkte und Abstiegskandidat Nr. 1
    Trister kann das dasein eines Fußballvereins nicht sein
    Aber alles gut

  9. 10.

    Eigentlich ist dieses doch eine Insolvenz Verschleppung wenn man diese Schulden in Millionen Höhe ließt. Wer hoch hinaus will sollte aufpassen nicht Tief zu fallen. Ob die Verantwortlichen bei Hertha auch privat so mit Geld wirtschaften???

  10. 9.

    Vorschlag für neue Hertha-Hymne : Wo ist mein Geld nur geblieben, wo,wo,wo frei nach H. Hahnemann

  11. 8.

    Die Frage muss doch erlaubt sein, wo ist das viele Geld hin ? Wer hat was, wie viel bekommen ? Sind Gegenleistungen erbracht worden ? Wenn die Spieler und Trainer nach Leistung bezahlt worden sind, müssen doch noch etliche Millionen vorhanden sein. Irgendetwas stimmt nicht bei Hertha.

  12. 7.

    Der ist gut! Der Tag, an dem sich Fredi Bobic aus dem Staub macht ist auch nicht mehr weit. Er möchte sicherlich ungern ein totes Pferd reiten.

  13. 6.

    Fredi Bobic ist allerdings fast schon bewundernswert gut darin, immer wieder aufs Neue den Anschein zu erwecken, er habe den Posten gestern erst übernommen und könne für nix. Wie macht er das?

  14. 5.

    Wieso sollte es wieder geisterspiele geben, typisch Berliner Blase, interessiert weltweit wirklich keinen mehr.

  15. 4.

    Nach so mancher Ideologie, in dieser Region, auch in anderen Bereichen, bleibt nur ein "Ausweg": Die Clubs die mehr haben MÜSSEN der Hertha abgeben. Wenn nicht, muss man sich dies, auf anderen Wegen holen/einziehen. Dazu wird die Hertha eine "Gesetzesvorlage" einreichen. Denn schließlich haben die Anderen nur deshalb mehr, weil sie gegen die Hertha spielen dürfen...
    Dies soll eine nette Satire sein, damit sich der Eine oder die Andere wiedererkennt...

  16. 3.

    Danke für diesen Artikel, in dem interessanterweise das Wort Pleite nicht ein einziges Mal vorkomt. Doch das ist es, worauf alles hinausläuft.

  17. 2.

    Ich kaufe ein Stadion!

  18. 1.

    Da hilt nur ein Stadionneubau.





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