Fanprojekt reinigt Obdachlosenschlafsäcke - Anstoß für einen neuen Kreislauf
Schlafsäcke einsammeln, reinigen, saubere ausgeben. Eine Fan-Initiative will damit Obdachlosen-Hilfsorganisationen unterstützen. Diese zeigen sich dankbar für das Schlafsack-Projekt. Der Bedarf ist in der Hauptstadt immer noch bedenklich hoch. Von Shea Westhoff
Es ist kalt an diesem Februarmorgen, Temperaturen um den Gefrierpunkt. "Um den Gefrierpunkt", das lässt sich salopp sagen, wenn man ein Zuhause hat, in dem man sich aufwärmen kann. Das haben in Berlin viele Menschen nicht. Und so können Schlafsäcke überlebenswichtig sein – trockene, saubere Schlafsäcke.
Um die geht es heute für André Ruschkowski und Samiya Khalafi von "1892 hilft!", deswegen sind sie mit dem Kleinbus auf Tour durch Berlin-Mitte. Schmutzige Schlafsäcke obdachloser Menschen einsammeln, in Tonnen packen für die Reinigung, frische Schlafsäcke ausgeben. So simpel, so neuartig.
Die Tonnen sind geruchsdicht
Unter dem Slogan "1892hilft!" haben sich Hertha-Fans zusammengeschlossen, die sich ehrenamtlich einbringen wollen für ihre Stadt. Die Initiative habe vor ein paar Jahren bereits Schlafsäcke verteilt, erzählt Ruschkowski, aber dann habe man beobachtet, dass diese wenig später "in der Ecke lagen und schmutzig wurden oder die Leute am Zoo da draufpinkelten", erzählt er. Erst habe er sich daran gestört, dann aber innegehalten und überlegt, wo man die Schlafsäcke auf der Straße denn auch sauber halten solle? So sei die Idee des mobilen Schlafsack-Lieferdienstes entstanden, den die Fan-Initiative nun gemeinsam mit der Berliner Odachlosenhilfe betreibt.
Erster Stopp ist heute die Kleiderkammer der Berliner Stadtmission. Die ist beim Thema Obdachlosenhilfe erste Ansprechpartnerin in der Hauptstadt und bekannt dafür, tatkräftig anzupacken, wenn es um die Versorgung Bedürftiger mit warmen Mahlzeiten, Kleidung und Schlafmöglichkeiten geht.
Aus dem Kofferraum manövriert Ruschkowski eine blaue Tonne. Diese ist luftdicht verschließbar - und damit auch geruchsdicht, was bei wochenlang auf der Straße benutzten Kunstfaser-Schlafsäcken nicht unerheblich ist. Vier bis fünf schmutzige Schlafsäcke passen in so eine Tonne.
Großer Verbrauch an intakten Schlafsäcken
Ruschkowski reicht die leere Tonne einem Mitarbeiter der Stadtmission und erklärt: "Wenn ihr Schlafsäcke bekommt, schaut sie euch an, ob man die noch gebrauchen kann." Er spreizt seinen Daumen und Zeigefinger leicht: "Wenn so ein Riss im Schlafsack ist, dann ist alles gut. Wenn da aber so ein Riss ist” - nun deutet er mit beiden Händen einen Abstand von zirka 20 cm an - "dann weg damit.” Sobald die Tonne gefüllt ist mit gebrauchten Schlafsäcken, könne man ihn anrufen, dann würden sie abgeholt und zur Reinigung gebracht.
"Das ist eigentlich ein Traumprojekt", sagt Karen Holzinger, Bereichsleiterin der Obdachlosenhilfe der Stadtmission. "Weil wir in unseren Projekten so viele Schlafsäcke ausgeben, zum Beispiel mit unserem Kältebus, den Notübernachtungen, den Tagesstätten. Wir haben einen großen Verbrauch an eigentlich sehr guten Schlafsäcken, die man wiederverwenden könnte - wenn es nur jemanden geben würde, der sie wäscht und trocknet. Und den haben wir jetzt."
Rund 26.000 in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften
Seit diese Schlafsack-Initiative Ende 2021 ins Leben gerufen wurde, haben sich 50 Leute daran beteiligt und sind mindestens eine Tour mitgefahren. 5.000 Euro sind für das Projekt an Hertha-Fan-Spenden zusammengekommen.
Einer Schätzung des Statistischen Bundesamts zufolge sollen in Berlin rund 26.000 Menschen in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften oder vorübergehenden Quartieren leben. Die Dunkelziffer der obdachlosen Menschen dürfte noch höher sein. Ein riesiges Problem, das auch im lauten Wahlkampf der Berliner Wiederholungswahl eher kleinlaut behandelt wurde.
Berlin: arm, aber sexy. Das lässige und oft bemühte Bonmot bekommt angesichts zigtausender Menschen, die gar nichts besitzen, einen schiefen Beiklang.
Für Ruschkowski und Khalafi ist der nächste Halt ihrer Tour das Berliner Hofbräu Wirtshaus am Alexanderplatz. Dort ist in den vergangenen Wintern der Aufenthaltsort "Tagestreff Mitte" entstanden, in dem sich Obdachlose tagsüber aufwärmen können und eine warme Mahlzeit erhalten. "Was habt ihr heute für uns?", fragt Ruschkowski die Helferin Martyna Zielkowska. "Drei Schlafsäcke wurden heute abgegeben", sagt sie und deutet auf die blaue Tonne. Ruschkowski wuchtet sie hoch und bringt sie zum Minibus. Aus dem Kofferraum holen er und Khalafi sechs saubere Schlafsäcke sowie eine neue, desinfizierte blaue Tonne für den "Tagestreff Mitte".
Am Anfang habe man die Leute viel aufklären, informieren müssen, wie das mit dem Tausch laufe, berichtet Zielkowska dem rbb. Aber dann sei es gut angenommen worden. "Das ist eine nachhaltige Idee. Das bewegt die Leute zum Mitmachen", sagt sie. "Sie kommen jetzt hierher, die sehen, dass wir die Tonne haben. Dort können sie den Schlafsack reintun und ihn austauschen. Sie wissen, es wird gewaschen."
Dass die Macher der Initiative Hertha-Fans sind – hat das für Zielkowska einen Einfluss auf die eigene Fußballliebe? Lachend wirft sie ihren Kopf zurück. "Mein Herz schlägt rot", sagt sie, das sei nun doch etwas schwierig. Trotzdem, Spaß beiseite, es sei eine super Sache, egal ob rot oder blau-weiß.
"Da soll ein Kreislauf entstehen"
Letzter Halt, Ostbahnhof. Drei Männer reihen sich vor dem Kleintransporter auf. Ruschkowski erklärt ihnen das Tausch-Prozedere. "Da soll ein Kreislauf entstehen, das geht nur, wenn wir schmutzige Schlafsäcke erhalten, die wir waschen können und dann ausgeben." "Klingt gut", sagt einer der Männer. Diesmal hat er keinen gebrauchten Schlafsack zum Eintauschen. Er kriegt trotzdem einen sauberen, klar, die anderen beiden auch, und ein Zelt. Dann ziehen sie weiter.
Khalafi sagt, auch wenn man damit das Problem der Obdachlosigkeit nicht lösen könne, habe man das Gefühl: Man kann wenigstens helfen. "Man kann Menschen etwas Gutes tun, man tut etwas für das Miteinander und man nimmt auch Menschen wahr, die vielleicht von der Gesellschaft nicht so wahrgenommen werden."
Dann steigt sie mit Ruschkowski in den Minibus, für heute ist die Tour zu Ende.
Sendung: rbb24, 09.02.2023, 18 Uhr