Zu Besuch bei Herthas Ü70-Mannschaft - Goldene Generation
Während die Bundesliga-Mannschaft von Hertha BSC mal wieder gegen den Abstieg kämpft, ist die Ü70-Abteilung amtierender Meister. Richtig stark sind die Herren aber vor allem neben dem Platz. Von Ilja Behnisch
Mit den Lebensjahren ist es bekanntlich so: Alle wollen alt werden, niemand will es sein. Schaut man allerdings zu den Fußballern der Ü70-Mannschaft von Hertha BSC, ist man geneigt, Zweifel an der ewigen Weisheit anzumelden. Hier mitzuspielen, scheint mindestens erstrebenswert.
Im dritten Jahr gibt es das aktuell elf Spieler umfassende Team nun. Klingt nach knappem Personal, aber keine Sorge, gespielt wird auf dem Halbfeld, sechs Feldspieler plus Torwart. Und im Fall von Hertha BSC äußerst erfolgreich: Dem Double aus Berliner Meisterschaft und Berliner Pokalsieg im Premierenjahr folgte im vergangenen Jahr die erneute Meisterschaft.
Und auch in dieser Saison führen die Alten Herren der Alten Dame die Tabelle schon wieder an. Zehn Punkte aus vier Spielen stehen zu Buche, bei einem satten Torverhältnis von 22:2. Elf Mannschaften umfasst die Berliner Ü70-Liga, so viele Teams wie in keinem Bundesland sonst. Berliner Luft eben.
Liga verwaltet sich selbst
Das gute Torverhältnis spielt durchaus eine Rolle, das wird auch am vergangenen Mittwoch beim 10:1-Erfolg über die SG Traber FC/SV Adler deutlich. "Machen wir noch drei, sind wir pari mit Lichtenberg", sagt Kapitän Uwe Gnädig in der Halbzeit über den direkten Vergleich. Lichtenberg 47 und der VfB Einheit zu Pankow gelten als die größten Konkurrenten im Kampf um die Titelverteidigung in dieser Saison. Die besteht aus Hin- und Rückrunde, Sommerpause inklusive. Zudem wird im Herbst eine eigene Pokalsaison ausgespielt.
Während noch die vierte Mannschaft einer U13 aus dem vorletzten Dorf von den Verbänden akribisch erfasst wird im Internet, lassen sich Tabellen und Spielergebnisse dieser Ü70-Spielklasse allerdings nur in homöopathischen Dosen aufspüren. Die Liga verwalte sich selbst, sagt Herthas Michael Rätsch, was den unschätzbaren Vorteil habe, dass etwa Spielverlegungen ganz unbürokratisch untereinander geregelt werden könnten.
Gelassenheit ist Trumpf
Wer einmal gesehen hat, wie die Herren im besten Alter miteinander umgehen und reden, kann sich dabei selbst so ein Gespräch über eine Spielverlegung nur aufs Schönste ausmalen. Es weht ein bisschen Alt-Berlin über den Sportplatz am Weddinger Nordufer, wenn die Ü70 aufspielt. Hektik scheint hier ein Fremdwort, Gelassenheit ist Trumpf. Und so fallen sie, die Perlen, Sätze für eine kleine Ewigkeit. Wie von Trainer Wolfgang Lach: "Der Gegner wird uns sagen, was wir zu tun haben." Oder: "Wenn wir alles gegeben haben, müssen wir mit dem Ergebnis zufrieden sein, was wir am Ende erreichen." Nicht, dass die Herren keinen Ehrgeiz mehr hätten, der bleibe immer. "Verlieren ist ganz schlecht", sagt Uwe Gnädig, "macht einfach keinen Spaß" und lacht dabei eines dieser Lachen, die beweisen, dass man es ernst meint.
Deshalb wird bei Herthas Ü70 auch bei hoher Führung noch gefachsimpelt am Spielfeldrand. Das Positionsspiel gefällt nicht, die vor dem Anpfiff ausgegebene Devise "hinten die Mitte dicht, vorne wie ein Trichter auseinander" wird momentweise vergessen, da ist man sich schnell einig. Doch der Ton bleibt immer respekt- wenn nicht sogar liebevoll und vielleicht ist es naiv, sich das auch für den Bundesligafußball zu wünschen, vielleicht aber ist es auch das, was vielen fehlt inzwischen im Profi-Betrieb fehlt; wenigstens ab und an ein Augenzwinkern.
Keine Chance, sich zu verstecken
82 Jahre alt ist der Senior der Truppe. Zwei 68- bis 70-Jährige dürfen eingesetzt werden, dazu ein 67- bis 70-Jähriger. Trainiert wird nicht, die Mannschaft trifft sich lediglich zu den Spielen. Jeder mache etwas für sich, so Michael Rätsch, Radfahren, Laufen, das Übliche. Wer zwei Mal dreißig Minuten Wettkampf-Fußball durchstehen möchte, muss fit sein. Auch mit, über und um die 70 noch. Und auch, wenn während der Partie beliebig ein- und ausgewechselt werden darf: Dafür könne man sich auf dem Halbfeld nicht verstecken, sagt Trainer Wolfgang Lach. Auch wenn es, man achte auf den zeitlichen Rahmen, "von Dekade zu Dekade schwieriger" werde körperlich.
Der Ball rollt dafür noch ganz ordentlich durch die Reihen. Ein Vergleich mit dem Profi-Fußball verbietet sich. Eher ähnelt das Spiel dem einer ambitionierten Hobby-Truppe im besten "der hat mal höher gespielt"-Alter. Hier mal eine überraschende Finte, da mal ein Direktpass, Tore satt. Und vielleicht will man immer noch nicht alt sein, wenn man die Ü70 der Hertha gesehen hat. Aber Teil der Mannschaft, das wäre schon was.
Sendung: rbb24, 30.03.2023, 18 Uhr