Kommentar | Neuer alter Cheftrainer - Weshalb Dardai der Einzige für Hertha bleibt
Pal Dardai bleibt Cheftrainer bei Hertha BSC. Vereinsidentifikation, Jugendarbeit, Medienkompetenz - der Ungar ist aus vielen Gründen die logische Wahl. Auch aus Mangel an Alternativen. Ein Kommentar von Marc Schwitzky
"Beim Fußball zählt immer der nächste Pass. Was danach passiert, kann also keiner ahnen. Aber die Absprache war nie, dass ich hier noch mal Cheftrainer werde. Deshalb ist die klare Absprache, dass ich im Sommer zurück zur Akademie gehe", erklärte Pal Dardai am 17. April, als er einmal mehr zum Cheftrainer von Hertha BSC ernannt wurde.
Knapp 50 Tage später ist der nächste Pass gespielt - die Richtung, in die der Ball rollt, war zwar nicht Dardais ursprünglicher Plan, ist nach den letzten Tagen jedoch nicht mehr überraschend. Pal Dardai - das teilte der Verein heute mit - kehrt vorerst nicht in die Jugendabteilung zurück und bleibt auch in Liga zwei Cheftrainer der Berliner. Es ist die beste Wahl, die Hertha treffen konnte – aber vermutlich auch die einzige.
Wer denn sonst?
Es ist beileibe nicht so, als ob sich die Verantwortlichen von Hertha nicht umgeguckt hätten. Aus Vereinskreisen war zu hören, dass die Suche nach einem Trainer nicht beim Namen Dardai aufgehört hatte – viele Varianten wurden diskutiert, auch mit Investor 777Partners als Ratgeber. Dass die Wahl letztendlich doch auf den Ungarn fiel, hängt auch maßgeblich mit Herthas Möglichkeiten zusammen.
Zum einen engt die finanzielle Situation der "alten Dame" das Teilnehmerfeld entscheidend ein. Hertha ist aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage schlicht nicht dazu in der Lage, extravagante Lösungen auf dem Trainerstuhl zu präsentieren. Der medial kurzzeitig diskutierte Florian Kohfeldt wäre für Hertha gar nicht zu bezahlen gewesen. Das gilt für viele Übungsleiter ähnlichen Kalibers ebenso. Nun wird auch ein Dardai seine Arbeit angemessen entlohnen lassen, aber gleichzeitig eher dazu bereit gewesen sein, finanziell auf seinen Verein zuzugehen.
Vor allem aber die undurchsichtige Lage rund um Herthas DFL-Lizenz wird es erschwert haben, externen Lösungen nachzugehen. Lange war nicht klar, wie und ob es bei den Blau-Weißen weitergeht – Planungssicherheit für Gespräche war kaum gegeben. Es darf die provokative Frage gestellt werden: Welcher Trainer von Format hätte sich das mögliche Himmelfahrtskommando denn angetan? Hertha in dieser so unruhigen Zeit zu übernehmen, muss beinahe schon eine Herzensangelegenheit sein – so wie es bei Dardai der Fall ist. Zumal der aktuelle Trainermarkt wenig berauschende Alternativen zu bieten hat. Namen wie Andre Breitenreiter, Manuel Baum, Heiko Herrlich oder Markus Gisdol regen nicht gerade zur Euphorie an und haben zuletzt allesamt nicht bewiesen, längerfristig bei einem Verein funktionieren zu können.
Dardai kann den Hertha-Weg mit Leben füllen
Es sprechen jedoch weitaus mehr Argumente für Dardai als nur der Mangel an Alternativen. Das wohl größte Plus ist die Tatsache, dass es keinen Trainer gibt, der mehr für die neu eingeschlagene Richtung steht. Der "Hertha-Weg", der die Jugendakademie wieder in den Fokus rücken soll, wird seit jeher von Dardai mit Leben gefüllt. Der 47-Jährige identifiziert sich zu 100 Prozent mit dem Verein, brennt für seine Aufgabe und will aktiv mit Eigengewächsen arbeiten – ein auf neudeutsch "Perfect Match".
Bereits in seiner ersten Amtszeit hat Dardai erfolgreich vorgemacht, wie der Hertha-Weg aussehen kann. Neben erfahrenen Mentalitätsspielern wie Vedad Ibisevic, Per Skjelbred oder Fabian Lustenberger fanden immer wieder Talente Platz: Arne Maier, Maximilian Mittelstädt, Jordan Torunarigha, aber auch extern hinzugeholte Jungprofis wie Niklas Stark, Valentino Lazaro oder Mitchell Weiser. "Ich habe immer Spieler geholt, neben deren Namen noch 'Entwicklungspotenzial' stand. Bei Hertha BSC musst du dich weiterentwickeln wollen."
Dardai hat also bereits bewiesen, Talenten zu vertrauen und sie in den Fokus zu rücken. Zudem hat er schon gezeigt, ohne großes Geld einen funktionierenden Kader mit Teamgeist und Leidenschaft aufstellen zu können – etwas, das Hertha seit Jahren abgeht und nun wieder dringend benötigt wird. Dass er sich voll mit Herthas neuem alten Weg identifizieren kann, sollte ihn und die restliche Vereinsführung zu einer Einheit schweißen – in Hinblick auf die letzten Jahre, in denen bei Hertha oft aneinander vorbeigearbeitet wurde, ein Faustfand.
Dardai ist auf den Hertha-Druck geeicht
"Er kennt jede Tür, kann sofort anfangen. Er kennt die Mannschaft und auch unseren Nachwuchsbereich sehr gut. Das waren ausschlaggebende Punkte, dass er sofort starten kann und keine Einarbeitungszeit benötigt", erklärte Sportdirektor Benjamin Weber Mitte April die Wiedereinstellung Dardais. Er hätte nun die exakt selben Worte wählen können, denn wie damals im Abstiegskampf steht Hertha unter großem Zeitdruck. Die neue Zweitligaspielzeit beginnt bereits am 28. Juli, es bleiben also nur wenige Wochen für die Saisonvorbereitung. Ein neuer Trainer hätte Zeit gebraucht, den Verein und seine Menschen kennenzulernen – Zeit, die Hertha nicht hat. Dardai hingegen kennt den Klub in- und auswendig und hat zudem mit der aktuellen Mannschaft zusammengearbeitet, weiß also bestens um ihre Baustellen.
Was Dardai ebenfalls bestens kennt, ist die Berliner Medienlandschaft. Nach 25 Jahren im Verein weiß der Ungar, wie er mit der Öffentlichkeit umzugehen hat. Steigt ein so großer Traditionsverein wie Hertha ab, müssen die Verantwortlichen – allen voran der Trainer – den öffentlich-medialen Druck moderieren können, um die Mannschaft in Ruhe arbeiten lassen zu können. Ohne Ruhe keine Entwicklung. So gehört in Herthas Situation die Kommunikationsstrategie genauso wie die Trainingsarbeit oder das taktische Geschick zu den elementaren Aufgabenbereichen des Übungsleiters. Ob mit einem markigen Spruch oder einer knallharten Analyse – Dardai weiß, wie er mit den Medien umzugehen hat. Als Vereinslegende verfügt er zudem über eine große Lobby bei den Fans, was zur Besonnenheit im Umfeld beitragen kann.
Der Mythos der Aufstiegsformel
"Wer aufsteigen will, muss mit viel Ballbesitz umgehen können", heißt es im Fußballdenken oftmals. Die Theorie: Als Aufstiegskandidat befinden sich Klubs stetig in einer Favoritenrolle, sodass es Lösungen im Ballbesitz gegen defensiv eingestellte Gegner braucht. Aufgrund dieser Annahme regen sich Zweifel an Pal Dardai – schließlich stünde der Ungar für disziplinierten Defensivfußball und nicht für kreatives Offensivspektakel. Die letzten Jahre zeigen jedoch: Es führen viele Wege in die Bundesliga.
Der SV Darmstadt 98, Arminia Bielefeld oder Stadtrivale Union Berlin – sie alle sind durch eigens starke Abwehrreihen und nicht durch einen klaren Offensivfokus aufgestiegen. Darmstadt und Zweitligameister Heidenheim lagen auf Rang acht und zehn der Ballbesitztabelle der 2. Bundesliga. Zwar ist eine gute Offensive sicherlich ein probates Aufstiegsmittel, doch kann diese völlig unterschiedlich interpretiert werden. So kehrte der FC Schalke 04 im vergangenen Jahr mit 72 erzielten Toren in die Bundesliga zurück, diese stammten jedoch nicht von einem dezidiert ausgestalteten Ballbesitzkonzept, sondern von einem deutlichen Flankenfokus auf Mittelstürmer und Lebensversicherung Simon Terodde.
Ob vertikaler Konterfußball, eine felsenfeste Abwehr, viel Dominanz oder präzise Flanken – in der 2. Bundesliga funktionieren unterschiedliche Strategien. Wirklich entscheidend ist, mit welcher Hingabe und Stringenz jene Konzepte umgesetzt werden. So kann auch der Dardai-Fußball im Unterhaus bei entsprechendem Kader zum Erfolg führen. Ob jener Erfolg realistisch der direkte Wiederaufstieg sein kann, wird die Zeit zeigen. Doch die letzten Jahre haben gezeigt: keiner kriegt es bei Hertha BSC besser hin als Pal Dardai.