Abschaffung der U17-Bundesliga der Juniorinnen - "Ein Armutszeugnis"

Mi 07.06.23 | 19:47 Uhr | Von Lars Becker
  2
Kapitänin Svenja Poock der U17-Juniorinnen von Hertha 03. (Bild: IMAGO / Lobeca)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.06.2023 | Lars Becker | Bild: IMAGO / Lobeca

2024 will der Deutsche Fußball-Bund die U17-Bundesliga abschaffen. Das Team von Hertha 03 Zehlendorf hätte dann keine Möglichkeit, weiter leistungsorientiert Fußball zu spielen. Als Alternative bliebe nur die Eingliederung bei den U15-Junioren. Von Lars Becker

Die abgelaufene Saison der B-Juniorinnen-Bundesliga Nord/Nordost war für das U17-Team von Hertha 03 Zehlendorf in jeder Hinsicht ein enormer Erfolg und ein prägendes Erlebnis: Rang drei in der Abschlusstabelle hinter Aurich und Meppen, die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft nur knapp verpasst, die beste Platzierung in der Vereinsgeschichte erzielt - noch vor den Nachwuchstalenten der Frauen-Bundesligisten Wolfsburg, Bremen und Union, vor dem HSV. Ein überragender Teamspirit, gefestigt nicht zuletzt durch die Auswärtsfahrten in den gesamten Nordosten der Republik, teilweise mit Übernachtung übers Wochenende. Ein Jahr, das sportlich wie persönlich bleibende Eindrücke und Erinnerungen hinterlässt.

DFB-Studie: Reform aus sportlichen Gesichtspunkten notwendig

Damit wird es nach der kommenden Saison im Sommer 2024 vorbei sein. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) will die deutschlandweit dreigleisige B-Juniorinnen-Bundesliga (BJBL) – unterteilt in Nord/Nordost, Süd und West/Südwest – im Rahmen seines "Projekt Zukunft" abschaffen. Das hat der Verband im März in einer Mitteilung an die Vereine bekanntgegeben. Offiziell ist das noch nicht, die (als sicher geltende) Zustimmung der Gremien steht noch aus. Die Reform, erklärt der DFB, diene der Förderung des Mädchenfußballs in Deutschland. Wirklich?

Bereits vor vier Jahren hatte der Verband eine Studie zum "sportlichen Nutzen der B- Juniorinnen-Bundesliga" in Auftrag gegeben. Das Resultat: Die Liga bringe keine Talente, vor allem keine Nationalspielerinnen hervor und deshalb sei der Aufwand unverhältnismäßig groß. Die Konsequenz daraus hat der DFB in eine 25-seitige, bunte Hochglanzbroschüre mit diversen Grafiken, Schaubildern und Reform-Vorschlägen verpackt. Der zentrale Satz: Die Evaluierungs-Ergebnisse würden zeigen, "dass eine Reform der B-Juniorinnen-Bundesliga aus sportlichen Gesichtspunkten nötig und eine Änderung der U17-Wettbewerbe sportlich sinnvoll ist."

Alternative Förderung mit Pokalwettbewerb und Leistungszentren

Im Zuge des Reform-Prozesses hat der DFB auch die Trainer der Bundesliga-Klubs um ihre Einschätzung gebeten. Stefan Herm, der Coach der U17 von Hertha Zehlendorf, die im Sommer mit der gesamten Mädchen- und Frauenfußball-Abteilung zu Hertha BSC wechseln wird, hat sich klar gegen eine Abschaffung der BJBL ausgesprochen: "Dagegen spricht, dass es derzeit ein funktionierendes Konstrukt ist, in dem talentierte Mädchen in Deutschland Fußball spielen, das sie motiviert, das sie zum Fußballspielen bringt, das sie beim Fußballspielen hält, und vor allem, dass es für viele derzeit keine Alternative gibt." Auch unter seinen Trainerkollegen, unterstreicht Herm, plädiere eine deutliche Mehrheit klar für den Erhalt der BJBL: "Die Trainer sagen, das ist ein guter Wettbewerb auf hohem taktischem Niveau, ein Wettbewerb, der die Mädchen fördert und fordert."

Die Abschaffung der BJBL knüpft der DFB an eine Bedingung: Damit der Mädchenfußball weiter "in der Spitze und flächendeckend alternativ gefördert wird", sollen Förder- und Leistungszentren für den weiblichen Nachwuchs gegründet werden, die verschiedene Kriterien erfüllen müssen und über ein Punktesystem bewertet werden. Wie genau und bis wann die Zentren entstehen sollen, bleibt unklar. Die Fördersumme des DFB für das neue Modell soll sich am bisherigen Budget für die BJBL orientieren.

Poese: "Ich sehe das Niveau nicht"

Außerdem will der Verband einen zusätzlichen, bundesweiten Pokal-Wettbewerb initiieren. Für Zehlendorfs Coach Stefan Herm ein untauglicher Ersatz: "Ich glaube nicht, dass man ein funktionierendes Liga-Konstrukt, wo man zweimal im Jahr in Hin- und Rückrunde gegeneinander spielt, dadurch ersetzen kann, dass man lokale Pokalrunden macht, die man am Ende zu irgendeinem Finale hinführt". Und wozu, wundert sich Herm, brauche man einen Wettbewerb, in dem Teams "im schlimmsten Fall gleich am Anfang ausscheiden".

Die sportliche Wertigkeit der vor der Abwicklung stehenden BJBL schätzt Ailien Poese ganz anders ein. Die frühere Spielerin und jetzige Trainerin der Regionalliga-Frauen des 1. FC Union war zuvor mehrere Jahre für den Frauen- und Mädchenfußball im Berliner Fußball-Verband verantwortlich und parallel Co-Trainerin der deutschen U16 und U17 Nationalteams. Vor der Rückkehr zu Union hat Poese ein Jahr hauptamtlich für den DFB gearbeitet: "Ich habe in meiner DFB-Tätigkeit Spiele der BJBL gesehen, und ich sehe das Niveau nicht. Entweder haben die Spielerinnen schon 2. Frauen-Bundesliga gespielt oder eben bei den Jungs und nur ganz wenige absolute Top-Talente in der BJBL. Das ist ein klares Zeichen", begründet Poese ihr Plädoyer für die Abschaffung der BJBL.

Kontroverse Debatte: Eingliederung bei den Jungs sinnvoll?

Die U17-Teams, so sieht es das DFB-Reformpapier vor, sollen zukünftig entweder in regionalen oder lokalen Ligen spielen oder sich bei den U15 Junioren eingliedern. Für Ailien Poese liegen die Vorteile im Jungs-Spielbetrieb auf der Hand: "Dann haben wir kürzere Wege, mehr Wochenende, mehr Zeit für Schule. Ich muss nicht durch die ganze Republik fahren, um dann ein Spiel zu absolvieren, sondern ich habe wirklich gute Bedingungen zu Hause", betont Poese.

Alle Mannschaften, "die ich kenne und die das heute schon tun", entgegnet Stefan Herm, "haben damit erhebliche Probleme." Als Beispiel nennt er die U17 von Turbine Potsdam: "Die spielen jetzt ganz unten in der Platzierungsrunde der Brandenburger Landesliga-Jungs. Das ist in jeder Hinsicht ein unattraktiver Wettbewerb. Obwohl die Jungs auf relativ niedrigem fußballerischem Niveau sind, verlieren die Mädchen die meisten Spiele knapp, aufgrund körperlicher Unterlegenheit. Das motiviert niemanden und ist als Alternative nicht so wahnsinnig prickelnd", argumentiert Herm.

Der gelegentliche Blick "in traurige Gesichter"

Der Turbine-Nachwuchs – in besseren Zeiten fünfmal deutscher U17 Meister – ist 2022 aus der BJBL abgestiegen. In diesem Jahr hat es den 1. FC Union erwischt. Beide Teams waren jeweils sportlich nicht konkurrenzfähig. Und beide Klubs erklärten nach dem Abstieg, sie würden ohnehin lieber gegen Jungs spielen, um Robustheit, Zweikampfhärte, Tempo und Handlungsschnelligkeit ihrer Mädchen-Teams zu schulen.

Johannes Brunzlow hat Turbine erst nach dem Abstieg als Trainer übernommen, er kann das Niveau im Ligabetrieb nicht mit der BJBL vergleichen. Den Wettbewerb seiner U17-Mädchen gegen U15-Jungs betrachtet Brunzlow differenziert: "Das Modell ist durchaus darstellbar", betont der Coach. Seine Spielerinnen hätten sich in der Auseinandersetzung mit den Jungs weiterentwickelt, würden lernen, sich zu behaupten, Widerstände und Rückschläge zu überwinden. Und wäre Turbine "mit einem reinen U17-Kader angetreten", also nur mit dem älteren Jahrgang, "wären auch die Ergebnisse andere gewesen." Zudem haben jeweils zwei Spielerinnen den Sprung in den U15- bzw. U16 Kader des DFB-Nationalteams geschafft.

Er verfolge, betont Brunzlow, mit seinem Team auch gegen die Jungs einen spielerischen Ansatz, aber natürlich seien die Mädchen gelegentlich frustriert, von deren körperlicher Überlegenheit. Er schaue dann manchmal "in traurige Gesichter". Neben dem Punktspielbetrieb bei den Jungs seien Testspiele gegen Mädchenteams auch enorm wichtig, damit seine Spielerinnen einen echten Vergleich zur eigenen Spielstärke ziehen können. Denn darin sind sich beide Trainer einig: Johannes Brunzlow und Stefan Herm sprechen sich klar für einen "dualen Ansatz" aus.

Keine Chance auf leistungsorientierten Mädchen-Fußball im Nordosten

Während es im Westen und Südwesten der Republik unterhalb der BJBL Regionalligen und Oberligen gibt, existiert in den sechs Bundesländern des Nordostens kein übergreifender regionaler Unterbau. Der zuständige Nordostdeutsche Fußball Verband (NOFV) hat sofort klar gemacht, dass sich daran auch nichts ändern wird. Kein Interesse. Bedeutet: Außer Hertha Zehlendorf, Union und dem möglichen Bundesliga-Aufsteiger Viktoria fehlt im Berliner Mädchen-Fußball jegliche auch nur annähernd gleichwertige Konkurrenz.

Für den Mädchen-Leistungs-Fußball in Berlin bedeutet die Abschaffung der BJBL das Ende. Es bleibt nur die Möglichkeit – wie vom DFB zukünftig vorgegeben und von Union bereits zur kommenden Saison umgesetzt – die U17-Teams bei den U15-Jungs in der Verbandsliga einzugliedern. Stefan Herm hat dort vor seinem Engagement im Mädchenfußball zwei Jahre trainiert: "Da kann ich aus eigener Anschauung sagen: Unfassbar körperlicher, intensiver Wettbewerb, dem U17-Mädchen aus meiner Sicht nicht gewachsen sind." Chancengleichheit bestehe dann nicht mehr.

Elite-Förderung für die Spitze oder breite Ausbildung?

Ailien Poese sieht bei der zielgerichteten Talente-Förderung weniger die Verbände als vielmehr die Vereine in der Pflicht, für die notwendigen Rahmenbedingungen zu sorgen und so die Talente mit guter Arbeit an den Leistungssport heranzuführen: "Ich würde nicht pauschal sagen, jede, die bei den Mädchen spielt, hat nie eine Chance. Das ist auch totaler Quatsch. Aber wir müssen dahin kommen, dass wir individuell begleiten, dass wir wirklich Top-Talente fördern“, fordert Poese. Und in den letzten Jahren sei die Anzahl der Mädchen, die in Jungs-Mannschaften spielen, deutlich gewachsen, auch in den Auswahlteams des BFV mache sich das zunehmend bemerkbar. Manche Nachwuchs-Kickerinnen wollten verständlicherweise lieber in Mädchen-Teams spielen, "aber die Frage ist: Können sie sich dann international durchsetzen und können sie sich nach oben hin durchsetzen?"

Diese Sichtweise stört wiederum Zehlendorfs Trainer Stefan Herm: "Offensichtlich gibt es beim DFB den Gedanken, dass wir im Mädchen- und Frauen-Fußball nur eine ganz kleine, elitäre Spitze hervorbringen wollen", kritisiert Herm. "Schon heute hören die Mädchen, die in der DFB-Sichtung sind von den Trainerinnen und Trainern: Du musst bei Jungs spielen! Also spielen sie dann irgendwann auch bei Jungs, wenn sie in die Nationalmannschaft wollen, obwohl sie vielleicht lieber bei den Mädchen spielen würden und sich da möglicherweise auch nicht schlechter entwickeln würden", sagt Herm mit Blick auf seine Spielerinnen und prominente Vorbilder aus der jüngsten Vergangenheit der BJBL. Nationalspielerinnen wie Klara Bühl, Lea Schüller, Sara Däbritz oder Jule Brandt haben in der U17-Bundesliga gespielt. Und eins ist Herm besonders wichtig: Leistungssport, das intensive Training und die sportliche Entwicklung, sollten auch mit Empathie vermittelt, mit Spaß und Freude begleitet werden.

DFB sollte sich BJBL zur Unterstützung des Mädchenfußballs leisten

In keiner anderen Sportart und in keinem anderen Land werden Mädchen quasi gezwungen mit Jungs zu kicken, wenn sie leistungsorientiert Fußball spielen, wenn sie "nach oben" kommen wollen. Geht es wirklich nur so? "Ein Armutszeugnis", findet Stefan Herm.

Der Zehlendorfer Coach befürchtet, dass die Reform sogar dazu führen könnte, dass talentierte Mädchen aufhören würden, Fußball zu spielen: "Das ist auch ein ganz schwieriges Werteverständnis. Wenn wir in unserem Land gerade sagen, wir wollen Frauen- und Mädchenfußball fördern, dann müsste man doch eigentlich sagen: Das ist eine Liga, die wir uns schon deshalb leisten, weil wir den Mädchen zeigen wollen, dass sich Leistungsfußball für Mädchen lohnt und wir ihn über so ein Ligakonstrukt vom DFB auch unterstützen." Dazu kommt, dass es im Gegensatz zu den Jungs bei den Mädchen keinen U19-Jahrgang gibt. Die B-Juniorinnen wechseln mit 16 oder 17 Jahren direkt in den Frauen-Bereich.

Die B-Juniorinnen von Hertha 03 Zehlendorf werden sich in der kommenden Saison, dann als Hertha BSC, zum letzten Mal in der U17-Bundesliga mit den Nachwuchstalenten von Wolfsburg, Bremen und Hamburg messen und die letzten gemeinsamen Auswärtsfahrten durch den Nordosten der Republik unternehmen. Anschließend wird das Kapitel B-Juniorinnen-Bundesliga Geschichte sein. Eine Frage wird bleiben: Hat der DFB, haben die Verbände wirklich ein ernsthaftes Interesse an einer sinnvollen, angemessenen und geschlechterspezifischen Förderung des Mädchenfußballs? Die Antwort lautet - entgegen allen Beteuerungen und Versprechungen: Leider nein!

Sendung: rbb24|Inforadio, 07.06.2023, 9:15 Uhr

Beitrag von Lars Becker

2 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 2.

    Wenn man ernsthaft Frauenfußball fördern will, heißt das auch das Fördern von Breitensport, der der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Elitenförderung kann man dann immer noch betreiben. Der DFB ist aber rechtlich gebunden, diese Grundversorgung sicherzustellen, er erhält umfangreiche staatliche Mittel dafür. Wie misogyn die Überzeugungen im verkrusteten DFB sind, kann man daran ablesen, dass er begonnen von der Jugendförderung bis zur Öffentlichkeitsarbeit für die Profis, nichts macht. Es gibt vom 20.07. bis 20.08. dieses Jahres eine Fußball-WM der Frauen. Kriegt es jemand mit? Nein. Keine Großereignisse, Public Viewing, Berichterstattungen, von denen geredet wird. Einfach nur peinlich.

  2. 1.

    Nicht jede Entscheidung im Rahmen des "Projekt Zukunft" führt den deutschen Frauenfußball auf hohes Niveau Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) will die deutschlandweit dreigleisige B-Juniorinnen-Bundesliga (BJBL) – unterteilt in Nord/Nordost, Süd und West/Südwest – im Rahmen seines "Projekt Zukunft" abschaffen. Das ist eine pure Fehlentscheidung. Die Gremien sollten diesen Unsinn stoppen.

Nächster Artikel