Kommentar | Abstieg in die 2. Liga - Turbine hat seinen Niedergang selbst verschuldet

Sa 13.05.23 | 18:05 Uhr | Von Lars Becker
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Turbine-Spielerin Jennifer Cramer blickt in eine ungewisse Zukunft. (Bild: IMAGO / Matthias Koch)
Audio: rbb24 Inforadio | 13.05.2023 | Lars Becker | Bild: IMAGO / Matthias Koch

Mit dem 1:5 gegen Leverkusen ist Turbine Potsdam aus der Frauen-Bundesliga abgestiegen. Die erfolgreichen Zeiten des Traditionsklubs mit Titeln und Pokalen waren schon länger vorbei - nun hat der Niedergang einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ein Kommentar von Lars Becker

Das ist ein trauriger, ein ganz bitterer Tag für Turbine und seine Fans, für die Stadt Potsdam und für den gesamten Frauenfußball in Deutschland. Turbine Potsdam, über Jahrzehnte einer der prägendsten und erfolgreichsten Klubs in Deutschland, steigt aus der Bundesliga ab. Sechs DDR-Meisterschaften, sechs weitere Meistertitel im vereinten Deutschland plus drei Pokalsiege und zwei Champions League-Triumphe verschwinden in der Zweitklassigkeit. Gerade noch Pokal-Finalist und nur knapp an der Qualifikation für die Champions League gescheitert - und ein Jahr später komplett abgestürzt. Das muss man erstmal hinkriegen.

Versäumnis professionelle Strukturen zu schaffen

Aber die Katastrophe ist nicht über Nacht gekommen. Sie hatte sich über einen längeren Zeitraum angedeutet und schließlich wie eine Lawine beschleunigt - durch zwei parallele Entwicklungen: durch gravierende Versäumnisse und Fehler bei Turbine und eine grundlegende Veränderung im Frauenfußball.

Bereits in den Erfolgsjahren bis 2012 unter Bernd Schröder hatte es der Verein versäumt, moderne und professionelle Strukturen zu schaffen. Gleichzeitig übernahmen mit Wolfsburg und den Bayern die ersten Frauen-Teams von Männer-Bundesligisten die Macht - mit deutlich höheren Etats und ganz anderen Möglichkeiten -, während die finanziell zunehmend abgehängten Turbinen in einer immer kleiner werdenden Nische werkelten. Auch die Kooperation mit Hertha BSC wurde von beiden Seiten nur halbherzig betrieben und die Nachwuchsarbeit auf dem Potsdamer Sportinternat - ein wesentlicher Faktor der Erfolgs-Ära - brachte immer weniger Talente hervor.

Ein Leuchtturm verabschiedet sich

Die Beschleunigung des Niedergangs war dann komplett selbstverschuldet: Abgänge von Führungsspielerinnen, Trainer-Entlassung, Rücktritt des Präsidenten, zerstrittene Gremien, fehlende sport-fachliche Kompetenz, heilloses Chaos. Der Absturz war nicht mehr aufzuhalten. Und der Deutsche Fußball-Bund zeigt wenig Interesse, die Traditionsklubs des Frauen-Fußballs zu unterstützen. Im Gegenteil: Der DFB verpflichtet die Männer-Bundesligisten mehr Geld in ihre Frauen- und Mädchen-Abteilungen zu investieren.

Die Zeit der reinen Frauen-Fußball-Vereine in Deutschland ist wohl abgelaufen. Wie in den anderen europäischen Top-Ligen, in England, Frankreich und Spanien, wo längst die Frauen-Teams der Groß-Klubs dominieren. Aktuell steigt RB Leipzig in die Bundesliga auf. Für Turbine ist da - leider - kein Platz mehr.

Ein Leuchtturm des Frauen-Fußballs in Deutschland verabschiedet sich von der großen Bühne. Vermutlich auf Nimmerwiedersehen. Wahrlich ein trauriger, ein ganz bitterer Tag.

Sendung: rbbUM6, 13.05.2023, 18 Uhr

Beitrag von Lars Becker

7 Kommentare

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  1. 7.

    Was gibt es da zu definieren: Wir leben in Deutschland in einer Gesellschaft, in der alte weiße Männer überproportional häufig in Führungspositionen zu finden sind. Und das ist erstens ein Problem, weil es anderen Bevölkerungsgruppen die Chancen nimmt, sich einzubringen und zweitens ein Problem, weil wichtige Sichtweisen fehlen. Gerade, wenn es um Frauensport geht, ist das ja eklatant sichtbar.

  2. 6.

    Alle Vorschreiber haben m.M.n.recht, was ihre Aussagen etc.betreffen. Ja, auch der Schalker mit seiner Kritik zum Konstrukt RBL.
    Aber was haben Sie immer mir „alten weißen Männerm“? Definieren Sie das doch bitte mal.

  3. 5.

    Und schön, dass der zweite Teil des Kommentars vom rbb nicht freigegeben wird ...

    Mittlerweise wohne ich selbst in Babelsberg, bin Vereinsmitglied und mir inzwischen bewusst, was da hinter den Kulissen läuft. Ungeachtet der äußeren Faktoren, liegt das Problem vor allem bei den vielen alten weißen Männern. Wer immer noch denkt, dass Spielerinnen vom Vereinspatriarchen Hilfe bei der kaputten Waschmaschine haben wollen, für wen „harte Schule“ ein besserer Trainingsbegriff ist als „zyklusbasierter Sport“, dessen Weltbild zerschellt (glücklicherweise) heutzutage an der Realität. Und wenn auch der Verein fast nur von ebenjenen alten weißen Männern geführt wird und Frauen keine Chance auf echte Mitbestimmung haben, dann ist es klar, dass junge Spielerinnen keinen Bock mehr auf Turbine haben.

  4. 4.

    An der "Zerstörung" seines Lebenswerk hat Bernd Schröder tatkräftig selbst mitgewirkt.
    Seit den frühen 10er Jahren war klar, das es einen Nachfolger braucht. Den wollte er selbst aussuchen und hat Achim Feifel nach einem halben Jahr aussortiert. Ein erster grosser Fehler: Er ist inzwischen etablierter sportlicher Leiter bei Leverkusen, die Potsdam heute abgeschossen haben. Danach fiel seine Wahl auf den Halbtagstrainer Rudolph - während der Frauenfussball in D gerade massiv die Professionalisierung antrat. Übrigens eine Entwicklung, die intensiv von den Spielerinnen gewünscht wurde - von Potsdam aber verpennt. Eine letzte Chance gab es bei der Vorstandswahl, als sich Tabea Kemme mit einem frischen Konzept bewarb, aber die auch von Schröder verhindert wurde. Es kam zum Exodus des Kaders und zum kompletten Chaos.
    Das hat alles nichts mit Leipzig oä Märchen zu tun und mit Ehre schon gar nicht. Das ist allein Ignoranz und Blödheit von Turbine. Und auch von Bernd Schröder.

  5. 3.

    Das Lebenswerk von Bernd Schröder ist unwiederbringlich zerstört. Und nur der Himmel weiß, ob Turbine jemals wieder 1. Liga spielen wird. Das dann ausgerechnet noch Sch...-RBL in die 1. Liga aufsteigt ist für mich einfach unerträglich. Jetzt ist auch der Frauenfußball entehrt. Macht's gut, Turbinchen. Danke für die schöne Zeit.

  6. 2.

    Ein trauriger Tag. Ich habe Turbine 2017 am Anfang meines Studiums kennen- und lieben gelernt, bin aus Falkensee zu den Spielen gependelt, habe mitbekommen, wie die Konkurrenz immer größer und mächtiger wurde und Turbine sich doch immer noch durchgeboxt hat. Ich habe das immer als emanzipatorisch bewundert, als reiner Frauenverein, als Verein aus dem finanzschwachen Osten so mitkämpfen zu können.

  7. 1.

    Volle Zustimmung zu diesem Kommentar.
    Ich war Anfang der Saison beim Pokalspiel gegen Viktoria und war angesichts der spielerischen Leistung von Turbine erschüttert. Schon da war klar, das es diese Saison ganz ganz schwer werden würde. Nun ist klar, man hat auch danach nichts, aber auch gar nichts mehr zum Besseren wenden können.
    Neben der sehr guten Zusammenfassung der Gründe des Absturzes im Kommentar von Lars Becker möchte ich aber noch eine Gruppe nicht aus der Verantwortung lassen: Das sind die Fans, die zugleich auch noch Vereinsmitglieder sind - Eben die Gruppe, die mit ihren verheerenden Entscheidungen auf den Versammlungen die falschen Weichen gestellt haben.
    In den social media, auch in den Kommentaren hier war immer wieder und sehr lange noch zu lesen, wie wenig Einsicht in die Realität dort vorhanden war und ist.
    Ich bin froh und dankbar, viele tolle Spiele mit vielen herausragenden Spielerinnen im Karli gesehen zu haben. Eine Epoche ist endgültig vorbei. Traurig.

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