1. Runde DFB-Pokal - Hertha BSC will sich gegen Jena den Ligafrust von der Seele schießen
Hertha BSC hat mit zwei Niederlagen einen Fehlstart in der zweiten Liga hingelegt. Am Samstag (13 Uhr) haben die Berliner die Chance, im DFB-Pokal gegen Carl Zeiss Jena Selbstvertrauen zu tanken. Der Regionalligist bietet jedoch Stolperpotenzial. Von Marc Schwitzky
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Der Nächste bitte. Mit Oliver Christensen verzeichnet Hertha BSC den insgesamt schon 17. Abgang des Transfersommers. Waren die vergangenen Jahre der Berliner bereits von größeren Umbrüchen geprägt, setzt der aktuelle aufgrund des Abstiegs in die zweite Liga neue Maßstäbe. Doch allmählich lichten sich die Reihen, Sportdirektor Benjamin Weber erzielt drei Wochen vor Transferschluss wichtige Fortschritte im Kader.
Allein in den vergangenen Tagen hat sich Herthas so aufgerütteltes Mannschaftsbild mehrfach verändert. Mit Haris Tabakovic hat die "alte Dame" einen neuen Mittelstürmer von Austria Wien verpflichtet, der 29-Jährige kam im Ligaspiel gegen Wehen Wiesbaden zu ersten Einsatzminuten und verpasste seinen Debüttreffer nur knapp. Im Gegenzug verließ Wilfried Kanga, vergangene Saison noch für fünf Millionen Euro aus Bern gekommen, Hertha auf Leihbasis zu Standard Lüttich.
Am Dienstag stellte Hertha mit Michal Karbownik zudem den bereits zehnten Neuzugang des Sommers vor. Der polnische Nationalspieler, der vom englischen Premier-League-Klub Brighton kommt, ist der bisherige Königstransfer der Blau-Weißen. Karbownik kann sowohl im zentralen Mittelfeld als auch auf beiden Außenverteidiger-Positionen spielen und wird somit ein wichtiger Kaderspieler für Trainer Pal Dardai sein.
Derzeit steht Dardai in jedem Pflichtspiel ein etwas neues Aufgebot an Spielern zur Verfügung. Alles ist bei Hertha in Bewegung. Auch gegen Carl Zeiss Jena dürfte es erneut zu mehreren Premieren kommen.
Der Gegner
Tatsächlich treffen Hertha BSC und Carl Zeiss Jena sehr regelmäßig aufeinander – allerdings in der Regionalliga Nordost, in der Jena seit dem Abstieg aus Liga drei im Jahr 2020 verweilt und wo es seitdem zu Begegnungen mit Herthas U23 kommt. Jena hat übrigens nur eins der sieben Aufeinandertreffen für sich entscheiden können.
Abseits jener Duelle präsentieren sich die Thüringer in der Regionalliga meist sehr souverän. Auf einen 4. Platz in der Saison 2020/21 folgte zweimal eine Vizemeister-Saison. Zum Wiederaufstieg in die 3. Liga hat zuletzt also nicht viel gefehlt. Auf eine zwischenzeitliche Delle reagierte der Verein im Januar 2023 mit der Verpflichtung von Ex-Bundesliga-Profi Rene Klingbeil als Cheftrainer. Mit dem gebürtigen Berliner, der in der Jugend bei BSC Marzahn spielte, gewann der dreimalige DDR-Meister den Thüringer Landespokal, der Jena die DFB-Pokalteilnahme und das Spiel gegen Hertha einbrachte.
"Allein mit Tabakovic hat Hertha einen Stürmer für etwa 500.000 Euro verpflichtet – das ist ungefähr unser gesamter Mannschaftsetat. Da kommt ein richtiges Brett auf uns zu. Wir können im Grunde eigentlich nur gewinnen. Wenn man zehn Spiele gegen sie macht, verlieren wir normalerweise neun. Wir haben keine Chance – und die wollen wir nutzen", schätzt Jena-Trainer Klingbeil gegenüber dem mdr die Wahrscheinlichkeiten auf eine Pokalüberraschung ein.
Vor allem die Heimstärke bereitet Jena die Hoffnung, eine Sensation zu feiern. Die Thüringer sind seit März 2022 im Ernst-Abbe-Sportfeld, das sich im Umbau befindet, ungeschlagen – die letzte Niederlage: ausgerechnet gegen Herthas Reserve. Seitdem folgten 21 Heimspiele in der Liga ohne Niederlage. "Wir wollen mit fast 12.000 Zuschauern dieses Event einatmen", erklärt Klingbeil. "Es wird eine brutale Energie in diesem Stadion sein. Das wird die Jungs tragen."
Zum Angeben
Vor beinahe exakt 30 Jahren – im Juli 1993 – ereignete sich ein ganz besonderes Spiel zwischen Hertha BSC und Carl Zeiss Jena. Der Tag des legendären Eigentores von Frank "Wuschi" Rohde. Damals begegneten sich die Vereine noch auf Augenhöhe zum Auftakt der Zweitligasaison. Allerdings hatte sich Hertha im Vorlauf personell so finanzkräftig verstärkt, dass kaum von Augenhöhe zu sprechen war. Unter anderem stand Frank Rohde neu auf dem Platz, der vom Hamburger SV zurück an die Spree gewechselt ist und direkt zum Kapitän ernannt wurde.
Hertha erzielte in der 42. Minute durch einen gut herausgespielten Treffer von Mittelstürmer Frank Schmöller das 1:0, eine nicht unverdiente Führung zu jenem Zeitpunkt. Sven Demandt verpasste kurze Zeit später nur denkbar knapp das 2:0 und damit die vermeintliche Vorentscheidung. Gastgeber Jena zog im zweiten Durchgang deutlich an und drängte auf den Ausgleichstreffer, Herthas Torhüter Walter Junghans hielt seine Mannschaft jedoch im Spiel.
Doch dann die 72. Minute: Abwehrspieler Rohde spielte einen handelsüblichen Rückpass zu Junghans. Der Torhüter wollte den Ball, ohne ihn vorher nochmal anzunehmen, direkt weit ins Feld pöhlen, verpasste das Spielgerät jedoch mit seinem Bein, das an ihm vorbei ins Berliner Gehäuse kullerte. Ein Slapstick-Tor erster Güteklasse, was jedoch vielmehr das holprige Geläuf als die technischen Fähigkeiten des Torwarts infrage stellte. Das kuriose Eigentor führte zum 1:1-Endergebnis.
Die Zuschauer der ARD-Sportschau bewiesen im Anschluss Humor und wählten den Treffer zum Tor des Monats. Weder Rohde noch Junghans holten sich damals die Medaille ab, erst 2011 wurden sie den Herthanern persönlich nachgeliefert. "Das Tor kann man unter der Rubrik Ulk verbuchen", sagte Rohde der Märkischen Allgemeinen trocken.
Die erwartete Aufstellung
Sowohl im Tor als auch im Mittelsturm wird es bei Hertha im Vergleich zum Ligaspiel zu Veränderungen kommen. Der bereits erwähnte Abgang von Torhüter Christensen wird zur Folge haben, dass der 20-jährige Tjark Ernst zum erst zweiten Profi-Pflichtspiel seiner Karriere kommen wird. "Wenn Tjark jetzt im Tor steht, dann hat er - glaube ich - nicht die optimalen Spielminuten hinter sich. Denn klar: Man braucht gerade als junger Spieler und Torwart Freundschaftsspiele, um Fehler zu machen. Denn dann lernst du aus diesen Fehlern, dass sie dir nicht mehr bei den wichtigen Spielen passieren. Aber gut, wir akzeptieren das nun so - und er hat das Vertrauen von uns als Mannschaft. Das ist wichtig", beurteilt Trainer Dardai die Personalie.
Nach der Verletzung von Florian Niederlechner wird Neuzugang Tabakovic sein Startelf-Debüt für Hertha feiern. Das war laut Dardai "die ganze Woche schon der Plan, das haben wir geübt. Und ich bin selber gespannt, was nun dabei herauskommt." Darüber hinaus wird Herthas Trainer wohl kaum rotieren, da die neu zusammengestellte Mannschaft gegnerunabhängig mehr gemeinsame Spielzeit braucht und das Pokalspiel keine englische Woche nach sich zieht.
So könnte Hertha beginnen: Ernst – Kenny, Leistner, Kempf, Dudziak – M. Dardai, Klemens – P. Dardai, Richter, Reese – Tabakovic
Prognose
Unter Pal Dardai ist Hertha BSC noch nie in der 1. Runde des DFB-Pokals ausgeschieden. "Wir wollen diese Tradition beibehalten", so der Ungar, der vor dem Spiel keinen Druck auf seiner Mannschaft spürt. Er stellt vielmehr die Entwicklungsschritte seines neu zusammengestellten Teams voran und glaubt, dass ein K.o.-Spiel im Pokal womöglich genau das richtige ist, um als Brustlöser für seine Spieler zu dienen.
Hertha ist aufgrund der individuellen Qualität der klare Favorit – doch im Pokal spielt dieser Aspekt oftmals eine untergeordnete Rolle. Gastgeber Jena ist die deutlich eingespieltere Mannschaft und wird aufgrund der immensen Heimstärke sehr selbstbewusst auftreten. Egal ob Hertha weiterkommen wird oder nicht – den Berlinern wird am Samstag alles abverlangt werden. Stolperpotenzial, das hat auch der Saisonstart in der Liga gezeigt, besteht in jedem Fall.
Der rbb|24-Tipp: Hertha tut sich schwer, feiert aber den ersten Saisonsieg und zieht knapp mit einem 2:1 in die nächste Pokalrunde ein.
Sendung: rbb24, 10.8.23, 18 Uhr