Die goldenen Zeiten - Als Hertha und Nürnberg den deutschen Fußball dominierten
Am Sonntag trifft Hertha BSC in der 2. Liga auf den 1. FC Nürnberg. Für Fans beider Lager ein schmerzhafter Anlass, denn es gab eine Zeit, in der die Vereine den deutschen Fußball dominierten. Von Fabian Friedmann
Wer eine absolute Ikone des Fußballs der 1920er Jahre sucht, der wird auf dem Gelände des 1. FC Nürnberg schnell fündig. Nach ihm ist das Vereinslokal benannt, dazu der Block 18 im Stadion, wo vor jedem Heimspiel ein Zitat auf der Anzeigentafel gezeigt wird, das nicht nur Nürnberger Fußball-Nostalgikern eine Gänsehaut beschert: "Es ist eine Ehre, für diese Stadt, diesen Verein und die Bewohner Nürnbergs zu spielen. Möge all dies immer bewahrt werden und der großartige FC Nürnberg niemals untergehen."
Heiner Stuhlfauth – die Club-Ikone
Der Mann, der diese pathetischen Worte 1929 einst gesagt haben soll, heißt Heinrich "Heiner" Stuhlfauth. Mit dem legendären Torhüter, Markenzeichen grauer Pullover und markante Schiebermütze, gewinnt der FCN fünfmal die Deutsche Meisterschaft (1920, 1921, 1924, 1925 und 1927). Was die Dominanz der Nürnberger Mannschaft und die Klasse von Stuhlfauth damals noch unterstreicht: Man bleibt in den Endspielen jeweils ohne Gegentor.
"Der 1. FC Nürnberg hatte wirklich die herausragenden Spieler dieser Zeit", sagt der Sporthistoriker Thomas Schneider. Neben Stuhlfauth ist da besonders Rainer Kalb zu nennen. Der Mittelläufer ist das Hirn der Mannschaft. Der große Sepp Herberger bezeichnet ihn als den besten deutschen Fußballer aller Zeiten. Kalb ist ein Typ, der sich gerne mit anderen Spielern und dem Publikum anlegt, ein Führungsspieler, genial am Ball und um keine Auseinandersetzung verlegen.
Erfolgsrezept Kurzpassspiel
Neben den starken Einzelkönnern ist aber auch die Spielanlage eine besondere auf fränkischer Seite: "Seit dem 1. Weltkrieg hatte Nürnberg ein sehr erfolgreiches Kurzpassspiel umgesetzt", erklärt Thomas Schneider: "Zusätzlich wurde das verfeinert durch das Engagement ungarischer Trainer, die einen sehr prägenden Einfluss hatten." Gyula Biro und Dori Kürschner aus der Budapester Fußballschule, damals europaweit in aller Munde, stehen für endlose Kurzpass-Stafetten, wodurch ihre Mannschaften förmlich den Ball "ins Tor tragen".
Die Dominanz der Nürnberger geht sogar so weit, dass die Spieler selbst nach der durchzechten Meisternacht 1921 am nächsten Tag Borussia Mönchengladbach bei einem Freundschaftsspiel mit 6:0 abfertigen. "Wir hatten so einen Kater und waren so kaputt, dass wir uns mit dem Ball nicht lange beschäftigen konnten“, erinnerte sich Heiner Stuhlfauth.
Rivalität mit der SpVgg Fürth
Aber auch die Rivalität mit dem traditionsreichen Nachbarn aus Fürth, in den 20er Jahren der größte deutsche Sportverein, motiviert den FCN zusätzlich und treibt die Spieler zu immer neuen Rekorden. "Diese Duelle hatten einen besonderen, lokalen Reiz, was sich auch auf die Spielstärke auswirkte, weil man immer versuchte, den anderen zu übertreffen“, erklärt Thomas Schneider.
1924 besteht die Fußball-Nationalmannschaft nur aus Spielern des 1. FC Nürnberg und der SpVgg Fürth. Zum Freundschaftsspiel nach Amsterdam reisen fünf Nürnberger und sechs Fürther Spieler nach Holland. Auswechselspieler gibt es damals nicht. Die Legende besagt, dass die Rivalität so groß ist, dass die beiden Mannschafts-Blöcke zwar im gleichen Zug fahren, allerdings in getrennten Waggons. Auf dem Spielfeld harmonieren die Spieler trotzdem bestens und die DFB-Auswahl gewinnt mit 1:0 – der erste Sieg gegen die Niederlande überhaupt.
Die "Plumpe" als Herthas Initialzündung
Dass ein großer Stadtrivale sportlich sehr anregend sein kann, erfährt auch Hertha BSC Ende der 20er Jahre. Spielt man zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eher eine untergeordnete Rolle in der Berliner Stadtmeisterschaft, auch aufgrund finanzieller Schwierigkeiten bedingt durch die Wirtschaftskrise und der Pacht für seine Spielstätte auf dem Schebera-Platz, beginnen durch die Fusion mit dem finanzkräftigen Berliner Sport-Club und dem Errichten des Stadions "Plumpe" am Gesundbrunnen die goldenen Jahre für Hertha BSC.
"Die Plumpe war für diese Zeit ein sehr großes Stadion, das eine besondere Atmosphäre aufwies", erklärt Thomas Schneider. "Dadurch, dass die Zuschauerränge sehr steil waren, schuf das die Atmosphäre eines Hexenkessels." Eine Stimmung, die Hertha für zahlreiche Heimsiege nutzen kann und dadurch immer mehr Zuschauer angezogen werden, weshalb das Stadion sukzessive ausgebaut wird.
Sechsmal in Folge im Endspiel
Ein weiterer Faktor für Herthas Aufschwung ist die Rivalität mit Tennis Borussia. "Das war zu der Zeit das Lokalderby schlechthin", sagt Schneider. "Tennis Borussia war ein sehr moderner Verein, der sehr bekannte Spieler in seinen Reihen hatte, unter anderem einen gewissen Sepp Herberger." Tennis Borussia treibt die Hertha förmlich vor sich her und die schafft es ihrerseits von 1926 bis 1931 sechsmal in Folge ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft.
Hier kreuzen sich auch 1927 erstmals die Wege mit dem 1. FC Nürnberg. Aber die Franken können das Finale verdient mit 2:0 für sich entscheiden. Die Revanche gegen die Clubberer gelingt zwar im Jahr darauf durch einen 3:2-Sieg im Halbfinale, doch der Finalfluch der Berliner hält an. Erst 1930 kann die Hertha ihren Meisterschafts-Traum verwirklichen. In einem dramatischen Finale gegen Holstein Kiel samt dreimaligem Rückstand gewinnen die Blau-Weißen in Düsseldorf mit 5:4 – auch dank zweier Tore von Johannes "Hanne" Sobek.
Sobek wird zur Hertha-Legende
Beim triumphalen Empfang tags darauf in Berlin am Bahnhof Friedrichstraße kommt der Verkehr durch die Menschenmassen zum Erliegen. "Es muss damals eine riesige Euphorie geherrscht haben in der Stadt", sagt Thomas Schneider. Das vielleicht berühmteste Foto in Herthas Vereinschronik entsteht: Ein lächelnder Hanne Sobek wird von seinen Fans auf die Schultern genommen und es kommt zu einem ausgelassenen Triumphzug durch die Stadt.
Ein Jahr später wird Hanne Sobek endgültig zur Hertha-Legende. Im Finale von Köln gegen den TSV 1860 München trifft er beim 3:2-Sieg abermals doppelt. "Neben seinen sportlichen Qualitäten muss es vor allem seine charakterlichen Stärken gewesen sein, die ihm ungeheuer hohes gesellschaftliches Ansehen gebracht haben", meint Sporthistoriker Schneider. Fairness und Bescheidenheit zeichnen ihn aus. Sobek verkehrt in höchsten kulturellen Kreisen. Schauspieler Hans Albers zählt zu seinen Freunden.
Als Trainer und Präsident von Hertha BSC hat Sobek weniger Glück. Die sportlichen Erfolge lassen sich für die Hertha nicht mehr wiederholen und die Deutsche Meisterschaft 1931 bildet das Ende der erfolgreichsten Jahre der Vereinsgeschichte.
Nach dem Krieg schwindet die Dominanz
Nach dem 2. Weltkrieg leidet Hertha unter den schlechten, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Aufteilung der Stadt in vier Besatzungszonen. Nürnberg wird zwar noch dreimal Meister (1948, 1961 und 1968), aber eine dominante Rolle können auch die Franken nicht mehr einnehmen. In den 70er Jahren spielt der FCN neun Jahre in Folge in der 2. Liga. Und genau dort treffen am kommenden Sonntag (13:30 Uhr) beide Mannschaften zum 50. Mal in einem Pflichtspiel aufeinander.
Aber egal in welcher Liga Hertha und Nürnberg gerade spielen, die Erinnerungen an die einst glorreichen Zeiten werden in beiden Vereinen so schnell nicht verblassen.
Sendung: rbb24, 20.10.2023, 21:45 Uhr