Ex-Union-Profi Laurenz Dehl - Ein Sechs-Minuten-Traum

So 18.02.24 | 18:17 Uhr | Von Johannes Mohren
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Laurenz Dehl im Testspiel gegen Bielefeld im Trikot des 1. FC Union Berlin. / imago images/Contrast
Bild: imago images/Contrast

Laurenz Dehl wechselte mit neun Jahren zu Union Berlin. Bei den A-Junioren war er Kapitän. Nun hat er den Klub verlassen, denn der Durchbruch bei den Profis glückte ihm nicht. Wie vielen Nachwuchsspielern bei den Köpenickern. Von Johannes Mohren

Es ist ein regnerischer Berliner Spätsommerabend. Das Olympiastadion erstrahlt - erstmals - in Union-rot. Und 22.159 Zuschauer sehen in der 86. Minute, wie die Nummer 29 auf der Auswechseltafel grün aufleuchtet. Laurenz Dehl kommt für Tymoteusz Puchacz. Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar, dass sich die Köpenicker gegen Kuopion PS aus Finnland für die Gruppenphase der Conference League qualifizieren werden. Die Partie trudelt also aus.

Der Wechsel ist eine klassische Randnotiz auf dem Spielberichtsbogen, für Dehl jedoch ein ganz besonderer Moment. "Das Spiel ist bei meinen Highlights weit oben mit dabei", sagt der heute 22-Jährige selbst, wenn er auf jenen 26. August 2021 zurückblickt. Sechs Minuten steht er auf dem Platz, ehe der türkische Schiedsrichter Halil Umut Meler das 0:0 abpfeift. Es ist Dehls Pflichtspiel-Debüt bei den Profis - in dem Verein, für den er damals bereits mehr als ein Jahrzehnt kickt. Und es sind sechs Minuten, die für ihn einmalig bleiben werden.

Laurenz Dehl wird im Conference-League-Qualispiel des 1. FC Union Berlin bei Kuopion PS eingewechselt. / imago images/Contrast
Der Moment der Einwechslung in der Conference-League-Quali. | Bild: imago images/Contrast

Elf Mal im Kader seit 2019

Denn - nach diesem sechsminütigen Fußball-Traum im roten Olympiastadion - schaute Dehl wieder nur zu, wenn es um etwas ging. Elf Mal war er ohne Einsatz im Kader, seit er 2019 zum Profi befördert wurde. Trotz zwischenzeitlichen Leihen zum Halleschen FC, den Bohemians Dublin nach Irland und Viktoria Berlin eine maue Bilanz. Und so entschied er sich schließlich vor wenigen Wochen für den endgültigen Wechsel.

12,5 Jahre nachdem Dehl 2011 von Blau-Gelb Berlin zum 1. FC Union gekommen war, endete also im Januar diese Zeit. Austria Klagenfurt heißt sein neuer Arbeitgeber. Der österreichische Erstligist verlieh ihn für die Rückrunde wiederum direkt an Viktoria Berlin in die Regionalliga Nordost. Was zunächst erstaunlich erscheint, wird leicht erklärbar in Zeiten, in denen Investoren-Netzwerke im Fußball mitmischen. Mit Zeljko Karajica haben beide Klubs denselben Hamburger Unternehmer als Gesellschafter.

Der Kampf um die "Minimal-Chance"

Leicht gefallen ist Dehl der Abschied nicht. Er hat gekämpft. Wieder und wieder. Im vergangenen Sommer dachte er schon an einen endgültigen Wechsel, "aber da hatte ich noch ein Jahr Vertrag und wollte unbedingt nochmal angreifen. Ich wollte die Minimal-Chance nutzen." Es klappte nicht. Und so schrieb er am 23. Januar auf Instagram emotionale Worte, um sich von seinen Unionern zu verabschieden. Inklusive eines Foto-Sliders, der von seiner Zeit im Klub zeugt.

"Wäre ich erst in der U17 zu Union gewechselt, wäre es vielleicht etwas anderes", sagt Dehl, "aber dadurch, dass ich schon als kleines Kind mit meinem Vater bei Union-Spielen war, hat der Verein einen riesigen Stellenwert bei mir". Nun sei es jedoch an der Zeit gewesen, "an mich selbst zu denken und an meine Karriere". Und für die braucht er zwingend Spielzeit.

Kein Groll gegenüber seinem Ex-Klub

Wieso er die bei Union nie bekam? Dehl antwortet überlegt und ohne Groll: "Als Verein musst du erfolgreich sein. Da kannst du nicht unbedingt auf die schöne Geschichte Rücksicht nehmen, sondern du musst halt performen", sagt er. Unions sportliches Märchen war für den Teamplayer Dehl daher ein Segen, für den Nachwuchsspieler Dehl aber - ohne dass er das selbst so sagen würde - gleichzeitig auch ein Fluch. "Je höher du gerade in der Bundesliga kommst, geht es um viel Geld. Da setzt du als Verein eher auf erfahrenere Spieler als auf junge."

Es sollte einfach in den letzten Jahren bei mir nicht der Fall sein, dass ich mich als Stammspieler entwickeln kann.

Laurenz Dehl

Natürlich sei er auch enttäuscht gewesen. "Klar hätte ich gerne die Chance bekommen, mich zu zeigen", sagt Dehl. Und doch sei der Verein wichtiger. Was oft eher als oberflächliche Fußballer-Floskel daherkommt, füllt er mit ehrlicher Überzeugung. Vielleicht weil Union Berlin für ihn eben mehr als ein Arbeitgeber war. "Ich möchte also gar nicht sagen: Man hat mir nie die Chance gegeben. Jeder Trainer hat dafür seine Gründe. Das sollte einfach in den letzten Jahren bei mir nicht der Fall sein, dass ich mich als Stammspieler entwickeln kann."

Unions Krux mit den Local Playern

Und doch zeigt sich an Dehl ein Problem, das Union (noch) hat: Die Entwicklung im Jugendbereich hinkt der der Profis hinterher. Durchlässigkeit zwischen Jugend und Senioren? Weitestgehend Fehlanzeige. Das neue Nachwuchsleistungszentrum soll dazu beitragen, dass sich das ändert, denn die Diskrepanz sorgt für spürbare Probleme.

So war Dehl für Union wichtiger, als es die Einsatzminuten vielleicht vermuten lassen. Er gehörte nämlich zu den Local Playern - einer seltenen Spezies in Köpenick. Zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr müssen sie drei Spielzeiten bzw. Jahre im Klub ausgebildet worden sein. Schon 2021 in den Conference-League-Playoffs gegen Kuopion PS hatten die Berliner nur zwei Spieler, die dieses Kriterium erfüllten. Neben Dehl war das in der Saison 2021/22 noch Fabio Schneider, der inzwischen in der Regionalliga beim FSV Luckenwalde spielt.

Der europäische Fußball-Dachverband Uefa fordert jedoch vier solcher Profis in den 25-Mann-Kadern für seine Wettbewerbe. Die unmittelbare Folge: Bei Union blieben gegen die Finnen notgedrungen zwei Plätze im Aufgebot unbesetzt. Auch in den Folgejahren hatte der Klub Probleme, in der Europa und Champions League das Local-Player-Kontingent zu erfüllen, ja er scheiterte daran. Mindestens ein Kaderplatz war deshalb stets frei.

"Großartige Erfahrungen"

Dass es nur einer war, lag eben auch an Dehl. In der Conference und der Champions League stand er jeweils in vier von sechs Gruppenspielen im Kader. Er reiste mit ins Stadion De Kuip nach Rotterdam oder ins Stadio Diego Armando Maradona nach Neapel. "Ich habe mich trotzdem bei jedem Spiel so vorbereitet, wie wenn ich spielen würde", sagt Dehl. Dazu kam es jedoch nie. Dennoch "waren großartige Erfahrungen für mich, da dabei zu sein".

Er denke "zum Beispiel noch oft an das Rückspiel in Neapel". Ein 1:1 erkämpften sich die Köpenicker dort, als in der Schlussphase der Ära Urs Fischer fast nichts mehr zusammenlief. Es war der historische erste Königsklassen-Punkt der Vereinsgeschichte. "Ich habe selten so eine Bank miterlebt", erinnert sich Dehl: "Die ganze zweite Halbzeit standen wir alle. Wir haben das Team gecoacht und gepusht. Da dachte ich: Das ist genau das, wofür Union ja auch stehen will und steht, dass die ganze Mannschaft hinter dem Verein steht."

Endlich wieder spielen

Und doch ist er froh, nun endlich wieder zu spielen. Woche für Woche. In den ersten drei Partien für Viktoria Berlin stand er seit Anfang Februar jeweils über die vollen 90 Minuten auf dem Platz, erzielte zwei Tore und bereitete ein weiteres vor. "Es fühlt sich sehr gut an. Man kann es als 'Start nach Maß' betiteln. Es ist so, wie man es sich immer vorstellt - aber es geht eben nicht immer so in Erfüllung", sagt der 22-Jährige. Es tue ihm richtig gut, "einfach wieder auf dem Platz zu stehen, wichtig für eine Mannschaft zu sein".

Laurenz Dehl jubelt im Trikot von Viktoria Berlin. / imago images/Matthias KochLaurenz Dehl bejubelt ein Tor im Trikot von Viktoria Berlin. (imago images/Matthias Koch)

Nun könnte sich auszahlen, dass er immer weiterarbeitete - auch in den schwierigen Phasen. "Ich hatte dadurch, dass ich nicht viel gespielt habe, natürlich mehr Energie, um andere Dinge zu machen", sagt Dehl. Während sich seine Teamkollegen teilweise im Drei-Tage-Rhythmus in Spielen verausgabten, nutzte er seine Power unter anderem im Kraftraum. "Generell habe ich einfach trotzdem probiert, an mein Limit zu gehen und mich zu pushen, weil ich wusste, dass auch bessere Zeiten kommen und ich wieder meine Chance kriege", sagt er.

Die hat er nun. Erst bei Viktoria Berlin und dann ab Sommer in Österreich. Er wolle sich weiterentwickeln und etablieren. Das Kapitel Union Berlin sei "erstmal aus dem Kopf raus", sagt er - und schiebt doch nach: "Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich irgendwann ein Pflichtspiel gegen Union spielen kann. Auch so ein bisschen um zu zeigen, was man draufhat."

Sendung: rbb24, 18.02.2024, 21:45 Uhr

Beitrag von Johannes Mohren

3 Kommentare

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  1. 3.

    Volle Zustimmung! Es war ein Fehler, die U 23 abzuschaffen: Sportlich ohne übergroßen Wert, aber hier kriegen die Jungen „Körperkontakt“ mit Männerfußball. Da zeigt sich dann rasch, wie viel ein Talent noch zulegen muss. Die U19 ist schön und gut, aber wenig Vergleichbarkeit mit 2. oder 1. Liga.
    Die alte Dame hat da vielleicht überlegter gehandelt, auch formschwankende Profis kann man da unterbringen und wieder ans Niveau ranführen. Herthas Beste (Netz, Ulrich, Mayer, Ngankam) sind ja immerhin schon mal Bundesliga. Brooks, die Boatengs, Ramelow, die Schmidt-Brüder und andere zeigen, dass es sich lohnt! Nicht ohne Grund werben RB, Bayern und Wolfsburg mit z.T. unlauteren Methoden um die besten Berliner!
    Auch für die Identität mit dem Verein unverzichtbar!
    Vielleicht denken die Rot- Weißen ja um…?
    Nur die U19 wird auf Dauer zu riskant, es sei denn, man klaut frech bei anderen!

  2. 2.

    Hertha macht ne sehr gute nachwuchsarbeit und das schon sehr lange. Bisher war es aber auch dort so, dass die besten der jungen Spieler auch nicht in der 1. Mannschaft zum Zuge kamen und mangels Perspektive abwandern. Dass sie jetzt zum Zuge kommen ist völlig okay, aber auch der finanziellen Situation der hertha geschuldet. Aber der eingeschlagene Weg ist richtig. Das wird, leider, be union noch etwas dauer. Zumindest bis das NLZ richtig arbeitet.

  3. 1.

    Das was in Berlin die Hertha voraus hat, ist die Arbeit mit der U23, die bei den Eisernen einst aus Kostegründen abgemeldet worden war.
    Spätestens seit der letzten Saison hätte Union gut daran getan, diese Nachwuchsmannschaft wieder neu aufzubauen, um langfristig auch den Erhalt in der Bundesliga und als Auffangbecken des NLZ zu untermauern. Der Berliner Weg der Hertha würde auch den Eisernen gut zu Gesicht stehen.
    Schade um die local Player.
    Eisernes HaHoHe

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