Analyse | Nach Auswärtssieg in Hoffenheim - Union Berlin kann sich entspannen
Der erste Auswärtssieg seit August verschafft Union Luft im Abstiegskampf. Die gute Nase des Trainers und die Leistung eines Sommerneuzugangs, der lange brauchte, um anzukommen, spielen dabei eine große Rolle. Von Till Oppermann
"Oh, wie schön ist Hoffenheim" – das hätte vor dem Spiel gegen die TSG in ihrem Stadion in Sinsheim direkt an der A6 wohl kein Unioner gesagt. Nach dem Sieg sah das anders aus. Obwohl die Partie wegen Spielunterbrechungen nach erneuten Protesten der mitgereisten Gäste gegen den DFL-Investorendeal mit der mittlerweile schon gewohnten halben Stunde Verzögerung abgepfiffen wurde, harrten viele der knapp 1.700 Unioner noch lange im Gästeblock aus und besangen ihren 1. FC Union Berlin. Im Fußball muss man die Feste eben feiern, wie sie fallen.
Das hatten in dieser Saison auch die einst so erfolgsverwöhnten Eisernen wieder lernen müssen. Der erste Auswärtssieg seit August verschaffte ihnen nach Monaten Luft im Abstiegskampf - acht Punkte Vorsprung auf Relegationsplatz 16 und neun auf den ersten direkten Abstiegsplatz. "In unserer Situation war der Sieg sehr, sehr wichtig", schlussfolgerte Innenverteidiger Kevin Vogt.
Die Macht der Serie
Trainer Nenad Bjelica war zu Scherzen aufgelegt, als er nach dem Spiel ans Mikrofon trat. Auf die Frage, was ihm der erste Auswärtssieg seiner Amtszeit bedeute, sagte er grinsend: "Jetzt haben die Journalisten eine Frage weniger vor den Auswärtsspielen". Seitdem er im November zu Union kam, wurde er spätestens alle zwei Wochen gefragt, wann es denn endlich wieder einen Sieg in der Fremde geben würde. Am Samstag war es so weit. Bjelica ist es damit gelungen, die letzte Negativserie zu brechen, die er von seinem zuletzt glücklosen Vorgänger Urs Fischer geerbt hatte. Für seine Arbeit bei Union ist das eine Zäsur.
Denn seine erste Mission hat der Trainer nun erfolgreich abgeschlossen: Seine Spieler müssen sich nicht mehr vor Zahlen fürchten. Die Mannschaft ist wieder stabil. Ihr Selbstvertrauen wächst. Auch wenn der fußballerische und rhetorische Abstiegskampf bei Union erst dann beendet sein wird, wenn auch wirklich nichts mehr passieren kann, beginnt jetzt eine Phase, in der sich in Köpenick alle etwas entspannen können.
Bjelica liest das Spiel richtig
Das hat viel mit einer Qualität des Trainers zu tun, die er in der zweiten Hälfte gegen Hoffenheim offenbarte. Bjelica ist in der Lage, Spiele richtig einzuschätzen und das Risiko abzuwägen. Seine Entscheidungen in Reaktion auf den Spielverlauf sind oft richtig.
Nachdem beide Mannschaften durch Gelb-Rote Karten für Hoffenheims Stanley Nsoki und Unions Kevin Volland in der zweiten Halbzeit zu zehnt spielen mussten, entwickelte sich ein Spiel, auf ein Tor. Ohne Volland fehlte Union ein Spieler, um Hoffenheims Passspiel im Mittelfeld zu stören. In der Folge verlagerten die Gastgeber das Spiel mühelos tief in die Union-Hälfte. Die meiste Zeit verteidigten alle fünf Berliner Abwehrspieler auf einer Linie den Strafraum. Union gewann wenige Bälle in guten Umschaltsituationen und wenn es mal gelang, war der Weg zu weit und die Offensive zu dünn besetzt, um gewinnbringend zu kontern.
Nenad Bjelica stellte sein Team trotzdem nicht auf Viererkette um, um das Mittelfeld zu stärken, sondern verließ sich darauf, dass seine zuletzt so stabile Abwehr auch in Hoffenheim alles wegverteidigen würde. Er behielt Recht: Hoffenheim schlug zwar viele Flanken, gefährlich wurden die Kraichgauer in dieser Phase aber nicht. "Wir laufen in der zweiten Halbzeit 99 Prozent auf ein Tor", sagte Hoffenheims Florian Grillitsch.
Dass seine Mannschaft trotzdem so spät verloren habe, sei deshalb einfach nur bitter, klagte er weiter. "Das ist Fußball", antwortete Nenad Bjelica. "Auch wenn du 30 bis 35 Minuten verteidigst, kommt irgendwann die Chance". Sie kam durch seine Joker Jerome Roussillon, Yorbe Vertessen und Brenden Aaronson. Oder wie Bjelica es formuliert: "Wir haben frische Spieler gebracht, weil wir gewinnen wollten."
Lucas Tousart ist der Gewinner des Frühjahrs
Dass das zum Zeitpunkt seiner Wechsel in der 66. Minute überhaupt noch möglich war, ist ganz besonders Lucas Tousart zu verdanken. Nachdem er in der Hinrunde nie so richtig ins Team fand, spielt der Franzose in letzter Zeit eine immer wichtigere Rolle im Mittelfeld des 1. FC Union. Nachdem Rani Khedira am Samstag bereits nach drei Minuten verletzt, ausgewechselt werden musste, übernahm Tousart dessen Position vor der Abwehr. Am Ende war er sowohl der lauf- als auch der zweikampfstärkste Spieler seiner Mannschaft.
Aber auch am Ball kann Tousart den Eisernen weiterhelfen. Immer wieder findet der Franzose die richtigen Räume, um das Spiel zu verlagern. Sollte Bjelica das Polster zu den Abstiegsplätzen nutzen, um seine Mannschaft in den nächsten Wochen etwas aktiver spielen zu lassen, könnte der Mittelfeldspieler dafür ein wichtiger Baustein werden. Zwar fehlt ihm die Dynamik, die Konkurrenten wie Alex Kral, Janik Haberer oder Torschütze Brenden Aaronson mitbringen. Seine Mischung aus einem guten Passspiel und der aufopferungsvollen Arbeit gegen den Ball steht der Mannschaft aber gut. Sollte Tousart weiter so gut spielen, würde er sich mit mehrmonatiger Verzögerung als guter Sommertransfer entpuppen.
Auch das ist sinnbildlich für die Saison des 1. FC Union Berlin. Nach einem Herbst, in dem bei den Köpenickern so gut wie gar nichts funktionierte und einem Januar, während dem Trainer Nenad Bjelica durch seine Unsportlichkeit gegen Leroy Sane für viel Unruhe sorgte, scheint die Saison nun doch noch versöhnlich enden zu können.
Sendung: rbb24, 17.02.2024, 21:45 Uhr