Playoff-Finale der Basketball-Bundesliga - Alba Berlins resilientes Kollektiv vor dem Duell mit Bayern München
Am Samstag startet Alba Berlin in seine Finalserie gegen den FC Bayern viele Verletzungen, Aufbauspieler-Armut und ein verrückter Spielplan machen die Berliner zum großen Underdog. Albas Kollektiv um Halbfinal-Held Matt Thomas will dem trotzen. Von Jakob Lobach
Als Matt Thomas am Donnerstagabend den schwersten, den entscheidendsten seiner Würfe traf, hielt es selbst Franz Wagner nicht mehr auf seinem Platz. Fünf Dreier hatte Alba Berlins Wurfspezialist bereits getroffen, als er 3:36 Minuten vor dem Ende zum Wurf hochstieg – mit der Hand des Gegners vor dem Gesicht, aus vollem Lauf und acht Metern Entfernung. Ein Foul in der Luft, ein Bauchklatscher aufs Parkett. Dort liegend sah Thomas wie sein Dreier butterweich durchs Netz glitt. Thomas blieb liegen, Eigengewächs und Weltmeister Franz Wagner sprang auf der Tribüne lachend aus seinem Sitz, Alba führte einen Freiwurf später mit acht Punkten.
Zehn Minuten später sicherten sich die Berliner mit einem 97:84-Sieg im entscheidenden fünften Halbfinale gegen Chemnitz den Seriensieg und den Einzug ins Finale. Neben einer 25-Punkte-Explosion von Matt Thomas entscheidend hierfür: große Resilienz, starke Nerven und gutes Timing. Nun wartet ab Samstag (20:30 Uhr, München) auf Alba die fünfte Finalserie gegen den FC Bayern München innerhalb der letzten sieben Spielzeiten. Wenngleich Alba sie nach nun erreichtem Saisonziel ohne großen Druck angehen kann, läge der Gewinn der Meisterschaft dennoch irgendwo zwischen einer großen Überraschung und einer kleinen Sensation.
Durch Widerstände zusammengewachsen
Alba gab am Donnerstag eine vielschichtige Antwort: Da war der 23-jährige Malte Delow, der diese Saison für die Berliner eine Art Aushilfs-Aufbauspieler ist. Am Donnerstag hatte Delow mit dieser Rolle nur punktuell zu kämpfen, füllte sie über weite Strecken sehr stark aus. Der gebürtige Berliner erzielte effizient 17 Punkte und organisierte Albas Spiel clever. Auch gegen den FC Bayern wird er die Hauptlast im Spielaufbau tragen.
Dann war da Johannes Thiemann, der trotz einer Knieverletzung über 20 Minuten auf dem Parkett stand und Alba in der ersten Halbzeit in Schlagdistanz hielt. Hinzu kam Jonas Mattisseck, der den Frust schwankender Spielzeit abschüttelte und in sieben Minuten sieben Punkte erzielte. Sie waren Teil eines Berliner Kollektivs, das am Donnerstag mehrfach Chemnitzer Führungen klein hielt und schließlich ausradierte. Ein Kollektiv, das laut Matt Thomas auch durch die ständigen Verletzungsprobleme der vergangenen Monate zu einem solchen wurde. "Wir hatten viele Widerstände in dieser Saison, sind dadurch aber zusammengewachsen", sagte Thomas nach Spielende, "und wir haben Wege gefunden, heute zu gewinnen".
Thomas muss man dabei als Teil eines Trios der zuletzt viel Gescholtenen hervorheben. Zu selten würde der NBA-erfahrene Thomas seine Wurfqualitäten zeigen und einbringen, hieß es im Saisonverlauf immer wieder – und das durchaus berechtigt. Aktuell aber ist Thomas auf den Punkt da: Am Dienstag hatte er Albas Comeback mit angeführt, am Donnerstag gewann er den Berlinern Spiel fünf. Mit drei Dreiern in zweieinhalb Minuten drehte Thomas Ende des dritten Viertels das Spiel, mit neun Punkten im Schlussviertel ließ er Alba davonziehen.
Wie die Sensation gegen Bayern gelingen kann
In den Finalspielen gegen den FC Bayern braucht Alba zwingend zumindest einen Teil dieser Offensivkraft. So wie die Berliner auch Sterling Browns Offensivkraft und die oft unsichtbare Arbeit von Justin Bean brauchen. Sie sind Part zwei und drei des Trios der viel Gescholtenen. Ohne die im Schnitt 15,4 Punkte von Brown in den fünf Halbfinals hätte Alba diese wohl nicht überlebt. Justin Bean erzielte in Spiel fünf zwar nur sechs Punkte, verteidigte aber leidenschaftlich, sicherte sich vier Steals und drei Rebounds – Beans oft unscheinbarer Einfluss auf Albas Spiel war klar erkennbar.
Nun zu den Dingen, die trotz alledem im Finale klar für den FC Bayern sprechen – angefangen mit dessen in Tiefe und Breite beeindruckend besetztem Kader. In Serge Ibaka ist ein 34-jähriger Center mit über eintausend NBA-Spielen das Herzstück des Münchener Spiels. Alle Berliner Big Man, inklusive des zuletzt verbesserten 2,21-Meter-Riesen Khalifa Koumadje, dürften Ibaka das Leben bestenfalls schwerer machen. Hinzu kommen drei deutsche Weltmeister in Andi Obst, Isaac Bonga und dem einstigen Alba-Kapitän Niels Giffey. Auch Spieler wie Leonardo Bolmaro, Carsen Edwards und Devin Booker können Spiele an sich reißen und entscheiden.
Ausgeruhte Bayern warten
Und abseits des individuell vielleicht besten Kaders in der Geschichte der Basketball-Bundesliga? Da wäre noch Trainer Pablo Laso, der mit Real Madrid zahlreiche Titel gewonnen hat und mit genau diesem Ziel letzten Sommer nach München kam. Da wäre die Tatsache, dass die Bayern nach ihrem 3:0 im Halbfinale gegen Würzburg mit immerhin fünf Tagen Pause in den maximal fünf Spiele und doch nur neun Tage langen Final-Marathon gehen. Alba hingegen mit nur einem Tag Pause und Vorbereitung sowie nach fünf Spielen in den letzten zehn Tagen. "Die Playoffs sind schlauchend, also müssen wir uns erholen. Aber es ist ein Finale, also werden wir bereit sein", sagte Matt Thomas am Donnerstag.
Allerdings bleibt die Frage, ob Alba die jüngste Belastung, die vielen Ausfälle und die Aufbauspieler-Armut mit taktischen Kniffen wie der Zonenverteidigung aus Halbfinale Nummer fünf kompensieren können? Die Frage, ob den Berlinern Bereitschaft, mentaler Fokus und ihre Geschlossenheit gegen die Frische, Qualität und Tiefe der Bayern reichen werden? Fest steht: Zuverlässige Leistungsträger und außergewöhnliche Leistungen, wie die von Matt Thomas am Donnerstag, sollten beziehungsweise müssen Teil von Albas Antworten auf diese Fragen sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.06.2024, 7:20 Uhr