Dax-Konzern - Betriebsrat: Siemens Energy kürzt im Berliner Schaltwerk erheblich weniger Stellen
Mit dem Abbau Tausender Stellen weltweit und Hunderter in Berlin wollte sich Siemens Energy auf Profit trimmen. Doch womöglich hat es der Ableger des Münchner Elektro-Riesen übertrieben. In Berlin bleiben mehr Jobs erhalten als gedacht. Von Jan Pallokat
- In zähen Verhandlungen wurde der Stellenabbau im Berliner Schaltwerk von Siemens bereits mehr als halbiert.
- Auch im Berliner Gasturbinenwerk sollen bis 2025 insgesamt 600 Jobs verschwinden - bislang.
- Wegen des Fachkräftemangels haben auch Konzerne zusehends Personalprobleme.
Der Stellenabbau bei Siemens Energy wird an seinen Berliner Standorten wohl deutlich niedriger ausfallen als geplant. Wie Rüdiger Groß, Betriebsrats-Chef im Spandauer Hochspannungs-Schaltwerk rbb|24 sagte, stehen dort nur noch knapp 200 Arbeitsplätze zur Disposition. Zuvor hatten Arbeitnehmer und Arbeitgeber monatelang über die Streichung von bis zu 400 der 1.200 Jobs verhandelt.
Siemens Energy hat seinen formalen Unternehmenssitz in München, wird aber von Berlin aus gesteuert. Die Unternehmensführung ließ eine Anfrage, ob die Zahlen zu den Stellenstreichungen noch aktuell sind, zunächst unbeantwortet.
Zwar ist der Stellenabbau am zweiten Berliner Produktions-Standort des Dax-Konzerns, dem traditionsreichen Turbinenwerk in Berlin-Moabit, bereits ein gutes Stück weiter. Dort hatte die Arbeitnehmerseite im Rahmen eines Einigungsverfahrens in den Abbau von gut 600 Arbeitsplätzen bis 2025 eingewilligt, so der Betriebsrat. Aber auch hier wächst der Druck, Entscheidungen zu überdenken - auch im Lichte des immer dramatischeren Fachkräftemangels.
Rotstiftprogramm nach Börsengang
Günther Augustat, Betriebsrats-Chef im Gasturbinenwerk, sagte, nach seinem Dafürhalten befinde sich die Konzernführung nun "in einem Erkenntnisprozess, wie wertvoll und immer wertvoller Mitarbeiter werden". "Und wir haben ja auch in der Vergangenheit aus vielen Restrukturierungen gelernt, dass die Probleme erst auftraten, wenn Mitarbeiter weg waren."
Die Abbau-Pläne sind Teil eines umfassenden Spar- und Umbauprogramms, das sich der Konzern kurz nach dem Börsengang 2020 verschreiben ließ. Das Unternehmen machte damals Verluste. Dem Rotstift zum Opfer fallen sollten nach diesen Plänen fast 8.000 der 90.000 Arbeitsplätze bei Siemens Energy weltweit. Fast 40 Prozent dieser Arbeitsplätze nämlich 3.000 sollten in Deutschland gestrichen werden, davon Hunderte in Berlin.
Sonderkonjunktur im Energiemarkt
Die zumindest in Deutschland nötigen langwierigen Verhandlungen darüber aber könnten nun den einen oder anderen Arbeitsplatz über die Zeit retten. Denn die Energiebranche erlebt derzeit in Teilbereichen eine Sonderkonjunktur. Reaktionen auf die Preis-Exzesse am Energiemarkt oder auch ein Umsteuern hin zu mehr Energie-Autarkie und diversifizierten Lieferquellen wie in Deutschland verstärken grundlegende Trends wie die klimapolitische "Energiewende" oder den Trend zur E-Mobilität. Im Ergebnis sind bestimmte Bauteile und Lösungen weltweit stark gefragt.
Im Spandauer Schaltwerk etwa könne sich das Werk aktuell vor Aufträgen kaum retten, berichtet Betriebsrat-Chef Groß: "Hier schreit alles nach Schaltern und neuen Energiequellen." Die Hochspannungs-Schalter aus Berlin schützen unmittelbar nach der Stromerzeugung das Verteilsystem vor Über- und Unterspannung. Sie leiten auch um, wenn bestimmte Stromtrassen überlastet sind.
Berliner Alleinstellungsmerkmal
In Berlin werden zudem neuerdings Schaltelemente gebaut, die ohne das üblicherweise als Isolierstoff eingesetzte Schwefelhexafluorid auskommen, das als besonders gefährliches Klimagas gilt. In ein, zwei Jahren komme zwar "Copy-Paste in Asien", mutmaßt Betriebsratschef Groß. "Derzeit aber sind wir mit unserer Vakuum-Technik allein auf der Welt."
Auch im Turbinenwerk war zuletzt viel von Zukunft die Rede. Die Großanlagen könnten bald ganz oder teilweise auf Wasserstoff umgerüstet werden. Um den Arbeitnehmern den Stellenabbau schmackhaft zu machen, bekam Berlin den Zuschlag für die Fertigung von Elektrolyse-Modulen. Mit denen können Industriekunden den Wasserstoff für hauseigene Kraftwerke künftig selbst produzieren - idealerweise mit regenerativ erzeugtem Strom.
Fachkräftemangel erreicht Konzerne
Gut möglich also, dass bald wieder viel mehr Mitarbeiter gebraucht werden, sollten die Innovationen zum weltweit nachgefragten Standard werden. Wie aber passt das zum Stellenabbau? Auf Anfrage erklärte Siemens Energy, der "2021 beschlossene Stellenabbau und der aktuelle Fachkräftemangel haben nichts miteinander zu tun". Nicht alle Stellen seien eine zu eins übertragbar. Dass es inzwischen aber auch für einen Siemens-Ableger immer schwieriger wird, geeigneten Nachwuchs zu locken, bestätigten indessen beide Betriebsräte.
In diese Kerbe hatte erst vorige Woche der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geschlagen. Bei der Vorstellung des jüngsten "Fachkräftereports" klagte DIHK-Fachmann Achim Dercks, der Mangel an Arbeitskräften, lange eher ein Problem kleiner und mitlerer Unternehmen, sei nun "bei den Großen" angekommen.
Gerade "Zukunftsbranchen" suchten oft vergeblich kluge Köpfe, so der DIHK weiter. Besonders schwer betroffen seien demnach Branchen wie Maschinenbau oder "Hersteller elektrischer Ausrüstungen". Gut zwei Drittel der befragten Betriebe aus dieser Branche klagten über Personalengpässe. "Das beeinträchtigt wichtige Transformationsaufgaben wie Elektromobilität oder erneuerbare Energien."
Sendung: rbb24 Abendschau, 17.01.2023, 19:30 Uhr