Strukturwandel in der Lausitz - Badeparadies in der Kohlegrube
Im einstigen Bergbaurevier in der Lausitz wächst seit Jahren eine Urlaubsregion heran. Hier soll Deutschlands viertgrößtes Seengebiet entstehen. Das lockt zunehmend Touristen in die Region. Von Karsten Zummack
Kinder bauen vergnügt Kleckerburgen, springen ins kühle Nass. Die meisten Strandkörbe sind belegt. Boote ziehen ihre Bahnen über den Senftenberger See. Und sogar der Strand glänzt hell, fast wie an der Ostsee. "Kinder haben Spielmöglichkeiten, wir sind schnell da. Es geht nicht besser", sagt Ilona Barchmann aus Bautzen. Sie kommt seit Jahren ins Lausitzer Seenland, diesmal mit Tochter und Enkeln.
"Badewanne der Sachsen"
Die Autokennzeichen rund um den Senftenberger See verraten: Viele Besucher kommen aus Brandenburgs südlichem Nachbarbundesland. Nicht ohne Grund wird das Gewässer gern als "Badewanne der Sachsen" bezeichnet. "Sie machen mehr als 50 Prozent der Gästegruppen aus", rechnet Martin Wolf vom Zweckverband Lausitzer Seenland Brandenburg vor. "Historisch bedingt ist das die Hauptzielgruppe".
Doch auch Urlauber aus Tschechien zieht es Wolf zufolge stark in die Region. Sie haben über die Autobahn von Prag und Dresden eine gute Verkehrsanbindung. "Außerdem lieben sie Aktivurlaub, haben zu Hause wenig Radwege und Seen", erklärt Wolf. Insgesamt verbuchte er im vergangenen Jahr mehr als 850.000 Übernachtungen im Lausitzer Seenland - 30 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Der Zweckverband betreibt selbst Stadthafen, Parkplätze, Radwege, Toilettenhäuschen sowie vier touristische Unterkünfte.
Seeluft statt Kohlegestank
Dazu zählt der Familienpark in Großkoschen (Oberspreewald-Lausitz), mit fast 220 Ferienhäusern und mehr als 500 Camping-Stellplätzen. Das Geschäft läuft offenbar bestens. "Die Unterkünfte sind in der Regel schon ein Jahr vorher ausgebucht", verrät Marketingfrau Dana Hüttner. Für die laufende Sommersaison ist nur noch ganz vereinzelt etwas zu bekommen. Dabei hat sich das neue Image auch 50 Jahre nach der Flutung der einstigen Kohlegrube zum Badesee noch nicht überall herumgesprochen.
"Viele verbinden Senftenberg immer noch mit Dreck und Tagebau", räumt Hüttner ein. Dabei sieht man von der Vergangenheit heute kaum noch etwas, heute mischt sich hier Seeluft mit dem Duft der Kiefern. Der Familienpark versucht, mit dem Sandstrand sowie vielen Angeboten für Kinder zu überzeugen. Einmal die Woche gibt es eine Förstersprechstunde, in der die Tiere des Waldes erklärt werden. "Unsere Gäste können hier Trampolin springen, Minigolf spielen, die Wasserrutsche nutzen", so die Marketingfrau.
Von dem zunehmenden Interesse am Senftenberger See profitieren natürlich auch Gastronomen. Gastronomen wie Uwe Schneider, der direkt an der Großkoschener Schiffsanlegestelle und nur ein paar Treppenstufen von der wohl beliebtesten Badestelle hier entfernt das "Strandidyll" betreibt.
Vor 25 Jahren übernahm der 66-Jährige das Lokal, nahm Kredite auf. Gewissermaßen eine Wette auf einen touristischen Aufschwung der Region. Das Risiko hat sich gelohnt, zumindest in den Sommerferien laufen die Geschäfte sehr gut. "Wir müssen aber in den vier, fünf Monaten das Geld für das ganze Jahr verdienen", so Schneider.
Vom Bergmann zum Seemann
Ähnlich geht es den zahlreichen Tourismusanbietern, die sich im ganzen Lausitzer Seenland mit seinen 20 Badegewässern auf der brandenburgischen und sächsischen Seite angesiedelt oder neu gegründet haben. Am Stadthafen von Senftenberg beispielsweise hat sich Tino Henßchen mit zwei Saunaflößen niedergelassen. Der 35 Jahre alte Jungunternehmer hat dafür seinen Job als Lokführer gekündigt. "Das Geschäft ist ganz gut angelaufen", so Henßchen.
Etwas länger am Markt ist bereits IBA Aktiv Tours. Eckhard Hoika hat die Firma bereits 2003 gegründet, vermietet unter anderem Räder, bietet Touren an. Dabei geht es auch um den Landschaftswandel der Region. Kaum jemand in der Umgebung kann davon so gut erzählen wie der 65-Jährige. "Ich habe hier gelernt, der Tagebau war immer mein Begleiter. Und meine ganze Verwandtschaft ist umgesiedelt worden", erklärt Hoika. Vom Bergmann zum Seemann quasi. Inzwischen hat er seinen Sohn, den es wie die meisten seiner Freunde eigentlich woanders hin verschlagen hatte, zurückgeholt in die Heimat.
Hoffnungsschimmer Großräschener See
Die Touristikfirma hat vorsorglich ein Büro am Großräschener See bezogen. Hier ist es noch deutlich ruhiger als in Senftenberg. Am Ufer wächst zwar Wein, es gibt ein kleines Café. Doch die Bootsstege sind bisher nur mäßig besetzt, an der sogenannten IBA-Terrasse ist von einem Urlauberansturm nichts zu sehen. Grund: Noch ist der See gewissermaßen Betriebsgelände, Restloch Meuro. Auch am hellen 900 Meter langen Sandstrand stehen noch "Betreten verboten!"-Schilder. Noch für diesen Sommer aber wird die Freigabe erwartet.
"Noch vor 30 Jahren war das hier eine staubige, trockene Gegend. Es gab tote Bäume", erinnert sich Uwe Steinhuber vom Bergbausanierer LMBV. Jetzt sei mit dem See hier ein Kleinod entstanden. Experten und Touristiker warten nun sehnsüchtig darauf, dass es so richtig losgeht. Dann, so die Hoffnung, dürften auch rund um Großräschen (Oberspreewald-Lausitz) neue Unterkünfte öffnen. Denn noch fehlen gerade im Sommer Übernachtungsmöglichkeiten. "Wir haben viel Potenzial", betont der Vizechef des grenzübergreifenden Tourismusverbandes Lausitzer Seenland, Marcus Heberle. Wie viele Menschen der Region ihr Geld inzwischen mit dem Tourismus verdienen, wurde noch nicht erhoben.
Wellness als Touristenmagnet im Winter
Noch ist das Lausitzer Seenland ein reines Sommerziel. Fast jedenfalls. Denn es gibt Bestrebungen, auch zu anderen Jahreszeiten Touristen anzulocken. Zum Beispiel im Senftenberger Wellnesshotel "Seeschlösschen". Die Luxusherberge fällt schon von außen mit seiner Natursteinfassade ins Auge. Drin stehen antike Ledersessel, hängen von der Decke Kronleuchter.
In den vergangenen Jahren hat Inhaber Maik Zander zudem vor allem in den Wellnessbereich investiert. "Die Auslastung bleibt dadurch das ganze Jahr über relativ stabil und gleichmäßig“, resümiert der Hotelier. "Urlaub an der ehemaligen Tagebaukante: Das funktioniere im Lausitzer Seenland schon ganz gut", so Eckhard Hoika. Sicher werde es auch mal Schwierigkeiten geben. "Aber man sieht, dass es jedes Jahr vorwärts geht", so der ehemalige Bergmann und jetzige Touristiker.
Sendung: rbb24 Inforadio, 20.07.2024; 09:45 Uhr