Mehr große Investitionen in Bayern - Berlin und München: Welche Stadt macht das Rennen als Start-up-Metropole?
Start-ups aus Bayern haben zum ersten Mal mehr Wagniskapital eingesammelt als junge Unternehmen aus Berlin. Bröckelt der Mythos der Gründermetropole an der Spree? Ein Blick nach München zeigt, was Berlin von den Bayern lernen kann. Von Efthymis Angeloudis
Start-up-Geldgeber aus dem Ausland, die Investment-Trips nach Deutschland planten, hatten früher vor allem ein Ziel: Berlin. Der Reiz von Aufbruchstimmung, Neumachen und Techno – ganz zu schweigen von den vielen jungen, kreativen Köpfen – reichte weit. Bis über den Atlantik: Oft kamen die Investoren aus den USA. "Jetzt fliegen sie vielleicht doch erst nach München", sagt Barbara Mehner, Leiterin des Start-up-Inkubators Xpreneurs, aus der bayerischen Landeshauptstadt im Gespräch mit rbb|24 – und muss sich dabei schwer anstrengen, ein Lächeln zu verkneifen.
Hinter dieser Anekdote steckt allerdings mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit. Start-ups aus Bayern haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal mehr Risikokapital eingesammelt als Gründer aus Berlin. Mit über 2,3 Milliarden Euro flossen fast ein Drittel aller Start-up-Investitionen in den Freistaat. Berlin kam im Länder-Vergleich mit rund 2,2 Milliarden Euro hingegen nur auf Platz zwei. Das zeigt eine Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY).
Berlin verliert Spitzenplatz im Länderranking
Fünf der Top-Ten mit den größten Investitionssummen kamen laut Studie aus Bayern, zwei aus Nordrhein-Westfalen und je eins aus Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg. Der Münchner Softwareentwickler Helsing erhielt zum Beispiel 450 Millionen Euro an Risikokapital. Der Online-Übersetzungs-Anbieter Deepl aus Köln sammelte 277 Millionen Euro ein, der Halbleiter-Hersteller Black Semiconductor aus Aachen 250 Millionen Euro.
Und Berlin? Fehlanzeige. Die vermeintliche Gründermetropole an der Spree verlor den Spitzenplatz im Länderranking. EY erklärte den Verlust mit dem deutlichen Rückgang bei E-Commerce-Investitionen, der traditionellen Stärke des Standorts [tagesschau.de].
Standortvorteil durch Industrie und Gesetz
Ganz woanders lag der Fokus im Freistaat. "Wir sehen seit Jahren eine gute Entwicklung im Münchner Ökosystem, besonders im Bereich Deep-Tech: KI, Wasserstoff, Space-Tech", erklärt Franziska Teubert, Geschäftsführerin beim Start-up-Verband. Das seien "alles Themen, die in München und an der Technischen Universität TUM stark gefördert werden".
Diese Deep-Tech-Start-ups brauchen aber große, starke Unternehmen und Industrie als Kunden - und das haben sie laut Mehner von Xpreneurs vor allem in München. "Siemens, BMW, SAP – also die ganzen großen Firmen. Und das gibt es in Berlin einfach nicht in diesem Ausmaß."
Der Standortvorteil neben den Großkonzernen erklärt aber nicht von allein, was in München alles anders läuft. "Der Wissenstransfer in die Wirtschaft steht hier oben auf der Agenda – zum Beispiel im bayerische Hochschulinnovationsgesetz – das zahlt sich jetzt aus", sagt die Berlinerin Teubert. "Berlin könnte sich hier ein Beispiel nehmen."
Vor allem aber brauche die Hauptstadt eine zentrale Anlaufstelle für Gründer, wo alle Fragen beantwortet werden können – "ein gemeinsamer Ort für das Start-up-Ökosystem."
Kleines München, zersplittertes Berlin
In eben so einem Ökosystem arbeitet Barbara Mehner. Ihr Inkubator Xpreneurs ist Teil des Hubs Unternehmertum, laut "Financial Times" das beste Gründungszentrum in Europa, gefolgt von Hexa in Brüssel und dem britischen Setsquared. Im Münchner Unternehmertum nehmen jährlich 5.000 Menschen an den Gründungsprogrammen teil. Dabei entstehen 50 neue Start-ups. Inzwischen beschäftigt das Zentrum mehr als 400 Personen – viele davon im "Munich Urban Colab", einer gemeinsamen Initiative der Landeshauptstadt München und Unternehmertum unweit des Münchner Olympiaparks.
Zu zersplittert, zu kleinteilig wirken im Vergleich die Zentren in Berlin, wo Universitäten - ob HU, FU oder TU - ihre eigenen Gründungszentren aufgebaut haben.
"Man muss natürlich der Fairness halber sagen: München ist etwas kleiner, es ist leichter, gut zusammenzuarbeiten, wenn es übersichtlicher ist", ergänzt Mehner. "Aber es braucht auch Leute, die das bewusst zusammentreiben und die immer wieder Brücken bauen."
Isar Valley wie Silicon Valley
Im selben Gebäude nur zwei Stockwerke unter Mehner arbeitet Arno Eggers, Leiter der Webseite "Munich Startup". "Wir werden nicht zu Unrecht Isar Valley genannt, also so ein bisschen wie das deutsche Silicon Valley", erklärt Eggers halb stolz, halb ironisch. "Hier kommen sehr viele internationale Konzerne zusammen und der Tech-Bereich wird in München einfach sehr stark gefördert."
"Munich Startup" zum Beispiel, das von der Stadt München in Zusammenschluss mit der IHK, den Gründungszentren und den Münchner Universitäten entwickelt wurde. "Angefangen hat alles mit einer Karte, auf der jedes Münchner Start-up eingetragen wurde", sagt Eggers dem rbb. Entwickelt hat sich die Seite in ein offizielles Start-up-Portal für München und die Region, in dem Nachrichten, Akteure und Ideen zusammengebracht werden und das vor allem für Sichtbarkeit sorgt.
Eben der Punkt, bei dem Teubert vom Start-up-Verband Nachholbedarf für Berlin sieht. "Berlin muss sichtbarer werden, sich besser vermarkten und die Akteure des Ökosystems enger zusammenbringen."
Freundschaftlicher Wettbewerb
Die Sichtbarkeit von Seiten wie "Munich Startup" könnte, so Eggers auch anderen Städten helfen. "Die Stadt Hamburg hat zum Beispiel mit unserer Zusammenarbeit etwas Ähnliches aufgesetzt: 'Startup City Hamburg'." Man dürfe aber nicht unterschätzen, dass acht Mitarbeiter für die Webseite auch Geld kosten würden. Geld, das in der Hauptstadt an allen Ecken fehlt.
"Berlin hat in den letzten Jahren stark von Start-ups profitiert – es entstanden Arbeitsplätze und wachsende Unternehmen", sagt dazu Franziska Teubert. "Wenn die Stadt weiterhin an der Spitze bleiben will, muss der Regierende Bürgermeister die Wirtschaftspotenziale von Start-ups als Priorität anerkennen."
Sonst dürfte sich nunmehr München als Gründermetropole der Republik etablieren. "Alles nur freundschaftlicher Wettbewerb", merkt Barbara Mehner an. Um konkurrenzfähig zu sein, brauche Deutschland mehr als nur einen Standort: "Wenn Berlin plötzlich ganz schwach wäre, dann hätten wir alle gemeinsam ein Problem."