Kunstmuseum in Berlin - 100-stündige Hannah-Arendt-Lesung nach pro-palästinensischem Protest abgebrochen
Im "Hamburger Bahnhof" sollte eine 100-stündige Lese-Performance eines Arendt-Textes enden. Doch die Veranstaltung in Berlin wurde von propalästinensischen Protesten und Hasstiraden gestört - bis die Künstlerin abbrach. Jetzt ermittelt die Polizei.
Nach propalästinensischen Protesten ist die 100-stündige Performance-Lesung eines Textes der jüdischen Publizistin Hannah Arendt (1906-1975) im Berliner Kunstmuseum "Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart" am Sonntag abgebrochen worden.
Nach Schilderung der beiden Museumsdirektoren Sam Bardaouil und Till Fellrath war die Performance "Where Your Ideas Become Civic Actions (100 Hours Reading "The Origins of Totalitarianism")" der kubanischen Künstlerin Tania Brugueras am Samstag zweimal von einer Gruppe politischer Aktivisten gestört worden.
Die Museumsleitung habe eine Anzeige wegen Beleidigung erstattet, sagte eine Polizeisprecherin dem rbb am Montag. Nun sollen Zeugen befragt und Videomaterial gesichtet werden. Erst danach könne man einschätzen, ob die Beleidigungen einen rassistischen, israelfeindlichen oder antisemitischen Hintergrund haben.
Hassreden bei Vorlesung
Im Verlauf der Veranstaltung war unter anderem ein Dialog mit dem Publikum vorgesehen. In diesem Teil der Performance seien aus einer etwa 20-köpfigen Gruppe heraus am Nachmittag Hassreden gehalten worden. Beim zweiten Vorfall am Abend kehrten die rund 20 Personen den Angaben zufolge zurück und beleidigten einen der Vorleser und einen der Museumsdirektoren mit Hasstiraden.
Der erste Teil des Protestes soll laut Bruguera geplant worden sein. In dem zweiten ungeplanten Protest sei es dann zu der "Störung" der Veranstaltung gekommen sein, hieß es auf der Instagram-Seite der Künstlerin.
Unter diesen Umständen sei der offene Dialog, der mit dieser Performance beabsichtigt gewesen sei, nicht mehr möglich, so die Direktoren. Am Sonntagmorgen beschloss die Künstlerin, die Performance zu beenden, um sich gegen Hassreden und jede Form von Gewalt zu wehren.
"Wir respektieren und stehen voll und ganz hinter der Entscheidung der Künstlerin und lehnen jede Form von Hassrede und Gewalt kategorisch ab", so Bardaouil und Fellrath auf ihren Instagram-Kanälen. Der Schritt sei notwendig gewesen, um die Sicherheit der Teilnehmer der Performance zu schützen.
Roth: "Kein Platz für Hass und Hetze"
Kulturstaatsministerin Claudia Roth verurteilte die Attacke. "Hass, Antisemitismus, Rassismus und solche Formen von Gewalt sind absolut inakzeptabel und haben im Raum der Kunst und auch überall sonst nichts zu suchen", sagte die Grünen-Politikerin am Sonntag. "Dieser üble Antisemitismus und Rassismus richtete sich offenkundig auch noch direkt gegen eine jüdische Kulturschaffende, die kubanische Künstlerin sowie einen Leiter des Hamburger Bahnhofs." Roth begrüßte rechtsstaatliche Konsequenzen für die Urheber. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger sprach von unerträglichen antisemitischen Provokationen.
Bruguera musste die Performance 2015 zu Hause unter Arrest realisieren. Mit der Aufführung in Berlin wollte sie "die Kraft von Kunst und Aktivismus zeigen".
Die Jüdin Arendt musste 1933 selbst aus Nazi-Deutschland emigrieren. Sie schrieb ihre Analyse über Ursprünge und Entwicklung des Nationalsozialismus kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung Deutschlands. Wenige Jahre später ergänzte sie das Werk mit den Besonderheiten des Stalinismus.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.02.2024, 19:00 Uhr