Sonderausstellung im DDR-Museum - Die Ostsee als Sehnsuchtsort und schwer bewachte Außengrenze
Für viele Menschen in der DDR war die Ostsee das beliebteste Reiseziel - unvergesslich besungen von Nina Hagen. Gleichzeitig war sie ein schwer bewachtes Grenzgebiet. Das DDR-Museum in Berlin widmet ihr eine Sonderausstellung. Von Mira Schrems
In der Vitrine des DDR-Museums in Berlin verblassen Nina Hagens Erinnerungen an den hochstehenden Sanddorn am Strand von Hiddensee nicht. All den von ihr im Schlager "Du hast den Farbfilm vergessen" von 1974 geäußerten Befürchtungen zum Trotz. Neben dem Original-Album von Nina Hagen & Automobil liegen ein paar Farbfilme der DDR-Marke Orwo drapiert.
Auch eine Reproduktion des Gemäldes "Am Strand" (1962) von Walter Womacka, einem der bekanntesten DDR-Künstler, hängt dort. Darauf betrachtet ein blonder junger Mann seine brünette Begleitung im roten Oberteil, beide kauern nebeneinander im Sand und berühren sich an den Händen. Im Hintergrund branden die Wellen der Ostsee.
Die Ostsee – Sehnsuchtsort und zugleich Ende der Welt
"Die am häufigsten gedruckte Reproduktion der DDR", sagt Sören Marotz, der Ausstellungsleiter des DDR-Museums in Berlin-Mitte. Das Bild hätten sich die DDR-Bürger:innen in ihre Wohnzimmer gehängt, um den Mythos vom "Sehnsuchtsort Ostsee" zu bedienen.
Sehnsucht nach dem Meer gibt es nicht erst seit Neuestem zur Urlaubszeit, Caspar David Friedrich beispielsweise befasste sich bereits im 19. Jahrhundert damit. Die Deutschen wollten schon immer gerne ans Meer. Diese Sehnsucht sei in der DDR durch die Grenzsituation doppelt aufgeladen gewesen, sagt Sören Marotz. Für die DDR-Bürger:innen endete an der Ostseeküste nicht nur die DDR, sondern auch der für sie erreichbare und vor allem bereisbare Bereich.
Patrouillenflüge an der Außengrenze der DDR
Die Ostsee war allerdings nicht nur als Reiseziel wichtig für die DDR. Unter anderem durch den dortigen Fischfang war sie auch ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Und entlang der Ostsee verlief im Rahmen des Warschauer Paktes die Außengrenze zur NATO, weswegen sie auch militärisch relevant war.
In der Ausstellung liegen, neben einer Sandburg aus feinstem Ostsee-Sand, ein Pilotenhelm und ein Druckanzug. Eine großformatige Fotografie aus dem Bestand des ehemaligen Piloten Frank Schröder hängt im Hintergrund: Ein Suchoi-"Su-22"-Jagdbomber der Nationalen Volksarmee (NVA) auf Patrouillenflug, nur wenige Hundert Meter über einem beliebten Badestrand der Halbinsel Mönchgut auf Rügen.
Schröder war vor 35 Jahren Pilot des in Laage-Kronskamp stationierten Geschwaders. Er sagt über seine Zeit an der Ostsee: "Wir sind dort Patrouille geflogen. Es ging vor allem eher um Übungen in extrem geringer Höhe. Wir haben dann auch den Einsatz von Waffen geprobt, nördlich von Usedom." Dort hätten zwei oder drei Wracks im Wasser gelegen, auf die sie Betonbomben geworfen hätten. An einen tatsächlichen Krieg habe er aber nie gedacht. "Das war mehr oder weniger Routine, Alltag", sagt Schröder.
Die Ostsee als Fluchtroute aus der DDR
Grenzschutz bedeutete in der DDR allerdings nicht nur die Verteidigung nach Außen, sondern auch das Verhindern von "Republikflucht". Nächtliche Strandbesuche an der Ostsee waren deswegen verboten.
Dennoch versuchten immer wieder DDR-Bürgerinnen und Bürger die Flucht übers Meer - in mehr oder weniger seetauglichen Booten, zum Teil sogar schwimmend. Mehr als 4.500 Menschen wurden beim Fluchtversuch über die Ostsee vom Grenzschutz abgefangen. Mindestens 170 DDR-Bürger:innen starben beim Ostsee-Fluchtversuch, mehr als 900 waren erfolgreich.
Und so war die Ostsee auch eine Fluchtroute, die einige Menschen aus der DDR hinaustrug. Für die meisten blieb die Ostsee aber vor allem eines: ein Sehnsuchtsort, für den man auch mal einen Farbfilm aufbrauchte - wenn man ihn nicht, wie Nina Hagens "Micha", vergessen hatte.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.07.2024, 18.55 Uhr