Radikalisierte Gefährder - Die neuen Potenziale islamistischer Extremisten am Rand der Metropole
Das Verbot des Vereins al-Salam und zwei Verdachtsfälle islamistischer Anschlagsplanungen: Das Thema Islamismus beschäftigt Brandenburg in diesem Jahr verstärkt. Allein mit Zahlen aber lässt sich die Gefährdung hier nicht belegen.
SEK-Einsatz, Absperrungen und Bilder vermummter Sonderkräfte vor einem Wohnhaus: Eine Festnahme Mitte Oktober in Bernau (Barnim) sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Wegen des Verdachts, einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin zu planen, war in Bernau vor zehn Tagen ein Mann in seiner Unterkunft überrascht und inhaftiert worden.
"Islamistisch motivierte Anschlagspläne" soll der Verdächtige verfolgt haben. Die Lokalpolitik und die örtliche Polizei konnten sich kaum äußern - hier ging es um die Angelegenheiten des Landeskriminalamts. Islamismus in Bernau? Erfahrungswerte auf diesem Feld des radikalen Islamismus sind in Brandenburg gering - verglichen jedenfalls mit einigen westdeutschen Bundesländern oder Berlin. So lautet die klare Einschätzung des Islamwissenschaftlers Caspar Schliephack. Er berät die Fachstelle Islam, die zu den wichtigsten Akteuren in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit Brandenburgs gehört.
Von allen in Deutschland als radikal islamisch eingestuften Personen leben weniger als ein Prozent in Brandenburg. Dies lässt sich aus Zahlen ableiten, die der Verfassungsschutz im Jahr 2023 meldete. Im Bereich Rechtsextremismus beträgt das von Behörden so bezeichnete Personenpotenzial in Brandenburg - nach Erhebungen des Potsdamer Innenministeriums - mehr als das 13-fache. Die aktuelle Entwicklung allerdings ist eine alarmierende und nicht nur an Zahlen festzumachen.
Vorfälle, die eine Entwicklung belegen
Allein der zweiten Jahreshälfte 2024 häuften sich die islamistischen Verdachsfälle in Ost-Brandenburg: So soll ein 15-jähriger Junge aus Frankfurt (Oder) in Kontakt mit einem Terrorverdächtigen aus Wien gestanden haben - also dort, wo im August drei Taylor-Swift-Konzerte wegen möglicher Terrorgefahr abgesagt werden mussten. Mitte September dann wurde das islamische Zentrum al-Salam in Fürstenwalde verboten. Das Innenministerium hatte bei dem Verein eine Nähe zur Muslimbruderschaft und zur Terrororganisation Hamas vermutet. Dazu kam dann der Vorfall in Bernau. Sowohl der 15-jährige als auch der Mann aus Bernau sollen im Kontakt mit der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) gestanden haben.
Zwar sei islamischer Extremismus - allein auf die Zahlen reduziert- in Brandenburg ebenso wie in ganz Deutschland ein geringeres Problem als Rechtsextremismus, sagt Radikalisierungforscher Julian Junk vom Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) dem rbb. Doch liege das besonders große Gefährdungspotenzial von Islamismus für die Demokratie vor allem in der öffentlichkeitswirksamen Inszenierung von Gewalt. Laut Junk ergibt sich hier für die Ermittler eine besondere Situation, weil eben durch dieses Drohung der Gewalt die Bevölkerung verunsichert werde.
Konzentration bislang auf Gewaltgefahren durch rechte Extremisten
Konzentriert hatten sich die Behörden in Brandenburg bislang auf die Gewaltgefahren aus dem rechtsextremistischen Lager: Das Violence Prevention Network etwa ist mit seinen Aussteigerprogrammen zur Deradikalisierung extremistischer Akteure in ganz Deutschland unterwegs, in Brandenburg mit dem Projekt "Exchange Brandenburg". Ein Sprecher des Netzwerks sagte dem rbb, dass es in Brandenburg bisher nur Fälle im Bereich Rechtsextremismus und nicht im Bereich religiös motivierten Extremismus gegeben habe.
Ein genauer Blick auf die vergangenen Jahre aber deutet auf die Entwicklung, die mit der Verhaftung in Bernau erstmals deutlich wurde: Seit 2013 befinden sich jährlich immer mehr islamistisch radikalisierte Personen in Brandenburg – ihre Zahl stieg von 30 bis zur letzten Erhebung des Brandenburger Verfassungsschutzes im April 2023 auf 210. Im deutschlandweiten Verhältnis aber ist dies noch immer sehr gering: Von insgesamt 27.200 Radikalisierten gehen die Behörden hier für die gesamte Bundesrepublik aus.
Islamwissenschaftler Caspar Schliephack verweist darauf, dass das Thema in Brandenburg ab 2015 in den Fokus gerückt sei, also in dem Jahr, als die Fluchtmigration in Deutschland zu einem bestimmenden Thema in Politik und gesellschaftlichem Diskurs wurde. 2017 sei dann im Rahmen des Handlungskonzeptes "Tolerantes Brandenburg" die Fachstelle Islam ins Leben gerufen worden. "Bei unserer Arbeit ging es zunächst darum, Fragen zu beantworten und bezüglich des muslimischen Lebens, das da entstanden ist, zu begleiten." Dabei gehörte es auch zum Auftrag der Fachstelle, über den Unterschied zwischen "Islam" und "Islamismus" aufzuklären. Schliephack erkennt außerdem in den letzten zehn Jahren Zeichen, dass sich die islamistischen Szenen in allen deutschen Bundesländern breiter aufgestellt und ihre Bestrebungen intensiviert haben.
Suche nach Anhängern in strukturschwachen Gemeinden
So versuchten laut Schliephack Islamisten, in strukturschwachen Gemeinden Brandenburgs mögliche Anhänger zu finden. Außerdem würden sich islamistische Influencer immer mehr in sozialen Medien etablieren. Der Wissenschaftler verweist zudem darauf, dass der Nahost-Konflikt "viel Mobilisierungs- und Radikalisierungspotenzial" mit sich bringe: "Hinzu kommt die islamistische nordkaukasische Szene in Ostdeutschland und speziell in Brandenburg."
Der Wissenschaftler warnt davor, die Themen Islamismus und Flucht grundsätzlich zusammenbringen zu wollen, denn die Ansprache von islamistischen Akteuren richte sich an ganz unterschiedliche Zielgruppen – etwa "mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, bildungsnah, bildungsfern, an Minderjährige und Erwachsene". Was sich aber im Wesentlichen verändert habe in den zurückliegenden Jahren, sei eine stärkere Zugänglichkeit der islamistischen Netzwerke auch in ländlichen Räumen. Grund dafür sei die Nutzung von Online-Kanälen. Islamisten nutzen für die Rekrutierung verschiedene Kanäle auf sehr innovative Art und Weise, so Schliephack - entsprechend ihrer Zielgruppe und den möglichen Radikalisierungsgründen. "Das kann auch Menschen ganz ohne Migrationsgeschichte betreffen."
In Brandenburg käme neben der Netz-Ansprache - zum Beispiel über Plattfomen wie TikTok - auch die Nähe zu Berlin dazu. "An der Bahnstrecke nach Berlin tauchen besonders viele islamistische Verdachtsfälle auf", sagt er. Das physische In-Kontakt-Treten mit islamistischen Netzwerken im nächsten Schritt werde durch diese Berlin-Nähe vereinfacht.
Mit Material von Felicitas Montag und Georg-Stefan Russew
Sendung: Antenne Brandenburg vom rbb, 29.10.2024, 14 Uhr