Drastische Steigerungen - Pflegeheim-Kosten überfordern immer mehr Familien
Wer im Alter nicht mehr selbstständig leben kann, muss oft in ein Pflegeheim ziehen. Doch nicht nur der Verlust der Autonomie schmerzt, sondern auch die enormen Kosten: Die liegen in Berlin jetzt schon bei rund 3.000 Euro – und steigen weiter. Von Jenny Barke und Anja Herr
Odette Bereska schiebt ihre demenzkranke Mutter Gilda durch den kleinen Garten der Seniorenresidenz in der Bölschestraße in Berlin-Friedrichshagen. Es ist ein milder, sonniger Herbsttag. Ab und zu hebt die Tochter ein buntes Blatt auf und gibt es ihrer Mutter in die Hand. "Das ist ja wunderlich", flüstert die 83-jährige Gilda Bereska dann strahlend. Seit ihrem Schlaganfall vor zweieinhalb Jahren lebt sie in diesem Heim, das immer teurer wird.
Zu Beginn lag die Zuzahlung bei 2.700 Euro pro Monat. Doch es gab bereits mehrere Erhöhungen um insgesamt knapp 22 Prozent. Im nächsten Jahr sollen nochmal jeden Monat 400 Euro dazukommen. "Das ist gigantisch. Mehr als 1.000 Euro innerhalb von zwei Jahren", sagt Odette Bereska, und wirkt dabei etwas verzweifelt. "Wo soll das enden, vor allem wenn die Generation der Babyboomer ins Heim muss?", fragt sie.
Zuzahlungen in Heimen steigen stark
Andere Bewohner können sich die hohen Zuzahlungen gar nicht mehr leisten, müssen ihren Heimplatz längst über Sozialhilfe finanzieren lassen. Die 89-jährige Margot Kunkel lebt auch in dem Heim, hat ihr Leben lang als Schneiderin gearbeitet. Aber alles, was sie gespart hat, und ihre komplette Rente gehen für die Zuzahlungen drauf, wie sie sagt - zusätzlich ist sie auf Sozialhilfe angewiesen. Pro Monat bleiben ihr nur rund 120 Euro. Davon zahlt sie zum Beispiel Friseur und Fußpflege. Übrig bleibt nichts.
Ihre Enkelin Doreen, die zu Besuch ist, findet das ungerecht: "Wir leben in einem Sozialstaat – aber sozial ist das nicht", sagt sie. Als Krankentransport-Fahrerin erlebe sie mit, dass viele ältere Menschen eigentlich einen Heimplatz bräuchten, aber das Geld dafür nicht hätten. "Sie sagen mir: Ihre Rente reicht nicht für einen Heimplatz. Oder: Ich will nicht all mein Erspartes da reinstecken", sagt Doreen Kunkel. Manche schämten sich auch, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen - "und das, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben", sagt Kunkel.
Manche Heime melden Insolvenz an
Deutschlandweit steigen die Zuzahlungen in Heimen. Nach Angaben einer Untersuchung der Krankenkasse AOK waren es 2017 noch durchschnittlich rund 1.750 Euro pro Monat, mittlerweile sind es weit über 3.000 Euro. Grund sind laut Heimbetreibern steigende Löhne, höhere Lebensmittelpreise und Anschaffungen bedingt durch die Inflation, sowie steigende Kosten für Instandsetzungen und Investitionen.
Die Leistungen, die die Heime von der Pflegekasse erhalten, stagnieren dagegen - so kommt es zu einer Schieflage. Aus Sicht der Pflegeheim-Betreiber ist es wirtschaftlich notwendig, die Zuzahlungen zu erhöhen, um zu überleben. Einige Heime sind bereits gescheitert: Allein in Berlin haben im vergangenen Jahr laut Senat 13 Einrichtungen aufgegeben. Dabei wächst die Zahl der Pflegebedürftigen immer weiter.
Sozialhilfe-Empfänger werden nicht aufgenommen
Auch die Seniorenresidenz in der Bölschestraße, in der Gilda Bereska und Margot Kunkel leben, muss die Zuzahlungen erhöhen. Momentan liegen sie bei durchschnittlich 3.257 Euro, je nach Pflegegrad kann es auch mehr sein. Ab 2025 kommen 400 Euro dazu, bestätigt der Heimleiter Matthias Küßner. Der Grund: Höhere Kosten bei Personal, Material und Handwerksleistungen, und die Inflation. Dabei spare das Heim schon an vielen Stellen, sagt Küßner. "Wasserflaschen haben wir zum Beispiel abgeschafft, wir regeln das jetzt über die Trinkwasserleitung."
Zusätzliche Sozialhilfe-Empfänger nimmt er gar nicht mehr auf - er könne es sich nicht leisten, sagt er. Denn pro Bewohner und Jahr zahlen Sozialkassen etwa 1.600 Euro weniger als Selbstzahler – Geld, das das Heim dringend braucht. Menschlich finde er es schlimm, Sozialhilfe-Empfänger nicht anzunehmen, sagt er. Aber er sehe sich dazu gezwungen.
Beratungsbedarf bei Pflegestützpunkten nimmt zu
Mittlerweile sind 14 seiner Heimbewohner bereits auf Sozialhilfe angewiesen, da sie sich die Erhöhungen nicht mehr leisten können. Zwar erhalten die Pflegebedürftigen seit 2022 einen Zuschuss von der Pflegekasse. Je länger die Bewohner im Heim leben, desto höher ist dieser Zuschuss, auf den sie Anspruch haben. Im ersten Jahr erhalten Pflegebedürftige 15 Prozent des Eigenanteils zurück – auf die Kosten für Verpflegung und Investitionskosten bezieht sich dieser Prozentsatz allerdings nicht, sie kommen noch dazu. Insgesamt hält die Regelung den Trend also nicht auf, die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen steigt weiter.
Auch deshalb suchen immer mehr Angehörige Rat bei den Berliner Pflegestützpunkten. Die Zahl der Beratungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht, erklärt der Sprecher Dietmar Kruschel - auf 115.000 Beratungen im vergangenen Jahr. "Die Unsicherheit wächst", sagt Kruschel, der im Pflegestützpunkt Reinickendorfer Straße berät.
Neues Finanzierungskonzept fehlt noch
"Bei den steigenden Kosten der Pflegeversicherung wird es wohl auch einen weiteren Anstieg der Menschen geben, die Sozialleistungen beziehen müssen", schätzt Kruschel. Zumal er beobachte, dass die Bereitschaft sinke, Angehörige zu Hause zu pflegen. Es brauche aber neue Anreize, damit sich mehr Menschen dazu bereit erklären. Ihm schwebe eine Art "Elterngeld für Angehörige von Pflegebedürftigen" vor.
Dietmar Kruschel vom Pflegestützpunkt und der Heimleiter Matthias Küßner zeigen sich einig: Es braucht eine Reform. Der Pflegebedarf und die entsprechenden Kosten steigen mit dem Anteil älterer Menschen im Land. "So wie das System jetzt läuft, ist es nicht mehr finanzierbar", sagt Küßner. Auch im Bundesgesundheitsministerium hat man das erkannt. Anfang Oktober kündigte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an, er wolle "in wenigen Wochen" ein Finanzkonzept vorlegen, um die Pflegeversicherung auf stabile Füße zu stellen. Wann es so weit sein wird und was genau geändert werden soll, hat das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage noch nicht beantwortet.
Sendung: rbb24 Abendschau, 28.10.2024, 19:30 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 29.10.2024 um 07:49 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.