Drastische Steigerungen - Pflegeheim-Kosten überfordern immer mehr Familien

Mo 28.10.24 | 07:49 Uhr | Von Anja Herr und Jenny Barke
  144
Symbolbild: Eine Pflegerin und eine Heimbewohnerin schauen zusammen aus einem Fenster im Wohnbereich des Pflegeheims am 15.01.2020. (Quelle: dpa/Tom Weller)
Audio: rbb24 Abendschau | 28.10.2024 | A. Herr/J. Barke | Bild: dpa/Tom Weller

Wer im Alter nicht mehr selbstständig leben kann, muss oft in ein Pflegeheim ziehen. Doch nicht nur der Verlust der Autonomie schmerzt, sondern auch die enormen Kosten: Die liegen in Berlin jetzt schon bei rund 3.000 Euro – und steigen weiter. Von Jenny Barke und Anja Herr

Odette Bereska schiebt ihre demenzkranke Mutter Gilda durch den kleinen Garten der Seniorenresidenz in der Bölschestraße in Berlin-Friedrichshagen. Es ist ein milder, sonniger Herbsttag. Ab und zu hebt die Tochter ein buntes Blatt auf und gibt es ihrer Mutter in die Hand. "Das ist ja wunderlich", flüstert die 83-jährige Gilda Bereska dann strahlend. Seit ihrem Schlaganfall vor zweieinhalb Jahren lebt sie in diesem Heim, das immer teurer wird.

Zu Beginn lag die Zuzahlung bei 2.700 Euro pro Monat. Doch es gab bereits mehrere Erhöhungen um insgesamt knapp 22 Prozent. Im nächsten Jahr sollen nochmal jeden Monat 400 Euro dazukommen. "Das ist gigantisch. Mehr als 1.000 Euro innerhalb von zwei Jahren", sagt Odette Bereska, und wirkt dabei etwas verzweifelt. "Wo soll das enden, vor allem wenn die Generation der Babyboomer ins Heim muss?", fragt sie.

Zuzahlungen in Heimen steigen stark

Andere Bewohner können sich die hohen Zuzahlungen gar nicht mehr leisten, müssen ihren Heimplatz längst über Sozialhilfe finanzieren lassen. Die 89-jährige Margot Kunkel lebt auch in dem Heim, hat ihr Leben lang als Schneiderin gearbeitet. Aber alles, was sie gespart hat, und ihre komplette Rente gehen für die Zuzahlungen drauf, wie sie sagt - zusätzlich ist sie auf Sozialhilfe angewiesen. Pro Monat bleiben ihr nur rund 120 Euro. Davon zahlt sie zum Beispiel Friseur und Fußpflege. Übrig bleibt nichts.

Ihre Enkelin Doreen, die zu Besuch ist, findet das ungerecht: "Wir leben in einem Sozialstaat – aber sozial ist das nicht", sagt sie. Als Krankentransport-Fahrerin erlebe sie mit, dass viele ältere Menschen eigentlich einen Heimplatz bräuchten, aber das Geld dafür nicht hätten. "Sie sagen mir: Ihre Rente reicht nicht für einen Heimplatz. Oder: Ich will nicht all mein Erspartes da reinstecken", sagt Doreen Kunkel. Manche schämten sich auch, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen - "und das, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben", sagt Kunkel.

Wir leben in einem Sozialstaat – aber sozial ist das nicht.

Doreen Kunkel, Krankentransportfahrerin und Enkelin einer Pflegeheimbewohnerin

Manche Heime melden Insolvenz an

Deutschlandweit steigen die Zuzahlungen in Heimen. Nach Angaben einer Untersuchung der Krankenkasse AOK waren es 2017 noch durchschnittlich rund 1.750 Euro pro Monat, mittlerweile sind es weit über 3.000 Euro. Grund sind laut Heimbetreibern steigende Löhne, höhere Lebensmittelpreise und Anschaffungen bedingt durch die Inflation, sowie steigende Kosten für Instandsetzungen und Investitionen.

Die Leistungen, die die Heime von der Pflegekasse erhalten, stagnieren dagegen - so kommt es zu einer Schieflage. Aus Sicht der Pflegeheim-Betreiber ist es wirtschaftlich notwendig, die Zuzahlungen zu erhöhen, um zu überleben. Einige Heime sind bereits gescheitert: Allein in Berlin haben im vergangenen Jahr laut Senat 13 Einrichtungen aufgegeben. Dabei wächst die Zahl der Pflegebedürftigen immer weiter.

Sozialhilfe-Empfänger werden nicht aufgenommen

Auch die Seniorenresidenz in der Bölschestraße, in der Gilda Bereska und Margot Kunkel leben, muss die Zuzahlungen erhöhen. Momentan liegen sie bei durchschnittlich 3.257 Euro, je nach Pflegegrad kann es auch mehr sein. Ab 2025 kommen 400 Euro dazu, bestätigt der Heimleiter Matthias Küßner. Der Grund: Höhere Kosten bei Personal, Material und Handwerksleistungen, und die Inflation. Dabei spare das Heim schon an vielen Stellen, sagt Küßner. "Wasserflaschen haben wir zum Beispiel abgeschafft, wir regeln das jetzt über die Trinkwasserleitung."

Zusätzliche Sozialhilfe-Empfänger nimmt er gar nicht mehr auf - er könne es sich nicht leisten, sagt er. Denn pro Bewohner und Jahr zahlen Sozialkassen etwa 1.600 Euro weniger als Selbstzahler – Geld, das das Heim dringend braucht. Menschlich finde er es schlimm, Sozialhilfe-Empfänger nicht anzunehmen, sagt er. Aber er sehe sich dazu gezwungen.

Doreen Künkel (l.) unterhält sich mit Margot Kunkel.(Quelle:rbb)
"Und das, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben": Doreen Kunkel unterhält sich im Pflegeheim mit ihrer Großmutter Margot. | Bild: rbb

Beratungsbedarf bei Pflegestützpunkten nimmt zu

Mittlerweile sind 14 seiner Heimbewohner bereits auf Sozialhilfe angewiesen, da sie sich die Erhöhungen nicht mehr leisten können. Zwar erhalten die Pflegebedürftigen seit 2022 einen Zuschuss von der Pflegekasse. Je länger die Bewohner im Heim leben, desto höher ist dieser Zuschuss, auf den sie Anspruch haben. Im ersten Jahr erhalten Pflegebedürftige 15 Prozent des Eigenanteils zurück – auf die Kosten für Verpflegung und Investitionskosten bezieht sich dieser Prozentsatz allerdings nicht, sie kommen noch dazu. Insgesamt hält die Regelung den Trend also nicht auf, die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen steigt weiter.

Auch deshalb suchen immer mehr Angehörige Rat bei den Berliner Pflegestützpunkten. Die Zahl der Beratungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht, erklärt der Sprecher Dietmar Kruschel - auf 115.000 Beratungen im vergangenen Jahr. "Die Unsicherheit wächst", sagt Kruschel, der im Pflegestützpunkt Reinickendorfer Straße berät.

Neues Finanzierungskonzept fehlt noch

"Bei den steigenden Kosten der Pflegeversicherung wird es wohl auch einen weiteren Anstieg der Menschen geben, die Sozialleistungen beziehen müssen", schätzt Kruschel. Zumal er beobachte, dass die Bereitschaft sinke, Angehörige zu Hause zu pflegen. Es brauche aber neue Anreize, damit sich mehr Menschen dazu bereit erklären. Ihm schwebe eine Art "Elterngeld für Angehörige von Pflegebedürftigen" vor.

Dietmar Kruschel vom Pflegestützpunkt und der Heimleiter Matthias Küßner zeigen sich einig: Es braucht eine Reform. Der Pflegebedarf und die entsprechenden Kosten steigen mit dem Anteil älterer Menschen im Land. "So wie das System jetzt läuft, ist es nicht mehr finanzierbar", sagt Küßner. Auch im Bundesgesundheitsministerium hat man das erkannt. Anfang Oktober kündigte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an, er wolle "in wenigen Wochen" ein Finanzkonzept vorlegen, um die Pflegeversicherung auf stabile Füße zu stellen. Wann es so weit sein wird und was genau geändert werden soll, hat das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage noch nicht beantwortet.

Hintergrund

Finanzierung der Pflege - Wer wann wie viel zahlen muss

Der allgemeine Beitragssatz für die Pflegekasse liegt aktuell bei 3,4 Prozent (Stand Oktober 2024). Kinderlose zahlen 0,6 Prozent Zuschlag. Familien mit mehr als einem Kind unter 25 Jahren bekommen einen Abschlag.

Der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) rechnet, dass die Beitragssätze bis Januar 2025 um mindestens 0,25 Prozentpunkte steigen müssten, um zahlungsfähig zu bleiben. Bis zum Jahresende rechnet der GKV mit einem Defizit der Pflegekasse von 1,8 Milliarden Euro.

Die Pflegekasse zahlt einen Sockelbeitrag für die Heimkosten von Pflegebedürftigen. Den Rest müssen die Betroffenen selbst zahlen. Um den Eigenanteil zu decken, ist die pflegebedürftige Person verpflichtet, das eigene Vermögen aus zum Beispiel Erspartem, Aktien oder einer Immobilie zu verwenden. Ein Vermögen von 10.000 Euro darf behalten werden, das sogenannte Schonvermögen. Gleiches gilt für Ehepartner:innen.

Verwandte ersten Grades, wie Kinder, müssen Unterhalt für die Pflege zahlen, wenn sie über 100.000 Euro brutto jährlich verdienen. Das Sozialamt kommt mit einer sogenannten "Hilfe zur Pflege" für die Kosten auf, wenn weder Vermögen der zu Pflegenden vorliegt noch Kinder Unterhalt zahlen können.

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.10.2024, 19:30 Uhr

Die Kommentarfunktion wurde am 29.10.2024 um 07:49 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Anja Herr und Jenny Barke

144 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 144.

    Privatwirtschaftliche Unternehmen wie vieler solcher Heime wirtschaften natürlich zu allererst in die eigene Tasche, bei jeder Preislage auf dem Markt, #Rendite. Offiziell geht es aber meist nur um Kostendeckung bei all den steigenden Preisen, die natürlich niemals nie nie nie im Voraus einkalkuliert werden in Business Plänen, weil Tendenzen auf dem Markt überhaupt nicht mit Weitsicht vorhersehbar sind. Ist klar. Klingt so schön nach Opferrolle... Alles schön zu Lasten der wahren Leidtragenden.

  2. 143.

    Ich wohne selber in einem Pflegeheim ( in Mannheim ) . Das Heim hat mich aufgrund dessen aufgenommen , weil mein gesetzlicher Betreuer sehr gut für mich gesprochen hat . Ich bin 59 Jahre alt und das Grundsicherungs Amt bezahlt meinen Heimplatz .

  3. 142.

    Genug Geld ist da, es wird nur außer Landes gebracht. Für Kriege verwendet, die nicht unsere sind, für Entwicklungs"hilfe" an Staaten, in denen das Geld in privaten Taschen versackt. Für Gutachten, die niemand braucht, für Großbauten im Regierungsviertel, die in Zeiten des Homeoffice überdimensioniert sind. Wenn die Gelder zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger eingesetzt werden würden, hätten wir kein Finanzierungsthema.

  4. 141.

    „Wie wäre es, wenn sich die Heime zusammen tun. Zwecks Bestellungen von Essen etc. Dann wird es in der Masse wieder günstiger.“
    Das ist nicht möglich. Weil mit dem „Zusammenschluss“ eine Leistung einhergehen muss. Z.B. eine einzige Lieferadresse. Die Leistung würde dann im Verteilen bestehen. Theoretische Zusammenschlüsse ist vom Lieferanten nicht zu akzeptieren!

  5. 140.

    Ich selber habe keine Kinder und werde einkommensbedingt später Probleme haben. Bin nicht erwerbstätig aus gesundheitlichen Gründen und habe keine Rücklagen fürs Alter. I

  6. 139.

    Wie wäre es, wenn sich die Heime zusammen tun. Zwecks Bestellungen von Essen etc. Dann wird es in der Masse wieder günstiger.
    Und auch nicht zu verachten sind die Gehälter der Geschäftsführer etc. Sollten Sie auch mal freiwillig das Gehalt kürzen.
    Ich frage mich wirklich, was genau teurer geworden ist. Mir kommt es vor, als ob sich noch welche daran Bereichern würden. Doppelt bezahlt, einmal vom Heimbewohner und noch von der Pflegekasse. Das muss transparenter werden.

  7. 138.

    Klassenlehrerin, Sie verstehen scheinbar nicht nur keine RBB- Beiträge hier, sondern auch keine Kommentare. Und vertragen tun Sie auch nichts. Ich kritisiere nicht Sie, sondern Ihre fehlerhafte Darstellung. Egal, ob von ihren Eltern gut oder schlecht behandelte Kinder, kein Kind muss heute mehr für den Pflegeheimplatz der Eltern zahlen. Darum ging es und Sie hatten es falsch dargestellt. So musste man annehmen, dass Sie zu den wenigen gehören, die über 100000 € Jahresverdienst haben.

  8. 137.

    Exakt so erlebt. Unsere Mutti. Ich. War danach traumatisiert. Wenn das Wort das richtige dafür ist.

  9. 136.

    Mögliche Hinweise ergeben sich vielleicht bei einer Recherche was aus den 13 Pflegeheimen, als Gebäude, passiert ist.

  10. 134.

    Vielleicht sollte man nicht nur die Gründe der Heimbetreiber bringen, wenn es um die Kostensteigerungen geht. Vielleicht hätten externe/unabhängige Stellen oder Seniorenvertretungen andere Begründungen - die vielleicht auch Heimbetreiber in kritischem Licht dastehen lassen?

  11. 133.

    Es ist und bleibt eine Katastrophe! Das betrifft Millionen ältere Menschen und nur weil mit diesen Menschen rendite gemacht wird! Wo bleibt da derAufschrei aller Parteien? Warum sagen dazu diese blauen nichts?

  12. 130.

    Ok, ich nehms zurück, wollte Sie mal testen.....))).

  13. 128.

    "Privatpatienten bezahlen das Doppelte bis Dreifache... für Medikamente und Salben..."

    Fairerweise sollten Sie erwähnen, dass die Privatpatienten nicht mehr für dasselbe Medikament zahlen (zumindest finde ich nichts, was diese These unterstützt, von "das Doppelte bis Dreifache" ganz zu schweigen), sondern dass sie in der Regel teurere (bessere, innovativere) Medikamente bekommen und auch deswegen für die Ärzte/Apotheken die profitablere Sorte Patient sind.

  14. 127.

    Die Pflege – und Rentenversicherung ist doch heute schon nicht mehr durch die Beiträge gedeckt und wird mit Steuern querfinanziert. Insofern beteiligen sich noch andere Geldquellen an der Pflege und Rente.

  15. 126.

    Das ist, nach den ,,Tafel-Renten'' der nächste, ganz große Skandal und wird Millionen treffen! Bin auch Boomer und kann mir diese Kosten nie leisten!

  16. 125.

    Geht der Profit denn nicht hauptsächlich in die Einkommen der Inhaber und Renditenehmer?
    <> Privatpatienten bezahlen das Doppelte bis Dreifache... für Medikamente und Salben...Ohne die PKV würden die Praxen und Kliniken nicht überleben können.

Nächster Artikel