Schaden in Millionenhöhe - Polizei führt Hunderte Verfahren wegen Corona-Testbetrugs in Berlin
Möglicher Betrug mit Corona-Testzentren fordert die Ermittlungsbehörden in Berlin: Mehr als 500 Verfahren laufen. Auch Betreiber, die sich wegen Zahlungsverzugs beschwert haben, stehen im Fokus. Viele warten seit Monaten auf ihr Geld. Von O. Sundermeyer und U. Barthel
- Momentan laufen in Berlin 512 Verfahren gegen Betreiber von Corona-Testzentren, der Vorwurf: Abrechnungsbetrug.
- Die Ermittler konnten bislang einen Schaden von 32 Millionen Euro nachweisen, schätzen ihn aber auf bis zu dreimal so hoch.
- Einer der Betreiber, ein ehemaliger Boulevardjournalist, protestierte öffentlich, wegen Betrügern bekämen ehrliche Betreiber keine Hilfe mehr ausgezahlt. Inzwischen wird gegen ihn ermittelt.
Als sich Karim G. Ende Oktober in einem offenen Brief im Namen Dutzender Betreiber von Coronatestzentren an die Berliner Gesundheitssenatorin und den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) wendet, ahnt er wohl nicht, dass er selbst bereits unter dem Verdacht des Abrechnungsbetrugs steht: "Es geht hier schlicht um die Existenzen der ehrlichen Betreiber*innen der Berliner Corona Teststellen", schreibt der Unternehmer und beklagt sich: "Nachdem Millionen Euro ungeprüft an Betrüger verschenkt wurden, bekommen die ehrlichen Teststellen z.T. seit Monaten gar nichts mehr ausgezahlt."
Zugleich droht der ehemalige Boulevardjournalist den Adressaten seines Briefes mit einer Kampagne: In dem Brief ist die Rede von "Protestaktionen vor der KV Berlin, Teststellen-Schließungen und Streiks". Nach ersten Vorgesprächen stoße das Thema auf "großes Interesse bei regionalen, aber auch überregionalen Medien". Am 3. November titelt die BILD-Zeitung: "Seit zehn Monaten kein Geld – Kassenärztliche Vereinigung lässt Teststellen-Betreiber hängen". Die B.Z. zitiert Karim G. und drei weitere Testcenterbetreiber mit ihrer Beschwerde auf einer Doppelseite. Der rbb verzichtet auf eine Berichterstattung, nachdem die Redaktion rbb24 Recherche von den Ermittlungen gegen Karim G. und anderen erfahren hatte, die ebenfalls auf ihr Geld warteten.
"Entschuldigen Sie, wir sind die Kriminalpolizei"
Bis der LKA-Kommissariatsleiter Jörg Engelhardt am Donnerstagmorgen um 8:20 Uhr bei Eiseskälte an eine Ladentür am Sachsendamm in Berlin-Steglitz klopft. Es ist eins von fünf Corona-Testzentren, die Karim G. betreibt. In den übrigen wird zeitgleich durchsucht, auch in der Wohnung des Unternehmers.
Engelhardt, gekleidet mit einem beigefarbenen Trenchcoat, stellt sich nach dem Öffnen der Tür einer Mitarbeiterin von Karim G. freundlich vor: "Entschuldigen Sie bitte den Überfall! Wir sind die Kriminalpolizei, wir sind keine Kunden!" Und schon huschen fünf seiner Mitarbeiter unter Vorhalten des Durchsuchungsbeschlusses an ihm vorbei in das Ladenlokal.
Rund zwei Stunden später schleppen die Polizisten ein Dutzend Plastikboxen gefüllt mit Testformularen aus dem Ladenlokal. "Es besteht der Verdacht, dass die Tests nicht korrekt abgerechnet wurden", sagt Jörg Engelhardt. Worauf sich dieser Verdacht des Abrechnungsbetrugs gründet, möchte er nicht sagen. Nun müsse man zunächst die Testunterlagen auswerten, und mit den Abrechnungen abgleichen. Gegen Karim G. läuft eines von 512 Ermittlungsverfahren, die das Berliner Landeskriminalamt wegen Abrechnungsbetrugs gegen die Betreiber von Corona-Testzentren führt. Bislang konnte die Abteilung von Jörg Engelhardt einen Betrugsschaden in Höhe von 32 Millionen Euro nachweisen. Den Gesamtschaden schätzt Engelhardt für Berlin auf "60 bis 90 Millionen Euro", sagt er. Die Dunkelziffer sei hoch.
Betreiber berichtet von Durchsuchungen
Karim G. will sich auf Anfrage von rbb24 Recherche nicht zu den Durchsuchungen äußern. Nur so viel sagt er: Dass er immer noch auf sein Geld von der KV warte, und dass er unschuldig sei.
rbb24 Recherche hat mit einem weiteren Betreiber gesprochen, der sich dem Protest von Karim G. angeschlossen hatte. Ismail Özkanli arbeitet als Zahnarzt am Wittenbergplatz. rbb24 Recherche erklärt er, dass er seit Juli auf die Auszahlungen wartet. Freimütig erzählt er auch von einer Durchsuchung der Staatsanwaltschaft im Mai 2021. "Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges eingeleitet. Wir hatten zu dem Zeitpunkt 14 Teststellen und hatten 38.000 Tests abgerechnet. Uns wurde vorgeworfen, dass wir zu viele Tests abgerechnet haben. Aber das Verfahren wurde dann eingestellt und der Vorwurf hat sich als falsch herausgestellt." Er könne sich nicht vorstellen, dass jetzt wieder ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Die Kassenärztliche Vereinigung äußert sich auf Anfrage von rbb24 Recherche nur schriftlich zu den Vorwürfen. Die KV Berlin sei aufgrund der laufenden Ermittlungsverfahren angehalten, "bei zahlreichen Teststellenbetreibern Auszahlungsanteile zurückzubehalten bzw. Auszahlungsstopps vorzunehmen." Zu Verzögerungen könne es aber auch kommen, wenn bei Auffälligkeiten in der Abrechnung vertiefter geprüft werden müsse.
45 Betreiber von Teststellen haben sich wegen der verzögerten Auszahlungen beschwert. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der CDU hervor. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Christian Zander sagt, dass man nicht alle Teststellenbetreiber unter Generalverdacht stellen könne. Die Verwaltung könne nicht nur auf die Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung verweisen. Der Senat müsse auch dafür sorgen, dass, "wenn es Probleme gibt, dass man sich dann aktiv einschaltet und versucht, gegebenenfalls zu vermitteln."
Testzentren werden schließen
Nicht gegen alle Betreiber, die auf ihr Geld warten, laufen Ermittlungen. In den Augen von Philippe Gouverneur, der in Französisch-Buchholz ein Testzentrum betreibt, ist dann auch Missmanagement der KV die Hauptursache für die fehlenden Zahlungen, wie er sagt. Er habe sich dem Protest von Karim G. aber nicht angeschlossen, obwohl die KV auch ihm eine sechsstellige Summe schulde. Er könne sogar sehr gut verstehen, dass jetzt die Abrechnungen genauer geprüft werden, sagt er. "Im Jahr 2021 war das nicht der Fall. Die Steuergelder wurden tatsächlich aus dem Fenster geschmissen. Es fanden so gut wie keine Kontrollen statt." Jetzt - 2022 - scheine sich das geändert zu haben. "Da sind jetzt die die Leidtragenden, die noch übriggeblieben sind, und die noch sauber arbeiten."
Wie lange er sein Testzentrum noch offenhalten kann, wisse er nicht. Dabei kämen täglich immer noch viele, die ihre Verwandten im Pflegeheim oder Krankenhaus besuchen wollen und einen Test benötigen. Aber wahrscheinlich – so sagt er - wird er zum 31.12.2022 schließen, weil er die Kosten für den Betrieb der Teststelle nicht mehr länger vorstrecken kann.
Sendung: