Zahlen für 2022 in Berlin - Staatsanwaltschaft registriert erneut mehr antisemitische Straftaten
Hassreden im Internet, Übergriffe auf offener Straße, Falschinformationen mit Corona- und Ukraine-Bezug: Nach Angaben der Berliner Generalstaatsanwaltschaft nehmen Straftaten gegen Jüdinnen und Juden in Berlin weiter zu.
Die Zahl registrierter antisemitischer Straftaten in Berlin hat im vergangenen Jahr erneut zugenommen. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft von Sonntag hat es 691 entsprechende Verfahren gegeben, 30 mehr als im Jahr 2021.
"Antisemitismus im alltäglichen Leben"
"Damit hat sich leider der stetige Anstieg fortgesetzt und wir verzeichnen einen wirklich signifikanten Anstieg", wie der Berliner Antisemitismus-Beauftragte Florian Hengst der Deutschen-Presse-Agentur sagte. "Antisemitismus kommt im alltäglichen Leben vor und ist in Teilen der Gesellschaft tief verwurzelt."
Hengst verwies auch auf die Vergleiche zwischen den staatlichen Corona-Maßnahmen und der systematischen Ermordung von Juden unter den Nazis. So werde etwa durch das Tragen eines gelben Sterns mit der Aufschrift "Ungeimpft" oder mit dem Ausspruch "Impfen macht frei" der Holocaust verharmlost.
Falschinformationen zum Ukraine-Krieg
Auch Falschinformationen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben den Antisemitismus Hengst zufolge weiter ansteigen lassen. So gebe es Verschwörungserzählungen zu einem großen Umbruch. Oder der Nationalsozialismus werde auf "erschreckende Art und Weise" instrumentalisiert. Davon unabhängig begegne Jüdinnen und Juden Hass und Hetze im alltäglichen Leben - auf der Straße oder in sozialen Medien.
Laut Hengst hat es aufgrund antisemitischer Straftaten mehrere rechtskräftige Verurteilungen wegen Volksverhetzung in Berlin gegeben. Allerdings sei die Rechtsprechung von Amtsgericht und Landgericht nicht einheitlich. Umso wichtiger ist aus Sicht des Juristen eine aktuelle Entscheidung des Berliner Kammergerichts. Dies habe sich ausführlich damit auseinandergesetzt, dass es sich bei dem "Impfen macht frei" um eine Verharmlosung des Holocaust handelt.
Bereits in den Vorjahren hatte die Generalstaatsanwaltschaft einen kontinuierlichen Anstieg der Verfahren verzeichnet. 2021 lag die Zahl bei 661, im Jahr zuvor gab es 417 Verfahren, 2019 waren es noch 386.
Großes Dunkelfeld
Abgesehen von den Verfahren der Staatsanwaltschaft hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin allein in den Monaten Januar bis Juni 2022 450 antisemitische Vorfälle registriert. Gemeldet wurden dabei neun Angriffe, zehn gezielte Sachbeschädigungen, zehn Bedrohungen und 417 Fälle verletzenden Verhaltens sowie vier antisemitische Massenzuschriften, wie die RIAS mitteilte. Im gesamten Jahr 2021 lag die Zahl der Meldungen demnach bei 1.052.
Einer Befragung der EU-Grundrechteagentur aus dem Jahr 2018 zufolge dürfte die Zahl der tatsächlichen Anfeindungen und körperliche Angriffe auf Jüdinnen und Juden allerdings deutlich höher liegen. Den Angaben nach haben 79 Prozent der in Deutschland befragten Juden, die in den letzten fünf Jahren vor der Befragung judenfeindliche Belästigung, Beleidigung oder Gewalt erlebt haben, auf eine Anzeige verzichtet.
Polizei und RIAS erarbeiten Leitfaden
Um das große Dunkelfeld bei antisemitischen Straftaten aufzuhellen, haben die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft gemeinsam mit dem RIAS-Schwesterprojekt "Regishut" (hebräisch für "Sensibilität") einen Leitfaden für Beamte der Strafverfolgungsbehörden erarbeitet. Darin ist genau festgehalten, was als antisemitisch gilt und wie mit entsprechenden Anzeigen umzugehen ist. Dem Leitfaden nach hat eine "eine Meldung antisemitischer Straftaten grundsätzlich durch den Anzeigenaufnehmenden frühestmöglich an den Dauerdienst des Polizeilichen Staatsschutzes […] zu erfolgen", die Stelle im Berliner LKA ist für solche Anzeigen demnach rund um die Uhr erreichbar.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.03.2023, 10:00 Uhr