Nur eine Toilette, kein Frischwasser - Illegales Camp am Berliner Hauptbahnhof beschäftigt Kleingärtner und Bezirk

So 19.03.23 | 11:04 Uhr | Von Anna Bordel
  38
Zeltlager in der Nähe vom HBF Berlin. (Quelle: rbb)
Video: rbb|24 | 18.03.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: rbb

Der Kleingartenverein möchte Wasser und Müllentsorgung für sie, der Bezirk will die Menschen umsiedeln. Was die Bewohner eines illegalen Camps in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes selber wollen, weiß niemand. Ein Ortsbesuch von Anna Bordel

"Wenn es kalt ist, dann ist es kalt", sagt Bob. Schwarze, zurück gegelte Haare, fast schwarze Augen, dunkle Skinny-Jeans und Turnschuhe. Kurz vorher ist der Jugendliche aus einer der selbst gezimmerten Hütten gekommen, die an diesem kühlen Vormittag im März vollständig verlassen schienen. Bis Bob aufgetaucht ist.

Er wohne seit einem Jahr in diesem Camp auf einem Grünstreifen in der Nähe des Hauptbahnhofes in Berlin-Mitte und im Winter sei es nicht einfach. Bob sagt, er komme aus Budapest, dass er 16 Jahre alt ist und dass es hier keine Arbeit für ihn gibt. Englisch spricht er nicht, ein bisschen Deutsch. Um zu erklären, woher er das kann, reicht es nicht. Die anderen Camp-Bewohner, die meisten Rumänen, seien am Bahnhof betteln, sagt Bob. "Arbeit hat hier keiner. Nur betteln."

Camp zwischen Hauptbahnhof und Kleingartenverein

Dass sie hier wild in ihren selbstgebauten Hütten leben, ohne jemanden gefragt zu haben, das gefällt nicht allen. Die Fläche gehört dem Bezirk Mitte, der eigenen Angaben zufolge bemüht ist, die Anwohner umzusiedeln. Darüber würden sich vor allem die Mitglieder des Kleingartenvereins Lehrter Straße freuen. In einem Schreiben haben sie sich an den Bezirk und Medien gewandt und fordern kurzfristig schnelle Hilfe bei der Müllent- und Wasserversorgung für die Camp-Bewohner. Langfristig wünschen sie sich aber, dass sie von dort verschwinden - diese Hütten, die eigentlich gar keine Hütten sind.

Eher Baracken, die aus Spanplatten, Brettern und Planen zusammengezimmert und, jede einzelne, gut verriegelt sind. Vielleicht gegen Blicke, vielleicht gegen kalte Luft. Es sind um die 20 - in jeder wohnen etwa ein bis zwei Menschen, wie Bob sagt. Wasser würden sie im Moment von der Stadtmission in der Lehrter Straße bekommen. Außer den Bewohnern selbst komme nie jemand her und biete Hilfe an, sagt er.

Vorbeilaufen tun allerdings viele - Menschen mit Kinderwagen, Rollkoffern und Coffee-to-go-Bechern. Das Camp liegt direkt neben einem Weg, der über einen schmalen Grünstreifen in das Grundstück des Kleingartenvereins führt. Die Umgebung könnte kontrastreicher nicht sein: Auf der einen Seite eine Großbaustelle, das KPMG-Hochhaus, der Verkehrstumult und die Konsummeile des Hauptbahnhofes. Auf der anderen Seite die historische Stätte des Zellengefängnisses Moabit und die Parzellen des Kleingartenvereins.

Bezirk möchte Camp nicht mit Wasser versorgen

Mittlerweile lebten die Menschen in dem Camp dauerhaft, wie Laura Sander, Sprecherin des Bezirksamtes Mitte rbb|24 bestätigte. Das sei nicht immer so gewesen. Der Bezirk hat nach eigenen Angaben temporär eine Öko-Toilette aufgestellt. Mehr sei aber nicht geplant. "Das Bezirksamt Mitte strebt nicht an, das Camp am Hauptbahnhof zu verstetigen, indem dort eine Wasserver- sowie eine Müllentsorgung etabliert werden", so Sander. Dabei hätte sich das Camp dort längst fest angesiedelt - Wasser hin oder her -, meinen andere.

Carola Baseler ist eine von ihnen. Sie ist im Vorstand des Kleingartenvereins Lehrter Straße e.V.. Seit 15 Jahren hat sie ihre Gartenparzelle dort. "Wir haben viel mit der Notdurft der Menschen auf den Wegen zu tun und unser Müllcontainer ist in den vergangenen Saisons heillos überfüllt gewesen", erzählt sie. Problematisch sei auch, wie die Menschen nach Wasser fragen. "Das tun sie teilweise sehr fordernd oder sogar nötigend", so Baseler. Einige Mitglieder würden sich außerdem nicht mehr sicher fühlen, seit es das Camp gibt. Konkrete Vorfälle gab es laut Baseler nicht. "Dennoch halten viele mittlerweile ihre Parzellen dicht. Das machen wir insgesamt jetzt fast alle, besonders die Frauen unter uns: unsere Parzellen abschließen, die Türen der Gärten zumachen. Die Situation war mal eine freiere".

Vorläufig fordern Baseler und die anderen Kleingarteninhaber, dass der Bezirk dafür sorgt, dass die Camp-Bewohner Wasser und Toiletten bekommen und der Müll entsorgt wird. Langfristig wollen sie, dass das Camp umgesetzt wird: "Wir können ja die Gärten nicht mehr in Ruhe nutzen", sagt sie.

Arbeit hat hier keiner. Nur betteln.

Bob, Camp-Bewohner, 16 Jahre

Bezirk sucht alternative Unterkunft

Ende März ist ein Treffen zwischen den Vertretern des Kleingartenvereins und der Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) geplant, bei dem es um die Zukunft des Camps gehen soll. Ziel des Bezirks ist es laut Sprecherin Sander, dass den Menschen alternative Unterkünfte angeboten werden können, in denen sie in ihrem Familienverbund bleiben. Gefunden seien diese derzeit noch nicht.

Außerdem hätten die Bewohner des Camps bislang die Hilfsangebote des Bezirks nicht angenommen. Immer wieder hatte der Bezirk eigenen Angaben zufolge Beratungs- und Betreuungsangebote gemacht, die ausgeschlagen wurden. Daher betonte Sander, die Herausforderung sei nicht allein, Unterkünfte zu finden, sondern die Menschen auch zu überzeugen dort einzuziehen. "Wir wünschen uns sehr und sehen es als unsere moralische Verpflichtung an, dass es uns gelingen wird, die Menschen davon zu überzeugen, dass dies für alle Beteiligten die lebenswertere und vernünftigere Alternative ist als das Leben auf der Straße", betonte Sander.

Mehrere Minderjährige leben im Camp

Die Grünfläche gehört zum Teil dem Bezirksamt Mitte, der andere Teil gehört der Deutschen Bahn. Das landeseigene Unternehmen Grünberlin plant auf der gesamten Fläche, eine Grünanlage zu schaffen. Die Bauarbeiten für den sogenannten "Döberitzer Grünzug" sollen nach Angaben von Grünberlin im Sommer 2023 beginnen. Was das für die Bewohner des Camps bedeutet, ist unklar.

Der Bezirk prüft laut Sander auch, was mit Minderjährigen wie dem 16-jährigen Bob geschehen soll, die in dem Camp leben - Fragen nach dem Kinderschutz und der Schulpflicht müssten geklärt werden. Antworten gebe es noch keine.

Während des Gesprächs mit Bob kommt plötzlich ein Mann mittleren Alters dazu, in der Hand ein paar schwarze Sneaker. Beide reden in einer nichtdeutschen Sprache miteinander, der Mann aufgeregt, Bob ruhig. Der Mann bleibt, er guckt misstrauisch. Dann verabschiedet Bob sich freundlich und geht mit dem anderen fort. Vorher hatte er noch von seinen Plänen für den Tag erzählt: nichts.

Hinweis: Wir haben nach Veröffentlichung des Beitrags die Informationen zu den Besitzverhältnissen der betroffenen Fläche noch erweitert.

Die Kommentarfunktion wurde am 18.03.2023 um 21:25 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.

Beitrag von Anna Bordel

38 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 38.

    "Was die Bewohner eines illegalen Camps in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes selber wollen, weiß niemand." Das ist nach den hiesigen Gesetzen völlig irrelevant, Die dort illegal nächtigen sind Rechtsbrecher, die nach den einschlägigen Gesetzen zu verfolgen sind.

  2. 37.

    Als vor ca. 10 Jahren Benjamin Marx ein ganzes Dorf (Fantanele) nach Berlin lockte, in dem die Aachener Wohnungsgesellschaft Häuser vermietete, wurde eine Lawine losgetreten. Auf dem Balkan leben zwischen acht und zwölf Millionen Roma. Wir können diese Menschen nicht in unser Sozialsystem holen. Frankreich und Italien haben alle zurückgeschickt, Österreich hat ähnliche Probleme. Minderjährige gehören zu ihren Eltern. In München hat die katholische Kirche auch Betreuung für minderjährige Mütter aus Rumänien organisiert - in der teuersten Stadt Deutschlands. Serbische Roma bekamen teure Wohnungen. So geht es nicht, denn diese Menschen werden nicht politisch verfolgt. Sie wollen Kindergeld.

  3. 36.

    Aus meiner Sicht hat die EU viele Vorteile. Leider aber auch einige Nachteile wie die "Aufenthaltsfreiheit". Wenn Nichtdeutsche aus EU-Ländern hier scheitern, warum werden sie dann nicht in ihr Heimatland zurückgebracht? Dort geht es ihnen vermutlich als nicht Sesshafte und meist Arbeitslose deutlich schlechter! Wir haben die Nachteile, illegale Besetzungen, Dreck ... zu ertragen? Es muss sich ändern.
    Dann gibt es deutlich weniger Obdachlose, um die man sich dann auch besser kümmern könnte.

  4. 34.

    Lorenz, vielen Dank für Ihre klasse Antwort. Ich kann das nur unterstützen.

  5. 33.

    Alles klar Helga. Kleingartenverein erweitern und die Leute dort eingliedern.
    Ich glaube du hast nichts verstanden.
    Wie kann man solche einen Vorschlag machen.
    Aber gern kannst du Vorbild sein und zwei drei von denen bei dir Zuhause aufnehmen.
    Ansonsten möchte ich mich hier nicht weiter zu dem Thema äußern. Ich glaube ich hätte viele Zustimmungen aber leider auch Leute die etwas gegen meine Vorschläge hätten.

  6. 32.

    Fini2, ernsthaft, wenn man das mit dem Containerdorf nicht schafft, soll die Kleingartenkolonie geschlossen und umgesiedelt werden.
    Wie sind Sie denn drauf, wer hat den hier welches Recht? Doch wohl in erster Linie die Kleingartenbesitzer. Deren Rechte müssen geschützt werden und nicht die der wild campierenden Umweltverschmutzer, die noch zusätzlich nicht im steuerbezahltem Arbeitsleben stehen, sondern auf unsere Kosten leben bzw. dahin vegetieren.

  7. 31.

    Also Nachtweih, ihre Äußerungen stimmen nur teilweise, denn:
    Die EU-Freizügigkeit dient der beruflichen Niederlassung und des sich daraus ergebenen Verweilens eines EU-Bürgers im entsprechenden EU-Raum. Bei Aufenthalten über drei Monaten ohne berufliche Tätigkeit muss der EU Bürger wieder ausreisen. Obdachlose aus EU-Ländern arbeiten in Berlin nicht, somit müssen sie nach drei Monaten Deutschland wieder verlassen.

  8. 30.

    Ich verstehe nicht warum in Rumânien,Mitglied der EU solche Zustânde herrschen,das sich die Bewohner dieses Landes sich in Deutschland in einem Zeltlager mitten in Berlin niederlassen müssen.Ein Armutszeugnis für die Großverdiener in Brüssel.

  9. 29.

    "Obdachlose aus EU-Ländern arbeiten in Berlin nicht, somit müssen sie nach drei Monaten Deutschland wieder verlassen." Aha! Soweit die Theorie. Da sie nicht gemeldet sind, können sie so lange bleiben, wie sie wollen....s. Bericht....ein Jahr..

  10. 28.

    "seit Jahren wurde das Camp nach Angaben der Bewohner immer wieder geräumt und wiedererrichtet." Wie die "Lager" an der Uferböschung des Landwehrkanals....Zaun drum, Strom drauf, erledigt.

  11. 27.

    "Dann baut man halt direkt angrenzend ein Containerdorf mit stapelbaren Wohncontainern in die Höhe, geht auch. Sind schnell lieferbar, kann an dasselbe Wasser- und Stromnetz wie der Kleingartenverein angeschlossen werden." Nein, am besten man baut gar nicht. Wer soll das denn bezahlen?? Wir Steuerzahler?
    "Falls das nicht geht, muss man den Kleingartenverein unweit des Hauptbahnhof schließen und zum Beispiel in Marzahn-Hellersdorf Ausgleichsflächen schaffen." Oder wir Berliner ziehen nach Rumänien und machen unsere Wohnungen frei für Rumänen, Bulgaren u. a?
    "Wohnen vor Freizeit und Hobby!" Aber nicht für Leute, die sich ohne Not hier niederlassen und auf unsere Kosten leben wollen!

  12. 26.

    Das ist leider ein weit verbreiteter Irrtum. Die EU Freizügigkeit gilt zunächst nur für die Wahl des Arbeitsortes. Man darf sich zudem EU-weit niederlassen, wenn man sich selbst versorgen kann. Trifft beides nicht zu, hat man keinerlei Recht auf freie Wohnortwahl innerhalb der EU sondern nur im jeweiligen Heimatland.

  13. 25.

    Alles klar soweit? Soweit kommt es noch. Dann müssen die halt wieder in Ihre Heimatländer zurück. Ist ja nicht böse gemeint, aber wenn hier kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht, dann nützt das ja alles nichts. Wir können ja nun nicht für alle die hier ganz gerne leben möchten den Wohnraum zur Verfügung stellen.

  14. 24.

    Hoffentlich werden kleingarten Anlagen oder die Nähe zu denselben nicht zu Slums oder unübersichtlichen unhygienischen Dauerzuständen. Fäkalien, Urin, Müll, Ratten, Unrat aller Art. Woanders nennt man das dann Favelas. Unglaublich. Ich hoffe sehr für alle Beteiligten. Auf eine richtige Lösung des Dilemma. Und hoffe auch inständig, dass diese Art des Lebens in Deutschland bitte keine Schule macht.

  15. 23.

    Du hast ja so recht! Aber weder Politiker noch Behörden wollen diesen rechtswidrigen Zustand verändern. Aber wehe Du stehst im Parkberbot...

  16. 22.

    Ein solches von Ihnen verlangtes Container-Hochhaus könnte Berlin dann vor Ihrer Haustür bauen.
    Bitte nennen Sie den Verantwortlichen Ihre Wohnanschrift, damit zügig mit der Planung begonnen werden kann!

  17. 21.

    Dann baut man halt direkt angrenzend ein Containerdorf mit stapelbaren Wohncontainern in die Höhe, geht auch. Sind schnell lieferbar, kann an dasselbe Wasser- und Stromnetz wie der Kleingartenverein angeschlossen werden. Am besten auf dem Grund und Boden der früher mal zum Parken war und weil jetzt als Naturschutzgebiet sowieso leer steht, ebenso auf der anderen Seite vom Kleingartenverein. Falls das nicht geht, muss man den Kleingartenverein unweit des Hauptbahnhof schließen und zum Beispiel in Marzahn-Hellersdorf Ausgleichsflächen schaffen. Wohnen vor Freizeit und Hobby!

  18. 20.

    Die EU-Freizügigkeit dient der beruflichen Niederlassung und des sich daraus ergebenen Verweilens eines EU-Bürgers im entsprechenden EU-Raum. Bei Aufenthalten über drei Monaten ohne berufliche Tätigkeit muss der EU Bürger wieder ausreisen. Obdachlose aus EU-Ländern arbeiten in Berlin nicht, somit müssen sie nach drei Monaten Deutschland wieder verlassen. Für Nicht EU-Bürger gelten viel strengere Regeln.

  19. 19.

    Ach es gibt jetzt Slums in Berlin?
    Wo befinden sich diese?
    Dies wäre dann allerdings sehr traurig.

Nächster Artikel