Nur eine Toilette, kein Frischwasser - Illegales Camp am Berliner Hauptbahnhof beschäftigt Kleingärtner und Bezirk
Der Kleingartenverein möchte Wasser und Müllentsorgung für sie, der Bezirk will die Menschen umsiedeln. Was die Bewohner eines illegalen Camps in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes selber wollen, weiß niemand. Ein Ortsbesuch von Anna Bordel
"Wenn es kalt ist, dann ist es kalt", sagt Bob. Schwarze, zurück gegelte Haare, fast schwarze Augen, dunkle Skinny-Jeans und Turnschuhe. Kurz vorher ist der Jugendliche aus einer der selbst gezimmerten Hütten gekommen, die an diesem kühlen Vormittag im März vollständig verlassen schienen. Bis Bob aufgetaucht ist.
Er wohne seit einem Jahr in diesem Camp auf einem Grünstreifen in der Nähe des Hauptbahnhofes in Berlin-Mitte und im Winter sei es nicht einfach. Bob sagt, er komme aus Budapest, dass er 16 Jahre alt ist und dass es hier keine Arbeit für ihn gibt. Englisch spricht er nicht, ein bisschen Deutsch. Um zu erklären, woher er das kann, reicht es nicht. Die anderen Camp-Bewohner, die meisten Rumänen, seien am Bahnhof betteln, sagt Bob. "Arbeit hat hier keiner. Nur betteln."
Camp zwischen Hauptbahnhof und Kleingartenverein
Dass sie hier wild in ihren selbstgebauten Hütten leben, ohne jemanden gefragt zu haben, das gefällt nicht allen. Die Fläche gehört dem Bezirk Mitte, der eigenen Angaben zufolge bemüht ist, die Anwohner umzusiedeln. Darüber würden sich vor allem die Mitglieder des Kleingartenvereins Lehrter Straße freuen. In einem Schreiben haben sie sich an den Bezirk und Medien gewandt und fordern kurzfristig schnelle Hilfe bei der Müllent- und Wasserversorgung für die Camp-Bewohner. Langfristig wünschen sie sich aber, dass sie von dort verschwinden - diese Hütten, die eigentlich gar keine Hütten sind.
Eher Baracken, die aus Spanplatten, Brettern und Planen zusammengezimmert und, jede einzelne, gut verriegelt sind. Vielleicht gegen Blicke, vielleicht gegen kalte Luft. Es sind um die 20 - in jeder wohnen etwa ein bis zwei Menschen, wie Bob sagt. Wasser würden sie im Moment von der Stadtmission in der Lehrter Straße bekommen. Außer den Bewohnern selbst komme nie jemand her und biete Hilfe an, sagt er.
Vorbeilaufen tun allerdings viele - Menschen mit Kinderwagen, Rollkoffern und Coffee-to-go-Bechern. Das Camp liegt direkt neben einem Weg, der über einen schmalen Grünstreifen in das Grundstück des Kleingartenvereins führt. Die Umgebung könnte kontrastreicher nicht sein: Auf der einen Seite eine Großbaustelle, das KPMG-Hochhaus, der Verkehrstumult und die Konsummeile des Hauptbahnhofes. Auf der anderen Seite die historische Stätte des Zellengefängnisses Moabit und die Parzellen des Kleingartenvereins.
Bezirk möchte Camp nicht mit Wasser versorgen
Mittlerweile lebten die Menschen in dem Camp dauerhaft, wie Laura Sander, Sprecherin des Bezirksamtes Mitte rbb|24 bestätigte. Das sei nicht immer so gewesen. Der Bezirk hat nach eigenen Angaben temporär eine Öko-Toilette aufgestellt. Mehr sei aber nicht geplant. "Das Bezirksamt Mitte strebt nicht an, das Camp am Hauptbahnhof zu verstetigen, indem dort eine Wasserver- sowie eine Müllentsorgung etabliert werden", so Sander. Dabei hätte sich das Camp dort längst fest angesiedelt - Wasser hin oder her -, meinen andere.
Carola Baseler ist eine von ihnen. Sie ist im Vorstand des Kleingartenvereins Lehrter Straße e.V.. Seit 15 Jahren hat sie ihre Gartenparzelle dort. "Wir haben viel mit der Notdurft der Menschen auf den Wegen zu tun und unser Müllcontainer ist in den vergangenen Saisons heillos überfüllt gewesen", erzählt sie. Problematisch sei auch, wie die Menschen nach Wasser fragen. "Das tun sie teilweise sehr fordernd oder sogar nötigend", so Baseler. Einige Mitglieder würden sich außerdem nicht mehr sicher fühlen, seit es das Camp gibt. Konkrete Vorfälle gab es laut Baseler nicht. "Dennoch halten viele mittlerweile ihre Parzellen dicht. Das machen wir insgesamt jetzt fast alle, besonders die Frauen unter uns: unsere Parzellen abschließen, die Türen der Gärten zumachen. Die Situation war mal eine freiere".
Vorläufig fordern Baseler und die anderen Kleingarteninhaber, dass der Bezirk dafür sorgt, dass die Camp-Bewohner Wasser und Toiletten bekommen und der Müll entsorgt wird. Langfristig wollen sie, dass das Camp umgesetzt wird: "Wir können ja die Gärten nicht mehr in Ruhe nutzen", sagt sie.
Bezirk sucht alternative Unterkunft
Ende März ist ein Treffen zwischen den Vertretern des Kleingartenvereins und der Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) geplant, bei dem es um die Zukunft des Camps gehen soll. Ziel des Bezirks ist es laut Sprecherin Sander, dass den Menschen alternative Unterkünfte angeboten werden können, in denen sie in ihrem Familienverbund bleiben. Gefunden seien diese derzeit noch nicht.
Außerdem hätten die Bewohner des Camps bislang die Hilfsangebote des Bezirks nicht angenommen. Immer wieder hatte der Bezirk eigenen Angaben zufolge Beratungs- und Betreuungsangebote gemacht, die ausgeschlagen wurden. Daher betonte Sander, die Herausforderung sei nicht allein, Unterkünfte zu finden, sondern die Menschen auch zu überzeugen dort einzuziehen. "Wir wünschen uns sehr und sehen es als unsere moralische Verpflichtung an, dass es uns gelingen wird, die Menschen davon zu überzeugen, dass dies für alle Beteiligten die lebenswertere und vernünftigere Alternative ist als das Leben auf der Straße", betonte Sander.
Mehrere Minderjährige leben im Camp
Die Grünfläche gehört zum Teil dem Bezirksamt Mitte, der andere Teil gehört der Deutschen Bahn. Das landeseigene Unternehmen Grünberlin plant auf der gesamten Fläche, eine Grünanlage zu schaffen. Die Bauarbeiten für den sogenannten "Döberitzer Grünzug" sollen nach Angaben von Grünberlin im Sommer 2023 beginnen. Was das für die Bewohner des Camps bedeutet, ist unklar.
Der Bezirk prüft laut Sander auch, was mit Minderjährigen wie dem 16-jährigen Bob geschehen soll, die in dem Camp leben - Fragen nach dem Kinderschutz und der Schulpflicht müssten geklärt werden. Antworten gebe es noch keine.
Während des Gesprächs mit Bob kommt plötzlich ein Mann mittleren Alters dazu, in der Hand ein paar schwarze Sneaker. Beide reden in einer nichtdeutschen Sprache miteinander, der Mann aufgeregt, Bob ruhig. Der Mann bleibt, er guckt misstrauisch. Dann verabschiedet Bob sich freundlich und geht mit dem anderen fort. Vorher hatte er noch von seinen Plänen für den Tag erzählt: nichts.
Hinweis: Wir haben nach Veröffentlichung des Beitrags die Informationen zu den Besitzverhältnissen der betroffenen Fläche noch erweitert.
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