Protestkundgebung in Berlin - "Frauen brauchen mehr Frauenhäuser"
In Berlin und Brandenburg fehlen fast 900 Plätze für schutzsuchende Frauen. Am Dienstag protestieren die Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern für mehr Plätze und eine andere Finanzierung der Zufluchtsstätten. Von Sylvia Tiegs
- 2021 gab es laut Polizei in Berlin mehr als 15.600 Fälle häuslicher Gewalt, Brandenburg verzeichnete rund 5.000 Fälle
- 70 Prozent der Opfer sind Frauen
- Laut eines eurpäischen Übereinkommens müsste es in Brandenburg etwa 600 Plätze in Frauenhäusern geben, derzeit sind es 290
- In Berlin müssten es demnach etwa 1.000 Plätze sein, aktuell sind es 420
Eine kleine Seitenstraße, irgendwo in Berlin. Hier befindet sich das Frauenhaus Hestia. Die Adresse muss geheim bleiben, genauso wie die Namen der hier Arbeitenden. Es geht dabei um die Sicherheit für die Frauen - damit nicht plötzlich Gewalttäter, vor denen sie geflohen sind, vor der Tür stehen. Es geht aber auch um die Sicherheit der Sozialarbeiterinnen, die die Schutzsuchenden hier betreuen: "Seit es Frauenhäuser gibt, gibt es Angriffe auf die Häuser und auf die Mitarbeiterinnen", sagt die Sozialarbeiterin. Die Personen, vor denen die Frauen geflüchtet sind, seien oft "wirklich gefährlich, teilweise bewaffnet und ohne Skrupel".
Schläge, Tritte, Demütigungen
Die Polizeien von Berlin und Brandenburg verzeichneten allein für das Jahr 2021 zusammen mehr als 20.000 Fälle häuslicher Gewalt. Gerade erst am vergangenen Samstag hat ein Mann in Berlin-Lichtenberg seine Lebensgefährtin mit einem Messer derart schwer verletzt, dass sie reanimiert werden musste. Der jugendliche Sohn der Frau hatte das alles miterleben müssen.
Die Folgen schlimmster körperlicher Gewalt zu sehen, gehört zum Alltag der Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern: "Schläge, Tritte, Würgen; Angriffe mit Waffen", zählt die Sozialarbeiterin des Frauenhauses Hestia auf. Dazu sehen sie aber auch Formen psychischer Gewalt wie "jahrelange Demütigungen, Isolation von der Außenwelt, das Vorenthalten von Geld".
Meist alle Plätze belegt
Wer dem entkommt, findet aktuell in sieben Frauenhäusern in Berlin Zuflucht, zumindest theoretisch. Denn die 420 Plätze sind stadtweit meistens belegt. Allein die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Hestia mussten im vergangenen Jahr 320 Frauen und 258 Kinder ablehnen, weil sie keine Plätze frei hatten. Für Gewaltopfer sei das furchtbar und für die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser "extrem belastend".
Verstoß gegen die Istanbul-Konvention
Dabei hat sich Deutschland 2017 im "Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" - kurz Istanbul-Konvention genannt - international verpflichtet, Frauen vor Gewalt zu schützen. Diese Konvention verlangt unter anderem, ausreichend Notfallplätze vorzuhalten. Dafür gilt folgende Formel: Pro 10.000 Einwohner:innen soll es einen sogenannten Familienplatz geben. Ein solcher Platz gilt rechnerisch für eine Frau und ein bis zwei Kinder. Für Berlin wären das demnach etwa 1.000 Plätze in Frauenhäusern - mehr als das Doppelte dessen, was aktuell vorhanden ist.
In Brandenburg ist es ähnlich: Hier gibt es aktuell rund 290 Plätze in Frauenhäusern, nach der Istanbul-Konvention müssten es aber etwa 600 sein. Tatsächlich machen auch Brandenburger Einrichtungen regelmäßig die bittere Erfahrung, schutzsuchende Gewaltopfer wegschicken zu müssen – weil sie belegt sind.
Aufruf zu Streik am Dienstag
Nun haben die autonomen Frauenhäuser für Dienstag zum deutschlandweiten Streik aufgerufen. Autonome Frauenhäuser sind Einrichtungen, die selbständig arbeiten, ohne einen kirchlichen oder sozialen Träger im Hintergrund. Die zentrale Protestkundgebung soll ab 13 Uhr in Berlin vor dem Brandenburger Tor stattfinden.
Sie fordern mehr Frauenhausplätze und eine bessere Finanzierung. Zwar werden alle deutschen Frauenhäuser staatlich unterstützt. Aber im Grundsatz entscheidet jedes Bundesland, jeder Stadtstaat selbst, wie und welcher Höhe Gelder fließen. Frauenhäuser fordern stattdessen eine bundesweit einheitliche und auskömmlichere Regelung. Wie die aussehen könnte, auch darüber wollen die Vertreterinnen der Frauenhäuser bei ihrem Protest am Dienstag vor dem Brandenburger Tor informieren.
Die Mitarbeiter des autonomen Berliner Frauenhauses Hestia wollen auch zur Kundgebung fahren. "Wir haben im Haus einen Notbetrieb organisiert, und wir nehmen unser Rufbereitschaft-Telefon mit.“ Da sich ihre Arbeit immer zwangsläufig im Verborgenen abspiele, sei es ihnen wichtig, einmal geschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen und darüber berichten, dass Frauen massiv unter Gewalt leiden. "Frauen brauchen mehr Frauenhäuser!", betont die Sozialarbeiterin.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.03.2023, 06:30 Uhr