Dolgelin (Märkisch-Oderland) - Wie Senioren das Dorfleben auf ihr Smartphone gebracht haben
Inserate fürs Schwarze Brett, Nachbarschaftshilfe oder das Neueste auf dem Dorfleben: In einem Dorf im Oderbruch ist das alles über eine App möglich. Gestartet wurde das Projekt von den Senioren des Ortes.
Besonders im ländlichen Raum werden Gespräche beim Bäcker oder anderen Geschäften auch als "Dorffunk" bezeichnet. Doch dort, wo eben jene Anlaufstellen rar gesät sind oder es sie schlicht nicht mehr gibt, könnte künftig die Technik den Austausch am Laufen halten. In Dolgelin südlich von Seelow (Märkisch-Oderland) treiben das ausgerechnet die Senioren mit der Smartphone-App "Dorffunk" voran.
Senioren gehen digital voran
Der Weg zum Schaukasten in der Ortsmitte kann lang sein, wenn man auf den Rollator angewiesen ist. Trotzdem hat Annette Markert-Sidibé die Strapazen regelmäßig auf sich genommen, um über die Beschlüsse der letzten Ortsbeiratssitzung auf dem Laufenden zu bleiben. "Zum Beispiel über den Friedhof, wo Gebühren erhoben werden." Doch auch in den Aushängen hinter dem Glas sind die gesuchten Infos nur schwer zu finden. Das soll sich durch die Digitalisierung jetzt ändern.
Der Verein "Bei den Rollatoren" hatte sich erfolgreich für die Finanzierung einer Dorffunk-App beworben. Das Fraunhofer-Institut für experimentelles Software-Engineering hat die Anwendung im Rahmen des Projektes "Digitale Dörfer" entwickelt und seit 2015 bereits unterschiedliche Formate in mehreren Bundesländern getestet [www.digitale-doerfer.de].
Mit dem Dorffunk sind die Oderländer Senioren in Brandenburg allerdings die ersten. Gemeinsam mit den Entwicklern wurde die App speziell für die Dolgeliner angepasst. "Wir möchten nicht als die abgestempelt werden, die beim Seniorentreff bei Kaffee und Kuchen sitzen. Wir können mehr", sagt die Vereinsvorsitzende Christine Helbig.
Von Kleinanzeigen bis zur Mitfahrgelegenheit
Helbig, die früher als Informatikerin gearbeitet hat, erklärt den anderen Mitgliedern geduldig, wie alles funktioniert. So scrollen die Vereins-Mitglieder auf den Sitzungen gerne gemeinsam durch die App. Übersichtlich sind oben auf dem Bildschirm die Rubriken aufgelistet. Dazu zählen etwa Gruppenchats, ein Veranstaltungsfinder oder ein Schwarzes Brett für Gesuche und Angebote. Ein Nutzer fotografiert ein Laminiergerät bietet es unter den Kleinanzeigen feil - exklusiv nur für Dolgelin. Ruckzuck ploppt das Inserat als Botschaft bei allen Nutzerhandys auf.
Doch die App kann mehr. Renate Jaeger möchte künftig nach Mitfahrgelegenheiten suchen. "Ich fahr zwar noch Auto, aber nach Berlin ist es doch eine ganz schöne Strecke. Da finde ich es schön, wenn ich im Dorffunk angeben könnte: Wer fährt in den nächsten Tagen nach Berlin, wieder zurück und könnte mich mitnehmen?"
Vernetzen statt vereinsamen
Doch nicht nur praktische, sondern auch soziale Aspekte spielen eine Rolle. Birgit Gattner ist zum Beispiel erst vor wenigen Jahren nach Dolgelin gezogen. "Ich denke, es ist wichtig, um dazuzugehören. Damit meine Nachbarn wissen: aha, die braucht jetzt Hilfe." Auch Michael Gattner konnte während einer Reha trotzdem verfolgen, was im Ort Neues vor sich gegangen ist.
Insgesamt rund 450 Einwohner hat Dolgelin. 76 haben die App bereits installiert; Tendenz stark steigend, heißt es vom Seniorenverein. Auch Annette Markert-Sidibé ist jetzt mit dabei, und weiß, was neulich in der Gemeinde zur Gebührenordnung auf dem Friedhof beschlossen wurde. Beim Stöbern ist sie zudem auf einen Eintrag gestoßen. Die Kinder der Grundschule haben ein Buch mit Rezepten gestaltet. Das will sich die Rentnerin jetzt auch besorgen.
Anerkennung gab es für das Digital-Projekt auch über das Oderland hinaus. Neben der Auszeichnung von der Koordinierungsstelle Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement des Landes Brandenburg, war der Seniorenverein auch unter den Nominierten für den Deutschen Engagementpreis, welcher im vergangenen Dezember verliehen wurde [deutscher-engagementpreis.de].
Sendung: 30.01.2024, 14:10 Uhr
Mit Material von Fred Pilarski