Unterführung in Charlottenburg-Wilmersdorf - Ping-Pong statt Pipigeruch: Bezirk testet Messedammtunnel als Veranstaltungsort
Er mieft und taugt vor allem als Kulisse für düstere Action-Filme: Der Messedammtunnel am ZOB. Irgendwann soll er gänzlich schließen, bis dahin aber hat der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf neue Pläne mit der "Passerelle".
Keine Frage: Berlin hat echt hässliche Ecken. Eine, die besonders zentral gelegen ist, ist die Fußgängerunterführung unter dem Messedamm - gleich zwischen Messehallen, Zentralem Omnibusbahnhof (ZOB) und dem ICC. Wer sich in den Schlund unter den Berliner Asphalt wagt, den erwartet eine Mischung aus verstörender Tatort-Atmosphäre, orangenem Retro-Design und innerstädtischem Lost Place inklusive Uringeruch und Müll.
Das mag für Menschen mit Hang zu urbanen Mikroabenteuern faszinierend sein. Oder für die Kinobranche – in der Grusel-Unterführung entstanden schon etliche Filme. Doch der eigentliche Nutzen der Unterführung ist seit Jahren gefühlt obsolet.
Was beim Berliner nur ein Kopfschütteln hervorruft, wird für auswärtige Gäste der Stadt zum Problem. Lange Gesichter beim Zu- oder Umstieg von der S-Bahn zum ZOB oder zu den Messehallen. Wer nicht mehr weiterkommt, versucht es auch mal über die Radwege über die Kreuzung zu gelangen – zum Ärger der Radfahrer. Nicht zuletzt kann die mehrspurige Kreuzung hier sehr gefährlich sein.
Der sicherste Weg ist derzeit eine oberirdische Behelfsampel vor dem ZOB-Gelände – mit Schildern mit Hinweisen zur S-Bahn, die jedoch auch übersehen werden können.
Messedammtunnel soll geschlossen werden
Dabei könnte es so einfach sein: Eine gut ausgeschilderte Unterführung unter der Straße durch – stark ausgeleuchtet, mit internationalen Hinweisschildern, Rolltreppen, Fahrstühlen, barrierearm. Dass es diese tatsächlich gibt, sie aber praktisch unnutzbar ist, wirkt skurril.
Wahrscheinlich ist dies auch der erste Eindruck vieler auswärtiger Fahrgäste, die zum und vom ZOB kommen und den Fußgängertunnel als Option wahrnehmen. "Man darf nicht vergessen, dass wir als Weltstadt Berlin natürlich auch ein Interesse daran haben, dass die Gäste, die hierherkommen, sich hier auch wohlfühlen", sagt Carsten Rudolph, Vorstand AG City dem rbb.
Im Sommer 2023 teilte die Berliner Verkehrsverwaltung mit, dass der Fußgängertunnel am ehemaligen Kongresszentrum ICC geschlossen werden soll. Geplant sei, den Fußgängerverkehr "künftig oberirdisch abzuwickeln und die Anlage außer Betrieb zu nehmen", so eine Sprecherin zum damaligen Zeitpunkt.
Bislang fehlen aber an der großen Kreuzung von Messedamm, Masurenallee und Kantstraße Ampeln für Fußgänger – das ganze Ensemble müsste umgebaut werden. Für den Tunnel würden dann allerdings die Instandhaltungs- und Reinigungskosten sinken.
Auf Anfrage teilte die Verkehrsverwaltung dem rbb mit, dass auch im März 2024 weiterhin kein Zeitplan für eine Schließung und möglichen Umbau vorläge. Im ersten Halbjahr 2024 soll aber eine Machbarkeitsuntersuchung "Möglichkeiten der ebenerdigen Führung des Fußgängerverkehrs" aufzeigen, ob man in Zukunft auf die "Passerelle" als Ort für den Fußgängerverkehr verzichten könne. Die Ergebnisse könnten auch als Anhaltspunkt dienen, wie die Kreuzung zu einem späteren Zeitpunkt einmal umgebaut werden könnte.
Retro-Tunnel am Messedamm soll 2024 Veranstaltungsort werden
Daher nun ein neuer Versuch: Der Retro-Tunnel mit Eröffnungsjahr 1975 soll nun Veranstaltungsort werden.
So soll der Messedammtunnel in der Zeit der der Internationalen Tourismusbörse (ITB) vom 5. bis 7. März zur Konzertbühne werden [berlin.de]. Dies gab die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe am Freitag bekannt. In der Zeit von 10 bis 21 Uhr sollen Berliner Künstlerinnen und Künstler für Passanten und Gäste der ITB auftreten Das Projekt findet zusammen mit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der Berlin Club Commission, Messe Berlin und visitBerlin statt.
Vom 26. bis 28. April wiederum soll unter der Fahrbahn ein öffentliches Tischtennis-Turnier stattfinden. Mit maximal 200 Leuten und acht Tischtennis-Platten - wegen der Fluchtwege. Toiletten und Lagerfläche gäbe es, denn der Tunnel war ursprünglich mal als Verbindungsweg zu einem geplanten U-Bahnhof vorgesehen.
"Es geht uns darum, dass wir unten in der Passarelle eine dauerhafte, inhaltliche Bespielung haben", so Oliver Schruoffeneger (Grüne), Bezirksstadtrat für Ordnung, Umwelt, Straßen und Grünflächen, gegenüber dem rbb. "Die einerseits der Nachbarschaft und den Menschen was bringt, aber auch ein Stück weit soziale Kontrolle da reinbringt, damit da beobachtet wird, was da passiert."
Ausgedacht hat sich das Ganze die Agentur "Die Wellenmaschine". Agentur-Geschäftsführer Uwe Buhrdorf ist laut "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt] auch einer der beiden Autoren einer Machbarkeitsstudie für Nutzungskonzepte für die "Passerelle". Die Studie wurde bereits im Jahr 2020 vorgelegt.
Imagewandel für den Tunnel – Bezirk hofft auf Einnahmen
Rund 50.000 Euro soll das Tischtennis-Turnier unterm Asphalt laut "Tagespiegel" kosten, man hoffe auf eine "Anschubfinanzierung" des Landes Berlin – zum Beispiel über die Bettensteuer (City Tax). Zwei oder drei weitere Veranstaltungen könnten 2024 noch folgen, denkbar sind Musik- oder Sportevents. Zum Vergleich: Derzeit entstehen pro Jahr Unterhaltskosten für den Messedammtunnel in Höhe von von 350.000 Euro.
Mehr Events bedeuten langsamen Imagewandel – und bedeuten, der Tunnel könnte eine neue Chance haben. Über Vermietungen und Werbung könnten so laut Schruoffeneger Einnahmen generiert werden, die in die Unterhaltung des Tunnels flössen. Vielleicht lassen sich damit auch die Probleme der Rolltreppe lösen – zwei davon wurden ausgeschlachtet, weil Ersatzteile fehlen. Auch die passenden Leuchtstoffröhren für die Lampen in der Unterführung gibt es bereits nicht mehr.
Sendung: rbb Abendschau, 29.02.2024, 19:30 Uhr