Forderungen von Hebammen - "Die hebammengeleitete Geburt sollte Standard sein"

Mo 15.05.23 | 07:51 Uhr | Von Oda Tischewski
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Archivbild: Eine Hebamme untersucht am 24.06.2015 im Geburtshaus in Oldenburg (Niedersachsen) den Bauch einer werdenden Mutter. Eine Hebamme untersucht am 24.06.2015 im Geburtshaus in Oldenburg (Niedersachsen) den Bauch einer werdenden Mutter. (Quelle: dpa/Thorsten Helmerichs)
Audio: rbb24 Inforadio | 15.05.2023 | Oda Tischewski | Bild: dpa/Thorsten Helmerichs

Nur etwa drei Prozent der Kinder in Berlin werden außerhalb eines Krankenhauses geboren. Der Deutsche Hebammenverband würde diese enge Verzahnung von Medizin und Geburtshilfe jedoch gerne lockern: zum Beispiel mit mehr Geburtshäusern. Von Oda Tischewski

Wer die britische Serie "Call the Midwife" über die Arbeit von Hebammen im London der 1950er und 1960er Jahre gesehen hat, kennt das Ideal der 1:1-Betreuung von Frauen in den Wehen: eine oder sogar zwei Hebammen, die sie unermüdlich versorgen - egal, wie lange es dauert. Steißlage, Zwillingsgeburt oder abfallende Herztöne - es gibt kaum etwas, womit die Fachfrauen nicht allein zurecht kommen. Nur selten wird der Arzt gerufen. Der Film zeigt keine Utopie: Die 1:1-Betreuung durch eine Hebamme unter der Geburt ist in Großbritannien bis heute gesetzlich geregelter Standard.

Ganz anders in Deutschland, kritisiert Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes: "Wenn wir mit unseren Kolleginnen aus Skandinavien oder aus England sprechen, dann können die das gar nicht glauben, von welchen Situationen wir sprechen in Deutschland: Eine Frau teilt sich die Hebamme während der Geburt mit zwei bis vier anderen Frauen."

Hebammen in Deutschland für deutlich mehr Frauen zuständig

Viele Hebammen verlassen die Kliniken – aus genau diesen Gründen, erzählt Mandy Pleikies. Sie hat das Geburtshaus Treptow mit gegründet, eines von elf Geburtshäusern in Berlin und Brandenburg. Und auch in ihrem Team arbeiten ehemalige Krankenhaus-Hebammen: "Es ist zu viel, also zu viele Frauen gleichzeitig zu betreuen. Viele Hebammen hören auf, weil die Bedingungen im Kreißsaal schlecht sind: Personalmangel, Überarbeitung - es macht einfach keinen Spaß."

Zudem werden immer mehr Geburtsstationen in Deutschland geschlossen, ein Rückgang um 40 Prozent seit Anfang der 1990er Jahre. Der Grund: Geburten, die ohne medizinische Eingriffe auskommen, werden von den Kassen kaum vergütet - ein Verlustgeschäft für die Krankenhäuser. Die Folge: Die Kaiserschnittrate in Deutschland ist mit knapp 30 Prozent doppelt so hoch, wie die WHO empfiehlt. Frühgeburten und Neugeborene unter 1.500 Gramm gibt es Deutschland im EU-weiten Vergleich am dritthäufigsten. Für Ulrike Geppert-Orthofer sind das deutliche Anzeichen dafür, dass die medizinische Versorgung, die möglich ist, nicht ausreichend dort ankommt, wo sie gebraucht wird.

Verband schlägt Hebammen-Kreißsäle vor

Der Ansatz des Hebammenverbandes wäre stattdessen: Mehr hebammengeleitete Einrichtungen wie Hebammen-Kreißsäle oder Geburtshäuser sollten Kliniken entlasten und gleichzeitig Schwangeren die 1:1-Betreuung gewährleisten, die sie brauchen und sich wünschen. Denn nicht zuletzt die Qualität der Betreuung ist verantwortlich dafür, dass etwa 20 Prozent der Frauen in Deutschland ihr Geburtserlebnis im Nachhinein als "traumatisch" beschreiben.

Die anstehende Krankenhaus-Strukturreform sieht der Deutsche Hebammenverband als Chance, auch in der Geburtshilfe grundlegende Veränderungen anzustoßen. So solle die Einführung eigener Leistungsgruppen für Hebammengeburten und Geburten mit Facharztstandard die Geburtshilfe in der Krankenhausplanung stärker verankern und die Qualität der Versorgung deutlich verbessern. Für die Zukunft hat Verbandpräsidentin Ulrike Geppert-Orthofer klare Ziele: "Die hebammengeleitete Geburt sollte Standard sein - und zwar überall." Darüber hinaus gebe es dann weitere, "klassische" Kreißsäle mit ärztlichem Personal für Risikogeburten.

Auch die Krankenhäuser sehen eine Entwicklung hin zu mehr hebammengeleiteter Geburtshilfe positiv. "In Berlin haben unsere Vivantes Kliniken sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Geburtshäusern", teilt etwa der Berliner Krankenhausverband Vivantes mit. "Geburtshäuser verstehen wir als ein erweitertes Angebot in der Stadt, als eine Ergänzung." Weiter betont Vivantes: "Da Geburtshäuser eine Verlegungsrate von ca. 30 Prozent bei Erstgebärenden haben und diese Verlegung insbesondere für die Schwangere eine Belastung darstellt, ist der hebammengeleitete Kreißsaal eine sehr gute Lösung. Das heißt innerhalb einer Klinik für gesunde Schwangere die Möglichkeit ausschließlich von Hebammen betreut zu werden, solange keine Komplikationen auftreten, die ein Hinzuziehen der Ärzt:in erforderlich macht. Bei Bedarf kann ohne Verlegung jederzeit die Ärzt:in dazu gerufen werden."

Ausbau der Hebammenkreißsäle steht im Koalitionsvertrag der Ampel

Noch ist das Zukunftsmusik, denn bundesweit gibt es bisher nur 24 Hebammen-Kreißsäle, keiner davon in Berlin oder Brandenburg. Mit ihren Forderungen wendet sich der Deutsche Hebammenverband daher an die Politik, denn bei der Planung der Krankenhaus-Strukturreform sei die Sicht der Hebammen zunächst nicht gefragt gewesen, so Ulrike Geppert-Orthofer. Nun hofft der Verband, sich in Gesprächen, unter anderem mit dem Bundesgesundheitsministerium, Gehör verschaffen zu können - zumal die Ampel sich den Ausbau der Hebammen-Kreißsäle bereits in den Koalitionsvertrag geschrieben hat.

Aber selbst, wenn das Angebot stünde, stellt sich noch immer die Frage der Akzeptanz unter den Schwangeren. "Das ist in den Köpfen nicht verankert: 'Ich bin schwanger, ich geh zur Hebamme.' Sondern: 'Ich bin schwanger, ich geh zum Gynäkologen'", sagt Mandy Pleikies vom Geburtshaus Treptow. "Der Frauenarzt sollte die Frau aufklären über alle möglichen Geburtsorte und das neutral und auch studienbezogen. Und die Studien besagen seit Jahren, dass die außerklinische Geburtshilfe genauso sicher ist wie die klinische Geburtshilfe – durch die 1:1-Betreuung und weil wir schnell reagieren können."

"Reagieren" kann im Fall einer Geburtshausgeburt auch bedeuten, dass am Ende doch ins Krankenhaus verlegt wird: Etwa 25 bis 30 Prozent der Geburten, die im Geburtshaus beginnen, enden in einer Klinik – oft weil die Gebärenden zum Beispiel Schmerzmedikamente wünschen, die die Hebammen nicht verabreichen dürfen. Mit einem Kaiserschnitt muss eine Verlegung aber nicht enden: Nur etwa fünf Prozent der Frauen, die sich für ein Geburtshaus entscheiden, haben am Ende einen Kaiserschnitt – weit unter dem deutschen Durchschnitt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.05.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Oda Tischewski

13 Kommentare

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  1. 13.

    Meine jüngere Tochter wurde 1996 im Geburtshaus geboren, welches Erlebnis, dass ich mit meinen anderen Kindern nicht teilen konnte, sehr, sehr schade. Es war ja für mich schon ein Riesenerlebnis, bei der Geburt meines jüngeren Sohnes 1994 im Urban-Krankenhaus dabei sein zu dürfen.

  2. 12.

    Drei Kommentare am Anfang, die wirklich alles durcheinanderwerfen, nur um etwas sagen zu müssen. Beeindruckend. (Ich für meinen Teil denke, dass der Beitrag eindrücklich beschreibt, wie dringend eine Reform der Geburtsmedizin in Deutschland ist, das deckt sich auch mit meinen eigenen Erfahrungen, die ich aber nicht absolut setzen würde. Das überlasse ich den Üblichen.)

  3. 11.

    "Die Kaiserschnittrate in Deutschland ist mit knapp 30 Prozent doppelt so hoch, wie die WHO empfiehlt. Frühgeburten und Neugeborene unter 1.500 Gramm gibt es Deutschland im EU-weiten Vergleich am dritthäufigsten."

    Wahnsinn... Manchmal erstaunt es mich einfach (bzw macht traurig), wenn ich solche Statistiken lese.

    Persönliche Anekdote und damit nicht grundsätzlich zu verallgemeinern:
    Wir waren im Geburtshaus Treptow vor Geburt unserer Tochter, konnten aber bei dem Ansturm keinen Termin finden. Mit Glück haben wir eine Hebamme (die leider nicht gut in der Betreuung war) gefunden, die uns eine Hausgeburt ermöglicht hat. Sie war am Ende bei der Geburt gar nicht dabei, nur Frau und ich; was am Ende genau so richtig war. Meine Frau war damals sehr selbstbestimmt und hat sich ungemein auf die Geburt vorbereitet, ein Erlebnis, was wir nicht mehr vergessen werden
    Am Ende muss jedes Paar es selbst entscheiden, Hauptsache es hat ungezwungen die selbstbestimmte Wahl!

  4. 10.

    @ Dagmar, das ist vielleicht bei Frauen weit über 40 der Fall. Aber die wenigsten Frauen sind bei der ersten Geburt so alt.
    Das ist einfach Quatsch.
    Ich glaube, Sie haben meinen Kommentar nicht verstanden, denn ich sprach von EU Vergleich. Aber vielleicht sind ja alle Schwangeren in Deurschland einfach älter und kränker, als im Rest der EU. Das würde natürlich die Zahlen erklären. Ist das Gleiche, wie mit den Knie-OPs, die in Deutschland überproportional stattfinden. Ich erkläre mir das allerdings eher mit Kosten und Erstattungen der Krankenkassen und das Ärzte an einem Kaiserschnitt mehr verdienen und dass der besser in den Belegungsplan passt.

  5. 9.

    So fängt das Leben unserer Kinder an: Geburt als Krankheit! Bei der Geburt unserer vier Kinder (drei ambulante Geburten) haben wir immer auf die erfahrenen Hebammen gesetzt. Im Krankenhaus war zwar auch ein Arzt verfügbar, aber die Geburten selbst waren für unser Empfinden immer von der Hebamme geleitet.

    Für den Notfall war die ärztliche Versorgung sichergestellt. Insofern waren es immer Hebammen-Geburten mit Netz und doppeltem Boden. Wir waren mit der einfühlsamen und zugleich professionellen Arbeit der Hebammen sehr zufrieden und würden das wieder so machen.

    Dass den Hebammen der Geldhahn immer mehr abgedreht wird und sie immer weniger Möglichkeiten haben, ihren Beruf vernünftig auszuüben, das finden wir sehr schade. Und dass Schwangeren und Paaren immer mehr Angst gemacht wird, das missfällt uns ebenfalls.

  6. 8.

    Ihre Ausführungen zeigen, dass Sie meinen Beitrag nicht aufmerksam gelesen haben.
    Das Alter der gebärenden Frauen hat sich erhöht, gleichzeitig nehmen auch Stoffwechselerkrankungrn etc.zu, und beide Faktoren erhöhen das Risiko für Mutter und Kind signifikant, eine Zunahme an Frühgeburten und andere Risiken für Mutter und Kind haben zugenommen.
    Ergo, jede Frau soll einen Anspruch auf eine ärztlich betreute Geburt haben, und da sollen die Kosten keine Rolle spielen.

    Die Frauen, die dies ablehnen, die können es eigenverantwortlich nach ihrem eigenen Gusto handhaben.

  7. 7.

    Ich bin erstaunt, wie misstrauisch man dem Können und der Erfahrung von Hebammen gegenüber steht.
    @ Dagmar, leider werden in Deutschland im EU-Vergleich viele unnötige Operationen und Eingriffe gemacht. Eine erfahrene Hebamme würde im Zweifel die Frau auch aus eigenem Interesse ins Krankenhaus überweisen.
    Dass viele Frauen im Endeffekt wegen Betäubung oder Schmerzmittel ins Krankenhaus wollen/müssen ist traurig.
    Eine gute Geburtsvorbereitung mit einer Hebamme kann auch darauf vorbereiten. Aber bei immer weniger Hebammen wird wohl auch da gespart.
    Auch hier ist wieder das Geld im Spiel.

  8. 5.

    Na deine wievielte Geburt ist das denn schon ?
    Ich kann nach zwei Geburten , in der ich von Hebammen nicht esoterisch sondern tatkräftig und professionell begleitet und versorgt wurde nur mein Mitgefühl für die vielen Frauen aussprechen die in dieser existenziellen Situation alleingelassen in einem krankenhauszimner auf 1:1 Betreuung verzichten müssen .
    Dieser wichtige Beruf gehört gewertschätzt und unterstützt.

  9. 4.

    Wir haben negative Erfahrungen mit Hebammen gemacht. Allein auf eine Hebamme, ohne die Unterstützung eines Arztes/einer Ärztin, hinterließe bei mir kein sicheres Gefühl.

  10. 3.

    Viele Hebammen wirken esoterisch angehaucht und verspielen dadurch wichtiges Vertrauen, damit sich jemand auch in ein Geburtshaus traut.
    Zusammen mit dem Risiko doch noch ins KKH transportiert werden zu müssen, ist das Konzept nicht überzeugend.

  11. 2.

    ... ja, am Ende war es doch der spontane Kaiserschnitt, mit Aufenthalt in der hauseigenen Kinderklinik. Ich würde das Risiko aus übertriebenen Naturbewusstsein nicht eingehen.

  12. 1.

    Also, wenn ich lese, dass in Deutschland das Durchschnittsalter der Erstgebärenden bei 31 Jahren liegt, dass laut Barmer es hierzulande viele Risikoschwangerschaften gibt, dass bei Ungeborenen nur ein sechstel der Gesunheitsbeeinträchtigungen diagnostiziert werden können, dann spricht das dafür, einen ärztlich geleiteten Kreißsaal als Regel beizubehalten, und ein "Hebammenkreißsaal" als Zusatzangebot aufnehmen.

    In Berlin ist das Gebären in einem Geburtshaus eher ein unkalkulierbares Risiko, da durch "Klimakleber" etc. Staus häufig sind, und schnelle ärztliche Hilfe ausbleibt.

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