Kommentar | Rechtsextremismus in Brandenburg - Zurück in die 1990er?

Di 09.05.23 | 17:39 Uhr | Von Hanno Christ
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Symbolbild: Ein Mann trägt einen Pullover mit dem Aufdruck „"Deutsches Reich" bei einer Demonstration von Reichsbürgern. (Quelle: dpa/C. Gateau)
Bild: dpa/C. Gateau

Rechtsextremismus an Schulen - und Lehrer schauen weg. Muslimische Jugendliche brauchen Polizeischutz. Jüngste Ereignisse in Brandenburg wecken Erinnerungen an die 1990er Jahre. 2023 ist aber vieles anders – im Guten wie im Schlechten. Ein Kommentar von Hanno Christ

Nein, die sogenannten Baseballschläger-Jahre der 1990er Jahre sind nicht wieder da. Auf den Brandenburger Straßen werden nicht regelmäßig Menschen mit Migrationshintergrund von einem rechten Mob gejagt. Rechtsextremisten beherrschen nicht die Szene in den Dörfern und Kleinstädten. Es gibt eine Gegenöffentlichkeit, eine Zivilgesellschaft, die über Jahrzehnte von unten wie oben gewachsen ist.

Die große Mehrheit der Parteien und Politiker im Landtag reagieren und verurteilen, anstatt zu schweigen oder kleinzureden. Es gibt ein Netzwerk erfahrener Menschen, die aufklären, Opfern Hilfe leisten, aber auch danach schauen, dass es erst gar nicht zu Angriffen kommt. Brandenburger Beratungsteams, das Aktionsprogramm Tolerantes Brandenburg, Vereine wie die Opferperspektive haben sich zu Vorbildern für andere Bundesländer entwickelt.

Aufstand der Anständigen

Auch deshalb steht Brandenburg im Vergleich zu anderen Bundesländern Ostdeutschlands wie Sachsen oder Thüringen robuster da. Diese Leistung der vielen darf nicht klein- oder weggeredet werden.

Sicher: Schulleitung und Schulamt sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, weggeschaut zu haben bei rechtsextremistischen Straftaten in Burg (Spree-Neiße) und sie vielleicht sogar geduldet zu haben. Nicht zuletzt aber waren es Lehrkräfte und Schüler, die den Mut aufbrachten und sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt haben.

Klar: Es hätte nicht soweit kommen dürfen, aber die Lebenswirklichkeit heute unterscheidet sich dennoch fundamental von der, die es im Osten in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegeben hat. Es gibt tatsächlich einen Aufstand der Anständigen.

Rechtsextreme sind gut vernetzt

Gleichzeitig sickert an anderer Stelle, das schleichende Gift der Gewöhnung an Fremdenfeindlichkeit in breite Teile der Gesellschaft. Rechtsextremismus und Rassismus machen es uns schon lange nicht mehr so einfach, plump als Glatze und in klobigen Springerstiefeln daherzukommen. Der Extremismus von heute tritt subtiler und schmissiger auf, trägt Anzug, sitzt in Bundestag, Landtagen, im Rundfunkrat und hat sich über Steuermittel ein solides Netzwerk aufgebaut.

Die AfD ist schon lange im Fokus von Verfassungsschutzämtern, unlängst wurde auch die Jugendorganisation der Partei, die Junge Alternative, als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die AfD sieht sich als Opfer politischer Kampagnen, der Verfassungsschutz sei lediglich eine Marionette der Regierenden um die AfD kleinzuhalten. Dabei spiegele sie doch das "normale Deutschland".

Diese Erzählung scheint zu verfangen, vielen Menschen in Ostdeutschland scheint es schlicht egal zu sein, dass Teile der AfD nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. In Ostdeutschland ist sie Umfragen nach oftmals weit vorne, zuweilen auch stärkste Kraft. Im Landkreis Oder-Spree entscheiden Wählerinnen und Wähler per Stichwahl am Sonntag, ob sie einen AfD-Mann als Landrat haben wollen. Probleme bei Migration, bei der Umsetzung der Energiewende oder die Verunsicherung durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine wiegen für Wählerinnen und Wähler schwerer als die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Die Idee der AfD von der neuen Normalität scheint zu fruchten.

AfD spielt Ereignisse in Burg herunter

Die jüngsten mutmaßlich fremdenfeindlichen Ereignisse in Burg und Heidesee haben nach bisherigem Kenntnisstand nichts direkt mit der AfD zu tun. Indirekt allerdings schon. Stimmungsmache gegen Migranten und die Rede von der vermeintlichen "Umvolkung" durch die Asylpolitik sind Kerngeschäft der AfD, ebenso wie das Kleinreden mutmaßlich fremdenfeindlicher Vorfälle. Die Journalisten, die so über Burg berichten, seien "Scharfmacher", so der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag. Die Lehrer, die sich in einem offenen Brief über das fremdenfeindliche Schulklima beklagten, machten sich "mitschuldig" an der Situation. Solange nicht klar sei, was passiert ist, könne man daraus "kein gesamtgesellschaftliches Problem" machen.

Betroffene Schülerinnen schilden Beleidigung und Bedrohung

Sein Parteikollege Steffen Kotré, AfD-Bundestagsabgeordneter, gibt per Pressemitteilung am Dienstmorgen an, er habe mit Jugendlichen in Heidesee gesprochen. Man dürfe den Zwischenfall nicht fremdenfeindlich "aufbauschen". Man solle runterkommen und nicht "alles gleich politisch machen".

Zu diesem Zeitpunkt hat eine Schülerin der betroffenen Berliner Schule vor Fernsehkameras schon detailliert geschildert, wie sie und Mitschüler die Ereignisse in Heidesee erlebt haben. Die Bedrohungen, die Beleidigungen, die Alarmrufe an Polizei, an die Eltern. Ihre Erzählungen sind bedrückend. Und sie erinnern tatsächlich an Zeiten, die man schon abgestreift glaubte.

Rechtsextremismus existiert, aber anders

Nein, die Baseballschläger-Jahre sind Vergangenheit. Und sie bleiben es. Sich mit Vergleichen aus der Mottenkiste der Geschichte zu bedienen wäre zu billig. Wir müssen uns schon die Mühe machen, zu erkennen, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in anderem Gewand daherkommen. Und dass das eben alles andere als normal ist.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.05.2023, 18:15 Uhr

Beitrag von Hanno Christ

84 Kommentare

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  1. 84.

    Danke für diesen Kommentar. Unglaublich, was hier teilweise vom rechten Rand gepostet wird.

  2. 83.

    Moment mal. Wenn man unzufrieden mit der Einwanderungspolitik ist, ist das Beleidigen und Bedrohen anderer Menschen die logische Konsequenz? Ist das Ihr Ernst?!

  3. 82.

    Die Demokratie ist stärker als es alle Rechtsextremisten und verfassungsfeinde gerne hätten. Wir haben ein Grundgesetz, das Rassismus ausschließt und die Menschenwürde in den Vordergrund stellt. Das gilt auch in tiefsten Provinzdörfern in Brandenburg. Das wird auch keine örtliche AfD-Truppe abschaffen können. Wenn es Straftaten gibt, muss durchgegriffen werden. Mit Polizei, Justiz und Bestrafung. Ohne Bonus für irgendwelche überdeutschen Schwurbler und Rassisten.

  4. 81.

    Und was plant die geneigte AfD-Anhängerschaft dann nach der Machtübernahme? Die 30er Jahre wiederholen?

  5. 80.

    @ Herr Weinert, dann setzen Sie Ihre Kommentare so, das man Sie nicht falsch versteht. Wissen Sie wieviel Sprichwörter es zum Thema Heimat gibt? Uns Sie suchen ausgerechnet dieses aus!

  6. 78.

    Wenn ich einige Kommentare lese, ist der Rechtsextremismus kein Problem. Ist und bleibt ja eine Minderheit. Also können wie die Diskussion sein lassen. Rechte werden nie an die Macht kommen, weil die Mehrheit es nicht zulässt. Punkt, Naivität mE aber was soll’s. Wir schaffen das.

  7. 77.

    Das Frohlocken wird nichts bringen. Die restlichen 70 Prozent werden nicht mit der AfD koalieren.

  8. 76.

    Und was ist Ihr Vorschlag? Oder beklatschen Sie die Rechtsextremisten sogar noch?

  9. 74.

    Fragen Sie doch mal den verrückten Prinz Reuß. Der hat bestimmt Interesse, neues Staatsoberhaupt zu werden. Mit ex-AfD Frau Birgit Malsack-Winkemann als Justizministerin. Vielleicht macht der Maaßen auch noch mit, als Ausländer-Beauftragter, haha. Wirtschaftsminister braucht die AfD nicht. Geht sowieso unter deren Führung alles den Bach runter.

  10. 73.

    Ihr Vorschlag wäre die einfachste Lösung. Man möchte aber keine politisch und gesellschaftlich einfache Lösung. Es muss immer kompliziert und komplex sein. Schlechter als jetzt, wie z.B. im Wirtschaftsministerium kann es auch nicht mehr werden. Die anderen Ressorts sind auch nicht viel besser. Div. Zusamenarbeit gibt es auf lokaler Ebene schon längst.

  11. 72.

    Ich freue mich, dass ich heute widerwillens zu etwas gekommen, was ich nie sein und werden wollte : Ein Rechtsextremist !
    Und dann noch so einfach und rechts gleich noch übersprungen. Das hätte ich nicht erwartet. Fast wie bei Monopoly.

  12. 71.

    Haben Sie den Kommentar des rbb überhaupt erfasst? Er beschreibt die Lage sehr gut. Ihr Vorschlag? Nur gegen etwas zu sein reicht nicht.

  13. 70.

    Also weiter den Zulauf zulassen. Die AfD wird wohl in Brandenburg stärkste Partei. Sie sind naiv wenn Sie das ausblenden

  14. 68.

    Die Extremisten müssen mit ihrem Tun mal richtig auf die Schnauze fliegen. Persönlich, beruflich, finanziell, strafrechtlich. So, dass es richtig weh tut. Einfach nur wegschauen, bringt nichts. Die denken ja sonst, sie hätten Narrenfreiheit.

  15. 67.

    Aber klar doch, Deutschland hat ja überragende Erfahrungen mit dem Einbinden von faschistischen Bewegungen in die politische Verantwortung gemacht.
    Bei all dem wird tunlichst verschwiegen, das die Herren nicht nach demokratischen Regeln spielen. Gibt man denen den kleinen Finger, ist der Arm weg-bis zur Schulter.

  16. 65.

    Die AfD ist ja bereits im Visier des Verfassungsschutzes. Zur Recht: Die Jugendorganisation gesichert rechtsextrem. Der Thüringer Landesverband ebenfalls. Höcke darf als Faschist bezeichnet werden.

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